Die Beziehung zwischen Jesus und denen, die an ihn glauben, ist von großer Vertrautheit.
Die Beziehung zwischen Jesus und denen, die an ihn glauben, ist von großer Vertrautheit.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 4. Sonntag der Osterzeit,
21. April 2013 (Joh 10,27-30)
Der heutige vierte Ostersonntag heißt auch "Gut-Hirten-Sonntag". Heute werden Abschnitte aus der "Hirtenrede" Jesu vorgelesen. Deren Kernsatz lautet: "Ich bin der gute Hirte. Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich." "Das ist eines der wunderbarsten Worte, die uns Johannes von Jesus überliefer hat", meint der große evangelische Bibelwissenschaftler Adolf Schlatter.
Da ist das Bild des guten Hirten. Manche meinen, es sage dem Menschen heute nichts mehr, weil Schafhirten heutzutage selten erlebt werden. Zur Zeit Jesu gehörten sie genauso zur Erlebniswelt des Alltags wie in vielen unserer ländlichen Gegenden noch bis in die Zeit meiner Jugend. Bei uns sind Schafherden mit ihren Hirten eine Seltenheit geworden. Ist deshalb das Bild vom "guten Hirten" schon fremd geworden? Ich glaube nicht. Auch Könige sind selten geworden. Aber das Bild des Königs ist, so scheint es mir, in der menschlichen Seele verwurzelt. Und ebenso das Bild des Hirten. Solche "Urbilder" bleiben lebendig, weil sie etwas Wesentliches des Lebens darstellen.
Das Urbild des Hirten ist das einer nahen, schützenden Beziehung, die Sicherheit und Geborgenheit bedeutet. Der gute Hirte kennt seine Herde und sie kennt ihn. Jesus kennt "die Seinen", und sie kennen ihn. Er weiß um sie, er kennt sie und sie sind bei ihm geborgen. Die Stimme des Hirten ist den Schafen vertraut und deshalb folgen sie ihm, gehen hinter ihm her.
Die Anwendung ist klar: Die Beziehung zwischen Jesus und denen, die an ihn glauben, ist von großer Vertrautheit. Sie sind in seiner Hand fest geborgen. Keine Macht der Welt kann sie Jesus entreißen. Er selber wird sie halten und bewahren. Der glaubende Mensch weiß sich sicher in Gottes Hand. Er braucht sich nicht zu fürchten.
Zwei Fragen bewegen mich bei dieser an sich so erfreulichen Botschaft. Die erste: Macht Jesus hier nicht eine (zu) scharfe Trennung zwischen "den Seinen" und "den Anderen"? Wenn er von "meinen" Schafen spricht, sagt er dann nicht zugleich, dass andere, vielleicht viele, vielleicht sogar die Mehrheit, nicht seine Schafe sind? Bekommen diese kein "ewiges Leben" ? Sind sie so unsicher dran, dass sie verloren gehen können? Ist das nicht ein sehr elitäres Verständnis, diese strenge Scheidung zwischen "Seinen" Schafen und "den Anderen"? Nun hat Jesus selber gesagt: "Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind, auch sie muss ich führen." Ja, es gibt Menschen, die zur Herde Christi gehören, ohne dass sie "aus diesem Stall" (der Kirche) sind. Auch um sie kümmert sich Christus. Sie sind ihm nahe, auch wenn sie (scheinbar) der Kirche fern sind.
Die zweite Frage betrifft die, die "im Stall" (der Kirche) sind. Genügt es schon, "drinnen" zu sein, um "niemals zugrunde zu gehen"? Jesus hat immer wieder von den "verlorenen Schafen" gesprochen. Wieso haben sie die Herde verlassen? Haben sie nicht mehr auf die Stimme des Hirten gehört? Haben sie einmal aufgehört, ihm zu folgen, zu vertrauen? Eines ist sicher: Gerade weil Jesus der gute Hirte ist, darum geht er den Verlorenen nach. Und er will, dass wir es ihm nachmachen.
Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie, und sie folgen mir.
Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen, und niemand wird sie meiner Hand entreißen.
Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle, und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen.
Ich und der Vater sind eins.