Weil Jesus jetzt bei Gott ist, kann er auch ganz bei uns sein, ganz nahe.
Weil Jesus jetzt bei Gott ist, kann er auch ganz bei uns sein, ganz nahe.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 6. Sonntag der Osterzeit,
5. Mai 2013 (Joh 14,23-29)
Als vor 34 Jahren mein Vater viel zu jung starb, ging mir damals immer wieder das Wort Jesu aus dem heutigen Evangelium durch den Sinn: „Wenn ihr mich lieb hättet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe.“ Und ein anderes ähnliches Wort Jesu bewegte mich ebenfalls: „Es ist gut für euch, dass ich fortgehe.“ Sollte ich mich freuen über den Heimgang meines Vaters? Für ihn war das Sterben eine Befreiung von schwerer, unheilbarer Krankheit. Es war ein friedliches „Heimkehren“ zu Gott nach einem schwierigen Leben, nach Krieg, Stalingrad, Erfolgen und Misserfolgen in Beruf und Familie. Auch wenn ich daran glaube, dass er es „drüben“ besser hat, ist doch der Abschied schwer gefallen. Sicher ist es ein Trost, an ein „Drüben“ glauben zu können, an ein Leben nach dem Tod. Die Trennung, die der Tod mit sich bringt, ist allemal schmerzlich.
Und so war es auch für Jesus und seine Jünger. Er versucht sie zu trösten. Er versichert ihnen, dass er bei ihnen bleiben wird, sie nicht verlässt. Aber wie sieht das, ganz nüchtern betrachtet, mit unseren Verstorbenen aus? Bleiben sie bei uns? Gilt nicht vielmehr das Sprichwort: „Aus den Augen – aus dem Sinn“? Oft wird bei Grabrednern feierlich beschworen: „Du wirst stets in unserer Erinnerung bleiben!“ Aber seien wir ehrlich: Wie lange hält die Erinnerung? Wie flüchtig ist sie! Wir wissen meist noch etwas von unseren Großeltern. Wie sieht es mit den Urgroßeltern aus? Oder gar mit den Generationen vor ihnen. Wir tragen zwar das Erbe unserer Ahnen in den Genen, aber wir kennen sie nicht.
Anders ist es mit Jesus. Er ist „heimgegangen“ zu Gott, seinem Vater. Aber die Erinnerung an ihn ist nicht verblasst. Sie bleibt in den Herzen der Menschen lebendig. Nicht weil wir ein so gutes Gedächtnis hätten, sondern weil er sich uns immer neu in Erinnerung ruft. Dazu hat er den Heiligen Geist gesandt: „Er wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Wie macht er das? Wie lehrt und erinnert der Heilige Geist?
Für mich wurde das ganz anschaulich und greifbar, bei der Wahl des neuen Papstes Franziskus. Ich glaube, ich bilde mir das nicht ein, wenn ich sage: Da haben wir, die Kardinäle, die ihn im Konklave gewählt haben, das Wirken des Heiligen Geistes erlebt. Er hat uns zu verstehen gegeben: Dieser da, der Erzbischof aus Buenos Aires, aus Argentinien, der ist es, den ich für das Amt des Papstes ausgewählt habe!
In diesen zwei ersten Monaten, die Franziskus Papst ist, können wir erleben wie durch ihn die Worte Jesu frisch in Erinnerung gebracht werden. Sie sind nicht verstaubt, vergessen, vom Sand der Geschichte verdeckt. Zu jeder Zeit, in jeder Generation ruft der Heilige Geist Jesus und sein Wort von Neuem in Erinnerung. Und daran wird sichtbar, dass er zwar „drüben“ ist, uns aber nicht verlassen hat. Er gibt zudem ein großes Versprechen: Wer ihn liebt und an seinem Wort festhält, bei dem werde er bleiben und sogar „wohnen“. Und er werde ihm seinen Frieden schenken. Weil Jesus jetzt bei Gott ist, kann er auch ganz bei uns sein, ganz nahe. Darum ist es gut, dass er „heimgegangen“ ist. Ein wenig gilt das, so glaube ich, auch für meinen Vater.
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.
Wer mich nicht liebt, hält an meinen Worten nicht fest.
Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch gesagt, während ich noch bei euch bin.
Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch.
Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht. Ihr habt gehört, dass ich zu euch sagte: Ich gehe fort und komme wieder zu euch zurück.
Wenn ihr mich lieb hättet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich. Jetzt schon habe ich es euch gesagt, bevor es geschieht, damit ihr, wenn es geschieht, zum Glauben kommt.