Jesus betet nicht zuerst um Gesundheit, Erfolg, Wohlergehen. Nur um die Liebe bittet er.
Jesus betet nicht zuerst um Gesundheit, Erfolg, Wohlergehen. Nur um die Liebe bittet er.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 7. Sonntag der Osterzeit,
12. Mai 2013, (Joh 17,16-26)
Mich bewegt es immer neu, wenn ich Menschen beten sehe. Was geschieht da? Was tut sich da im Herzen eines betenden Menschen? Was bringt Menschen dazu zu beten? Beten ist eine - fast möchte ich sagen - „natürliche“ Verhaltensweise des Menschen. In allen Kulturen, in allen Religionen, zu allen Zeiten haben Menschen gebetet. Und doch hat es immer schon die kritischen Fragen gegeben: Hilft das Beten? Nützt es? Bringt es etwas? Ist das Gebet nicht eine Art fromme Selbsttäuschung? Ist es nicht wie Placebo, eine Art Medikament, das nur deshalb wirkt, weil wir es uns einbilden?
Eines ist sicher. Das Gebet sagt uns viel über den, der betet. Wofür beten wir? Worum bitten wir Gott? Wie beten wir? Besteht mein Beten vor allem aus Bitten? Kommt in meinem Beten auch der Dank vor? Wann bete ich? Alle heiligen Zeiten? Nur wenn der Schuh drückt? Lehrt mich erst die Not das Beten? Oder ist das Gebet ein wesentlicher Teil meines Lebensrhythmus? Sag‘ mir wie du betest – und ich sag‘ dir, wer du bist.
Wer Jesus ist, erfahren wir wohl nirgends besser und tiefer als durch sein Beten. Wir wissen wenig über den Inhalt seines Gebets. Wir wissen mit Sicherheit, dass er viel und häufig gebetet hat, oft ganze Nächte, bevorzugt an einsamen Plätzen, auf Bergen, in der Natur, aber auch in den jüdischen Gebetshäusern, den Synagogen, und im Tempel in Jerusalem.
Manche Gebetsworte Jesu sind überliefert worden, etwa die kurzen, dichten Gebetsrufe, die er in der Todesqual am Kreuz an Gott gerichtet hat. Unverwechselbar an Jesu Gebet war die vertrauliche Art, mit der er Gott ansprach: Vater!
Mit dem Wort „Vater“ beginnt auch das längste, ausführlichste Gebet Jesu, das uns überliefert ist, und dessen Schluss das heutige Sonntagsevangelium bildet. Jesus bittet für die Seinen. Er weiß, dass er nicht mehr lange bei ihnen ist. Er vertraut sie Gott, seinem Vater an. Und er betet zugleich für alle, die in Zukunft an ihn glauben werden. Damit auch nach seinem Weggang Menschen an ihn werden glauben können, braucht es Zeugen, die anderen von ihm erzählen.
Seine große Bitte an seinen Vater lautet: „Alle sollen eins sein.“ Damit die Zeugen glaubwürdig sind, müssen sie eins sein, wie Jesus immer mit Gott seinem Vater eins ist. Wenn die Gläubigen unter sich ein völlig zerstrittener Haufen sind, dann können sie keine glaubwürdigen Zeugen Jesu sein. Wie sollen sie andere Menschen von der Liebe Gottes überzeugen, wenn sie einander nicht lieben?
Damit wird deutlich, worum es Jesus in seinem Gebet vor allem geht. Die Welt soll die Liebe erkennen, die Gott zu ihr hat. Das muss sichtbar werden, erfahrbar, erlebbar. Diese Liebe müssen die Seinen im Herzen tragen, damit sie von Herzen kommt und damit sie die Herzen erreicht. Jesus betet nicht zuerst um Gesundheit, Erfolg, Wohlergehen. Nur um die Liebe bittet er. Das sagt alles über ihn. Denn mehr braucht es nicht.
In jener Zeit erhob Jesus seine Augen zum Himmel und betete: Heiliger Vater, ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.
Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich. Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor der Erschaffung der Welt.
Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt, und sie haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin.