Jesus macht Mut zu teilen. (Darstellung der Brotvermehrung, Kleinmariazell)
Jesus macht Mut zu teilen. (Darstellung der Brotvermehrung, Kleinmariazell)
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am 3. August 2014
Einmal ist es auch Jesus zu viel. Immer nur Menschen, mit ihren Sorgen und Hoffnungen, ihren Krankheiten, von denen er sie heilen soll, so hoffen sie. Einmal kann er einfach nicht mehr. Zu wenig Zeit für sich selber, zu wenig Ruhe. Einfach einmal allein sein können! Der Auslöser freilich waren nicht die vielen Menschen, sondern ein Tod, der ihn tief getroffen haben muss. Herodes hat Johannes, den Täufer, Jesu nahen Verwandten, einfach in einer Festlaune eines Gelages enthaupten lassen. Johannes war tot. Diese Nachricht war einfach zu viel. Jesus hat ein unwiderstehliches Bedürfnis, allein zu sein. Zu groß ist der Schmerz über den Tod dieses von ihm so verehrten, nur sechs Monate älteren Cousins.
Kann ein so berühmter, von so vielen gesuchter und verehrter Mann unbemerkt in die Einsamkeit flüchten? Man hat ihn gesehen, wie er ins Boot stieg. In Windeseile hat es sich herumgesprochen, in welche Richtung das Boot fuhr. Als er ans Ufer kommt, ist die Menschenmenge nicht zu überschauen, "etwa fünftausend Männer, dazu noch viele Frauen und Kinder". Müsste Jesus nicht verärgert sein? Gar zornig? "Lässt mir denn niemand ein wenig Ruhe?" Versteht niemand, dass auch er ein Mensch ist, der einmal Ruhe braucht, Stille, Alleinsein? Zeit zum Trauern und Beten?
Immer neu bin ich ergriffen von dem, was jetzt geschah. Statt wütend oder grantig auf die Zudringlichkeiten der Leute zu reagieren, hat Jesus einfach "Mitleid mit ihnen". Kein herablassendes Gefühl, nichts von oben herab. Er lässt sich einfach berühren von der Not, dem Suchen der Sehnsucht der vielen Menschen. Er fühlt mit ihren Krankheiten, weiß um ihre Armut, kennt ihr Versagen und auch ihr Bemühen.
Erbarmen, Barmherzigkeit, Mitgefühl, das sind die Haltungen, die Jesus lebt und weitergeben will. Aber sind das nicht "schwächliche" Verhaltensweisen? Gilt es nicht eher zu kämpfen, sich durchzusetzen, sich seinen Platz zu sichern? Kommt man mit Mitleid weiter? Kann man sich in einer Welt voller Konkurrenz Mitleid leisten?
Die Jünger haben Mitleid mit den Leuten auf ihre Weise. Der Tag ist lang. Der Abend naht. Und auch das dringende Bedürfnis, endlich Ruhe zu haben und selber zu essen. Daher die Aufforderung an Jesus, die nach Mitleid klingt, vor allem aber nach Selbstmitleid: "Schick doch die Menschen weg, damit sie… sich etwas zu essen kaufen können." Die Antwort Jesu wirkt wie eine Provokation: "Gebt ihr ihnen zu essen!" Jesus weiß doch, dass sie kaum für sich selber genug zu essen haben. Viel zu wenig ist da: fünf Brote und zwei Fische! Mit dem Wenigen macht Jesus viele satt. Alle essen reichlich, und viel zu viel bleibt noch übrig: zwölf ganze Körbe voll!
Wieso bleibt von so wenig so viel übrig? Was bedeutet dieses offensichtliche Wunder? Ich glaube, es hat uns Verschiedenes zu sagen. Zuerst: Gott kann aus wenig viel machen. Aus einem kleinen Anfang kann Großes werden. Einmal hat eine albanische Ordensfrau einen Schritt getan: zu den Sterbenden auf den Straßen von Kalkutta zu gehen. Aus dieser Tat wuchs die weltweite Bewegung von Mutter Teresa und ihren Schwestern.
Das Wunder der Brotvermehrung ist ein Gegensatz zu dem, was weltweit heute geschieht. Millionen Menschen haben kaum genug Brot zu essen, und bei uns wird es tonnenweise weggeworfen; dort ist's zu wenig, hier zu viel. Jesus macht es anders: Wir sollen nicht nur daran glauben, dass es für alle reicht. Er macht uns Mut zu teilen. Und siehe, es bleibt genug, um auch den Armen reichlich zu geben. Wirklich, keiner müsste heute hungern!
In jener Zeit, als Jesus hörte, dass Johannes enthauptet worden war, fuhr er mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber die Leute in den Städten hörten davon und gingen ihm zu Fuß nach. Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen und heilte die Kranken, die bei ihnen waren. Als es Abend wurde, kamen die Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen, und es ist spät geworden. Schick doch die Menschen weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können. Jesus antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen! Sie sagten sie ihm: Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische bei uns. Darauf antwortete er: Bringt sie her! Dann ordnete er an, die Leute sollen sich ins Gras setzen. Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten, und alle aßen und wurden satt. Als die Jünger die übrig gebliebenen Brotstücke einsammelten, wurden zwölf Körbe voll. Es waren etwa fünftausend Männer, die an dem Mahl teilnahmen, dazu noch Frauen und Kinder.