Gottvertrauen hilft, in den Stürmen des Lebens nicht mutlos zu werden. (Fresko von J. M. Rottmayer, Peterskirche, Wien)
Gottvertrauen hilft, in den Stürmen des Lebens nicht mutlos zu werden. (Fresko von J. M. Rottmayer, Peterskirche, Wien)
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 10. August 2014.
Welcher Gegensatz! Hier einer, der in der Stille der Nacht und des Berges betet. Dort einige, die sich mit Wellengang und Gegenwind abplagen. Hier die Ruhe, dort die Mühe. Jesus im Gebet, die Jünger im "Gwirx". Er ist alleine und sie fühlen sich alleingelassen. Der Gegensatz ist umso größer als man von dem Berg, auf dem Jesus sich zu zurückgezogen hat, den ganzen See Genezareth sehr gut überblicken kann. Jesus sieht also wie sie kaum vorankommen, wie das Boot "von den Wellen hin und her geworfen wurde".
Jesus sieht ihre Seenot - und hilft dennoch nicht. Erst "in der vierten Nachtwache", also gegen Morgen, als es schon leicht zu dämmern beginnt, kommt er über den See zum ihnen. Warum nicht früher? Er sieht doch, dass es ihnen nicht gut geht. Warum lässt er sie die ganze Nacht mühsam rudern?
Warum kommt Gottes Hilfe oft erst so spät? Warum sieht er zu, wie wir uns plagen, und tut scheinbar nichts, um uns zu entlasten? Diese Frage bewegt mich immer wieder, gerade bei diesem Evangelium. Es ist die große, manchmal wirklich bedrückende Frage, die Menschen stellen, die großes Leid, schwere Prüfungen erlitten haben: Wo war Gott in dieser Not? Warum hat er nicht geholfen? Hat er mich vergessen?
Vielleicht bietet gerade das heutige Evangelium eine Antwort. Während die Jünger sich in Seenot abmühen, ist Jesus nicht untätig. Er betet. Er betet auch für sie. Er steht ihnen bei, nicht durch die Tat, sondern durch das Gebet. Aber hilft ihnen das? Haben sie etwas davon? Einfache Gegenfrage: Haben die Kinder etwas davon, wenn ihre Eltern für sie beten? Haben Freunde etwas davon, wenn wir ihnen versprechen: Ich bete für dich? Eltern können nicht ständig über ihre Kinder wachen, aber sie können immer für sie beten. Je älter die Kinder werden, desto mehr müssen die Eltern sie loslassen. Aber eine Mutter wird dennoch immer an ihr Kind denken. Ein Vater immer sein Kind begleiten. Nicht mehr durch direktes Sorgen, aber durch besorgtes Begleiten. Und das wird sehr oft einfach die Form des Gebets haben.
Ist nicht das Gebet, mit dem wir andere begleiten, etwas sehr Ähnliches wie das, was Jesus damals in der stürmischen Nacht getan hat? Eltern sehen, wie ihre erwachsenen Kinder sich im Leben abmühen, wie sie kräftig "rudern" müssen. Sie können ihnen diese Mühe nicht abnehmen, aber sie können für sie beten. Und viele tun es. Und wir sollten es viel mehr tun. Wir können so oft nicht direkt dem Nächsten helfen, aber wir können ihn immer durch unser Gebet unterstützen. Wir alle müssen selber unser Lebensschiff über die stürmische See des Lebens steuern. Aber was für ein Trost, zu wissen, dass wir dabei nicht allein gelassen sind! Mir hilft es, immer wieder zu erfahren, dass Menschen für mich beten. Ich hoffe, ich tue dasselbe auch meinerseits. Vielen ist schon aufgefallen, dass Papst Franziskus seinen Besuchern immer zum Abschied eine Bitte mitgibt: "Beten Sie für mich!"
Was hilft das Beten? Was bewirkt es? Wir können die Wirkung des Gebets nicht messen. Es hat vor allem mit Vertrauen zu tun. Wie oft kann ich einem anderen nicht direkt helfen! Immer kann ich darauf vertrauen, dass Gott helfen kann. Beten stärkt das Gottvertrauen. Und Gottvertrauen hilft, auch in den Stürmen des Lebens nicht mutlos zu werden. Da wagt man es dann auch, wie Petrus sogar über das wilde Wasser zu gehen, auf Gottes Hand vertrauend.
Nachdem Jesus die Menge gespeist hatte, forderte er die Jünger auf, ins Boot zu steigen und an das andere Ufer vorauszufahren. Inzwischen wollte er die Leute nach Hause schicken. Nachdem er sie weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten. Spät am Abend war er immer noch allein auf dem Berg. Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind. In der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen; er ging auf dem See. Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst. Doch Jesus begann mit ihnen zu reden und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht! Darauf erwiderte ihm Petrus: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme. Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot und ging über das Wasser auf Jesus zu. Als er aber sah, wie heftig der Wind war, bekam er Angst und begann unterzugehen. Er schrie: Herr, rette mich! Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind. Die Jünger im Boot aber fielen vor Jesus nieder und sagten: Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn.