Versöhnung ist möglich. Täter und Opfer können einander begegnen.
Versöhnung ist möglich. Täter und Opfer können einander begegnen.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 31. August 2014. Mt 16,21-27
Die eine heißt Fedra, die andere Maria. Die Begegnung mit diesen beiden Frauen bleibt mir unvergesslich. Es war in Bogota, der Zehn-Millionen-Hauptstadt von Kolumbien, vor zehn Tagen. Ich war dort, mit etwa dreißig österreichischen Teilnehmern, zum „III. Weltkongress für das Apostolat der Barmherzigkeit“. Hinter diesem Namen verbirgt sich schlicht der Kern des Evangeliums, Jesu Aufruf an die Menschen: „Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist.“
Ich durfte Fedra und Maria in diesem Rahmen kennenlernen. Fedra ist krebskrank in fortgeschrittenem Stadium. Maria hat mit schweren Verbrennungen ein Brandbombenattentat überlebt. Beide verbindet großes Leid. Aber noch größer ist das, was sie trennt. Denn Fedra gehörte zur mächtigen Guerilla-Organisation FARC. Maria gehört zu den zahllosen Opfern der Guerilla. Ihr Mann und ihre drei Söhne und ein Großteil ihres Dorfes sind bei einem Brandbombenangriff der FARC ums Leben gekommen.
Über sechs Millionen Menschenleben hat der seit 56 Jahren andauernde Krieg zwischen Guerilla, paramilitärischen Gruppen und der Regierungsarmee gekostet. Mühsam laufen derzeit die Friedensverhandlungen zwischen den Konfliktparteien. Wird jemals die Versöhnung gelingen? Werden die Wunden, die dieser Jahrhundertkonflikt in allen Teilen der Bevölkerung geschlagen hat, jemals heilen können?
Die Begegnung mit Fedra und Maria ist ein Zeichen der Hoffnung. Versöhnung ist möglich. Täter und Opfer können einander begegnen. Fedra hat als Frau in der Guerilla getötet. Wie viele Menschen? Maria ist eines der zahllosen Opfer dieses Konflikts. Jesus zeigt im heutigen Evangelium, wie Versöhnung möglich ist. Fedra und Maria haben mir gezeigt, dass der Weg Jesu nicht nur möglich, sondern wirklich ist.
Einer mutigen Frau, Diana Sofia Giraldo de Melo, Universitätsprofessorin, vor allem aber überzeugte Christin, ist es zu verdanken, dass Opfer und Täter wie Maria und Fedra einander begegnen. Der Weg ist hart. Jesus lässt daran keinen Zweifel: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Marias Kreuz ist schwer. Sie hat alles verloren, ihre Familie, ihr halbes Dorf. Im Glauben und zusammen mit anderen Opfern hat sie den Weg der Vergebung gefunden. Heute kann sie ihr Leid positiv umsetzen. Sie setzt sich mit aller Kraft für Kinder ein, die gefährdet sind, in Gewalt und Terrorismus abzurutschen.
Fedras Weg in die Guerilla war ein Versuch, aus Armut und Elend auszubrechen. Sie war selber ein Opfer der Not, ehe sie zur Täterin wurde. Auch sie hat zum Kreuz Ja sagen können. Sie konnte bereuen und einen Weg der Bitte um Vergebung beginnen.
Petrus im heutigen Evangelium will Jesus das Leid und das Kreuz ersparen. Mit ungewöhnlicher Schärfe weist Jesus ihn zurecht: „Du willst, was die Menschen wollen“, dass alles ohne Leid und Kreuz abgeht. Gottes Weg ist anders. Gott will nicht unser Leid. Aber er will, dass wir einander helfen, unser Kreuz zu tragen.
Dieses Bild ist für mich wie ein Stück Evangelium. Fedra, die kranke Ex-Terroristin, lehnt sich an die Schulter Marias, der Leidgeprüften. Beide haben ihr Kreuz angenommen. Die Liebe hat gesiegt. Sie ist die einzige Hoffnung für unsere Welt.
In jenen Tagen begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden; er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen.
Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe; er sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht geschehen! Jesus aber wandte sich um und sagte zu Petrus: Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.
Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen. Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?
Der Menschensohn wird mit seinen Engeln in der Hoheit seines Vaters kommen und jedem Menschen vergelten, wie es seine Taten verdienen.