"Niemand findet zum Glauben ohne diese Anziehung Gottes. Nicht wir suchen zuerst Gott, sondern Er sucht uns", so Kardinal Christoph Schönborn. So sei es auch bei Edith Stein und Franz Jägerstätter gewesen.
"Niemand findet zum Glauben ohne diese Anziehung Gottes. Nicht wir suchen zuerst Gott, sondern Er sucht uns", so Kardinal Christoph Schönborn. So sei es auch bei Edith Stein und Franz Jägerstätter gewesen.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 9. August 2015 (Joh, 6,41-51)
Heute ist der Todestag von zwei großen Gestalten. Am 9. August 1942 starb in einer Gaskammer in Auschwitz eine der bedeutendsten Frauengestalten des 20. Jahrhunderts: die Philosophin und Ordensfrau Edith Stein, Jüdin aus Breslau, in ihren jungen Jahren bewusst ungläubig, dann brillante Philosophiestudentin, Dozentin, bis sie nach langem Suchen und Ringen zum christlichen Glauben fand, in den Karmelitenorden eintrat und schließlich, weil Jüdin, im KZ von Auschwitz umgebracht wurde.
Papst Johannes Paul II. hat sie 1998 heiliggesprochen und 1999 zu einer Schutzpatronin Europas erklärt. Zweifellos kann Europa heute ganz besonders ihren Schutz und Beistand brauchen.
Genau ein Jahr später, am 9. August 1943, starb der oberösterreichische Bauer Franz Jägerstätter in Berlin unter dem Fallbeil. Zum Tod verurteilt wurde er, weil er aus Gewissensgründen den Kriegsdienst für Hitler verweigert hatte. Seine einsame Entscheidung blieb lange umstritten, auch in kirchlichen Kreisen. Doch setzte sich die Anerkennung seiner tiefen Glaubenshaltung schließlich durch. Er könne nicht zugleich dem Reich Christi und dem Dritten Reich dienen, so erklärte er seinen Entschluss. 2007 wurde er im Linzer Dom seliggesprochen.
Was haben diese beiden großen Gestalten mit dem heutigen Evangelium zu tun? Es ist ein Wort Jesu, das besonders auf sie zutrifft: „Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zu mir führt.“ Wörtlich müsste es übersetzt werden: „Niemand kommt zu mir, es sei denn, der Vater zieht ihn.“ Von Anziehung ist hier die Rede. Jesus spricht etwas an, das zu selten bedacht wird: Gottes Anziehungskraft!
Wir kennen alle die Erfahrung, dass ein Mensch uns anziehen kann. Die Liebe zieht hin zu einem anderen Menschen.
Gibt es auch eine Anziehung Gottes? Ganz offensichtlich! Edith Stein ist ein Beispiel dafür. Sie hatte sich als junge Frau bewusst vom jüdischen Glauben abgewandt, sich ganz der Vernunft, der Philosophie verschrieben. Es gab in ihr ein Suchen , das sie schließlich zum Glauben geführt hat. Im Rückblick hat sie erkannt, dass sie von Gott gesucht war, dass Er sie zu Jesus hingeführt, ja hingezogen hat.
Ähnlich bei Franz Jägerstätter. Als junger Mann war er eher „ein wilder Bursche“. Die Liebe zu seiner Frau Franziska, die 2013 hundertjährig verstorben ist, hat Franz auch zum lebendigen Glauben geführt.
Niemand findet zum Glauben ohne diese Anziehung Gottes. Nicht wir suchen zuerst Gott, sondern Er sucht uns. Beim Propheten Jeremia steht als Wort, das Gott zu uns spricht: „Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“ Ich glaube, dass es in jedem Menschenherzen nicht nur die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit gibt, sondern auch die tiefe, oft verborgene Sehnsucht nach Gott. Heute sagt uns Jesus, woher dieses Suchen und Sehnen kommt: Es ist die Liebe Gottes zu uns, durch die Er uns hinzieht zu sich!
In jener Zeit murrten die Juden gegen Jesus, weil er gesagt hatte: Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Und sie sagten: Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen: Ich bin vom Himmel herabgekommen? Jesus sagte zu ihnen: Murrt nicht! Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zu mir führt; und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag. Bei den Propheten heißt es: Und alle werden Schüler Gottes sein. Jeder, der auf den Vater hört und seine Lehre annimmt, wird zu mir kommen. Niemand hat den Vater gesehen außer dem, der von Gott ist; nur er hat den Vater gesehen. Amen, amen, ich sage euch: Wer glaubt, hat das ewige Leben. Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. So aber ist es mit dem Brot, das vom Himmel herabkommt: Wenn jemand davon isst, wird er nicht sterben. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, ich gebe es hin für das Leben der Welt.
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