"Unbarmherzigkeit empfinden wir als etwas Unmenschliches. Sie verschließt das Herz vor dem Anderen. In einer Welt der Konkurrenz und der Konflikte ist die Barmherzigkeit lebenswichtig", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Unbarmherzigkeit empfinden wir als etwas Unmenschliches. Sie verschließt das Herz vor dem Anderen. In einer Welt der Konkurrenz und der Konflikte ist die Barmherzigkeit lebenswichtig", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zur Lesung zu Maria Empfängnis, 8. Dezember 2015
Genesis 3,9-15.20
Heute ist ein besonderer Tag. Arbeitsfrei, und doch offene Geschäfte. Ein idealer Tag für Weihnachtseinkäufe. Heute sind nicht nur viele Geschäfte offen. Heute wird auch ein besonderes Tor geöffnet. Papst Franziskus öffnet heute im Petersdom in Rom die Heilige Pforte. Sie wird nur alle heiligen Zeiten geöffnet. Immer wenn ein Heiliges Jahr ausgerufen wird, öffnet der Papst diese sonst zugemauerte Tür des Petersdomes. Und sie bleibt dann ein ganzes Jahr offen. Und zahllose Pilger durchschreiten dieses Tor als besonderen Moment auf ihrer Wallfahrt nach Rom.
Heute also beginnt ein Heiliges Jahr. Es dauert bis zum 20. November 2016. Und es steht unter dem Motto der Barmherzigkeit. Heute vor fünfzig Jahren wurde das 2. Vatikanische Konzil beendet. Ein halbes Jahrhundert später will Papst Franziskus neu in Erinnerung rufen, was das Anliegen dieses großen Reformkonzils war. Und er findet für dieses Anliegen kein besseres Wort als „Barmherzigkeit“.
Das Wort ist freilich vielen fremd geworden. Es klingt ein wenig „von oben herab“. Kein Politiker kann es so leicht gebrauchen. Und in der Wirtschaft ist es ein Fremdwort. Da zählt der Erfolg, der Gewinn. Die Barmherzigkeit ist etwas für die Caritas, nicht für das Geschäft.
Wie schlimm steht es um eine Gesellschaft, in der es keine Barmherzigkeit mehr gibt. Alle kennen das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Er hätte an dem Schwerverletzten vorbei gehen können, wie die anderen, Doch er hatte Mitgefühl. Es war ihm nicht egal, wie es diesem Menschen ging. Er hat sich Zeit genommen, hat für ihn ein ernstes Risiko auf sich genommen. Kurz: er hat sich menschlich verhalten.
Unbarmherzigkeit empfinden wir als etwas Unmenschliches. Sie verschließt das Herz vor dem Anderen. Papst Franziskus will, dass in diesem Heiligen Jahr viele Türen sich öffnen, viele Herzen sich neu dem Nächsten zuwenden. In einer Welt der Konkurrenz und der Konflikte ist die Barmherzigkeit lebenswichtig. Jesus hat in ihr die Herzenshaltung gesehen, die uns Gott am Ähnlichsten macht: „Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist.“
Was hat Jesus Neues gebracht? Was ist das Herz seiner Botschaft? Dass Gott barmherzig ist, unvorstellbar barmherzig! Nicht Richter ist er zuerst, sondern Erbarmer. Nicht das strenge Auge, das alles prüft, sondern das liebende Herz, das alle an sich zieht.
Heute ist ein großer Marientag. Gedacht wird der Empfängnis Marias, neun Monate vor ihrer Geburt, die am 8. September gefeiert wird. Mit jeder Empfängnis öffnet sich das Tor für ein neues Menschenleben. Alle sind wir durch diese Türe ins Dasein getreten. Für mich ist deshalb der 8. Dezember immer auch ein Tag, an dem ich Gott dafür danke, dass ich empfangen wurde und leben darf. Das Tor der Empfängnis hat uns in ein Leben eintreten lassen, das für die Ewigkeit bestimmt ist. Heute ist der Lebensanfang Marias. Sie wurde später die Mutter Jesu, des Barmherzigen. So wurde sie für uns zum Tor der Barmherzigkeit!
Nachdem Adam von Baum gegessen hatte, rief Gott, der Herr, ihm zu und sprach: Wo bist du? Er antwortete: Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich. Darauf fragte er: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe? Adam antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben, und so habe ich gegessen. Gott, der Herr, sprach zu der Frau: Was hast du da getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen. Da sprach Gott, der Herr, zur Schlange: Weil du das getan hast, bist du verflucht unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. Auf dem Bauch sollst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens. Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse. Adam nannte seine Frau Eva - Leben -, denn sie wurde die Mutter aller Lebendigen.
Mehr über Kardinal Christoph Schönborn
Gedanken zum Evangelium von Kardinal Christoph Schönborn