Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Pfingstsonntag, 8. Juni 2014
Pfingsten ist für mich nicht nur ein langes Wochenende, dank dem freien Pfingstmontag. Pfingsten ist nicht nur das Ende der Osterzeit, fünfzig Tage nach dem Osterfest. Pfingsten ist vor allem das Fest, das am Anfang der weltweiten Ausbreitung des Christentums steht. Davon handelt der Bericht von dem stürmischen Ereignis, das sich an diesem Tag in Jerusalem zugetragen hat. Von da an begann die Gemeinschaft derer, die an Christus glauben, in die ganze Welt hinauszugehen und zu wachsen.
Mich bewegt an Pfingsten jedes Jahr neu die Frage: Wie kam es, dass das Christentum sind in wenigen Jahren in einem Großteil der damals bekannten Welt ausbreitete? Wie wurde es zur Weltreligion? Wie kam es dass es "bis an die Grenzen der Erde" gelangte? Am Anfang standen sicher weder militärische noch wirtschaftliche oder politische Macht hinter dem Erfolg der christlichen Religion. Im Gegenteil: In den ersten drei Jahrhunderten wurden die Christen fast überall verfolgt, zeitweise heftig und blutig.
Das Pfingstfest gibt eine zweifache Antwort auf die Frage, wie das Christentum zur Weltreligion wurde. Die eine ist ganz praktischer Natur, die andere hat einen tiefreligiösen Charakter. Wir dürfen nie vergessen: Das Christentum wurzelt tief im Judentum. Das ist sein Mutterboden. Das Pfingstfest war ursprünglich das Dankfest für die erste Ernte. Auch wird am jüdischen Pfingstfest - fünfzig Tage nach Pessach, dem jüdischen Osterfest, an den Bund gedacht, den Gott mit seinem Volk am Berg Sinai geschlossen hat, als er Mose die zehn Gebote übergab.
So waren damals zum Pfingstfest Juden als aller Welt als Pilger in Jerusalem. Und das ist nun wichtig für die Ausbreitung des Christentums. Denn die Apostel, selber alle Juden, gingen, als sie zur Mission aufbrachen, zuerst in die jüdischen Gemeinden, die es in den meisten Ländern gab. Dort, in den Synagogen, den Gebetshäusern der Juden, erzählten sie von Jesus, dass er der verheißene Messias sei, die Propheten angekündigt hatten.
Am Pfingsttag, als diese außerordentlichen Dinge geschahen, der Sturm, die "Feuerzungen", das Sprachwunder, da liefen die Laute in Scharen zusammen, Juden aus allen Teilen der Welt aus Asien, Afrika und Europa. In allen den genannten Ländern lebten damals Juden, überall als Minderheit, aber gut "vernetzt" und mit dem Mutterland verbunden. Genau dieses Netzwerk der vielen jüdischen Gemeinden wird am Anfang die Basis der christlichen Mission sein.
Das war sozusagen die praktische Seite, die "Infrastruktur" der Ausbreitung des Christentums. Die tiefere Triebkraft dieser Erfolgsgeschichte aber war und ist bis heute der Heilige Geist. Er ist die Energie, ohne die die ersten Anhänger Jesu es nie geschafft hätten, ihren jungen, frischen Glauben an Jesus in alle Welt hinauszutragen. Der Heilige Geist, die "Kraft von oben", hat aus verschreckten, versteckten, ängstlichen und kleingläubigen Aposteln Menschen gemacht, die andere überzeugen konnten, ohne Gewalt, ohne militärische Macht, ohne politischen Druck, einfach aus ihrer Ausstrahlung und ihrer Glaubwürdigkeit heraus.
Heute ist es im Grunde wieder so wie am Anfang. In unserer Globalen Welt kann die Botschaft Jesu alle Menschen erreichen. Überzeugend wird sie aber nur dann, wenn sie auch glaubwürdig gelebt wird. Wie am Anfang.
Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.