"Wenn wir wirklich beten lernen wollen, sollten wir uns an der Witwe aus dem Gleichnis Jesu, an ihrer Ausdauer, ein Beispiel nehmen", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Wenn wir wirklich beten lernen wollen, sollten wir uns an der Witwe aus dem Gleichnis Jesu, an ihrer Ausdauer, ein Beispiel nehmen", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 20. Oktober 2013.
Das heutige Evangelium enthält eine doppelte Botschaft. Es spricht vom Mut gegen das Unrecht und von der Macht des Gebetes. Beide Botschaften hängen eng miteinander zusammen.
Jesus will seine Jünger dazu ermutigen, "allzeit zu beten und darin nicht nachzulassen". Wir sollten eigentlich ständig beten, allzeit und ohne Unterlass. Aber wie soll das praktisch gehen? Ich bin den ganzen Tag mit so vielen Dingen beschäftigt, sehe meist viele Menschen, habe laufend Termine, Aufgaben, Verpflichtungen. Da bleibt für das Gebet nur wenig Zeit. Wie ist Jesu Wort in den Alltag zu übersetzen? Offensichtlich ist Jesus überzeugt, dass es möglich ist, immer in einer inneren Verbindung mit Gott zu bleiben. Darum geht es ja im Gebet. Nicht auf viele Worte kommt es da an, sondern darauf ständig "online" mit Gott zu sein – so würden wir heute in der Computer-Sprache sagen.
Dass das wirklich möglich ist, zeigt Jesus an einem sehr anschaulichen Gleichnis, das eine weitere Botschaft enthält. Er erzählt von einer Witwe, die um ihr Recht kämpft. Sie ist eine wehrlose Frau, hat keine Macht und keine guten Beziehungen. Und sie hat es mit korrupter Justiz zu tun, mit einem Richter, der sich um das Recht der Armen und Ohnmächtigen einen Dreck schert.
Jesus hat sicher solche Frauen aus dem Volk gekannt, die sich nicht von den Mächtigen einschüchtern ließen. Offensichtlich hat er für sie eine große Wertschätzung. Er bewundert ihren Mut, wie sie ihr Leben riskieren um gegen Unrecht und Gewalt zu kämpfen, ohne Geld, ohne Waffen, einfach nur mit Zivilcourage. Solche Furchtlosigkeit vor den Mächten dieser Welt hat Jesus von klein auf an seiner Mutter Maria erlebt.
Mir kommen dabei die Mütter von der Plaza de Mayo in den Sinn. Als in Argentinien die Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 bis zu 30.000 Menschen verschwinden ließ, haben die Mütter der Verschwundenen begonnen, still auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast in Buenos Aires zu protestieren. Wie die Witwe im heutigen Gleichnis, riskierten sie ihr Leben. Unerschrocken riefen sie: Wo sind unsere Söhne? Ihr täglicher, unermüdlicher, mutiger Protest hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Verbrechen der Militärdiktatur aufgeklärt wurden. Sie haben "ohne Unterlass gebetet", gefordert, dass Gerechtigkeit geschieht. Und sie hatten schließlich Erfolg gegen das Unrecht, wie die Witwe im Gleichnis Jesu.
Was will uns Jesus durch diese tapfere Frau sagen? Sie ließ nicht locker. Sie ließ sich durch keine Schwierigkeit entmutigen, durch keine Abweisung einschüchtern. Der üble, korrupte Richter gibt ihr schließlich Recht, weil er vor ihr Angst bekommt; so wie die Diktatoren in Argentinien vor den Müttern in ihren weißen Kopftüchern. Die doppelte Botschaft lautet: Hochachtung vor solchem Mut! Und: Wenn wir wirklich beten lernen wollen, sollten wir uns an dieser Ausdauer ein Beispiel nehmen. Dran bleiben und nicht locker lassen!
In jener Zeit sagte Jesus ihnen durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten: In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Feind! Lange wollte er nichts davon wissen. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; trotzdem will ich dieser Witwe zu ihrem Recht verhelfen, denn sie lässt mich nicht in Ruhe. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht. Und der Herr fügte hinzu: Bedenkt, was der ungerechte Richter sagt. Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?