Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Palmsonntag, 13. April 2014.
Palmsonntag: Palmkatzerln, Palmzweige, Palmprozession. So will es der alte Brauch. Er ist schön und bewährt, und er soll immer seinen Platz haben. Wenn ich heute am Graben nahe dem Stephansdom die vielen Palmzweige segne, die mir entgegengestreckt werden, bewegt mich das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem ganz besonders. Es hat so viel für heute zu sagen. Es ist so aktuell.
Jesus will ganz offensichtlich seine Ankunft in Jerusalem "inszenieren". Er wählt dazu uralte Zeichen, die den Menschen damals vertraut waren. Er nimmt dazu nicht das Pferd. Es war ein Zeichen der Macht, hoch zu Ross in eine Stadt einzureiten. So kamen siegreiche Feldherren, so selbstbewusste Herrscher. Jesus besteigt erst recht nicht einen Streitwagen, wie ihn die Krieger für ihre Schlachten oder die Helden der Wagenrennen im römischen Zirkus verwendeten.
Ganz bewusst wählt Jesus eine Eselin, ein bescheidenes Lasttier, mit seinem Jungen, seinem Fohlen. Sie gehören nicht einmal ihm. Er leiht sie sich aus. Aber diese äußerste Bescheidenheit ist zugleich eine klare Botschaft. Jeder verstand sie damals: Jesus macht klar, dass er als König in Jerusalem einzieht. Nicht wie die Armee des römischen Kaisers, mit Waffenklirren und lauten Fanfaren. Er ist ein anderer König. Der Prophet Sacharja im Alten Testament hatte ihn so angekündigt: "Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig, und er reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen."
Als dieser König kommt Jesus. Alle haben seine Gesten verstanden. Alle sind voller Hoffnung. Der verheißene Friedenskönig kommt. Daher die Begeisterung. Daher die Zweige von den Bäumen und die lauten Hosanna-Rufe.
Wer freilich auf diese Weise König sein wird, wird sich schwerlich gegen die militärischen und wirtschaftlichen Mächte behaupten können. So erging es dann auch Jesus. Wenige Tage später hing er ohnmächtig und qualvoll am Kreuz, mit dem Titel: Jesus von Nazareth, König der Juden.
Und doch war sein Einzug in Jerusalem auf einer machtlosen, armseligen Eselin letztlich erfolgreicher als alle Heere der Großen. Sie können Länder erobern, aber keine Herzen. Sie können ihre Macht spüren lassen, aber die Liebe der Menschen können sie mit keiner Gewalt gewinnen.
Für mich ist der Einzug Jesu in Jerusalem so etwas wie ein Muster für gelungene Begegnung, eine Anfrage an uns, wie wir uns selber gebärden, wie wir uns darstellen und wie wir auf andere zugehen. Jesus "erobert" nicht mit Gewalt, sondern gewinnend. Ahmen wir ihm nach? Wie viel "Imponiergehaben" verwenden wir, um uns durchzusetzen, um andere einzuschüchtern?
Jesus kommt als König, "um zu dienen und sein Leben hinzugeben". Wie weit gelingt es uns, die Macht und Autorität, die wir haben, nicht dazu zu verwenden, um über die anderen zu herrschen, sondern ihnen zu dienen? Bei den Palmzweigen, die heute gesegnet werden, sollten wir auch daran denken.
Matthäus 21,1-11
Als sich Jesus mit seinen Begleitern Jerusalem näherte und nach Betfage am Ölberg kam, schickte er zwei Jünger voraus und sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor euch liegt; dort werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr. Bindet sie los, und bringt sie zu mir! Und wenn euch jemand zur Rede stellt, dann sagt: Der Herr braucht sie, er lässt sie aber bald zurückbringen. Das ist geschehen, damit sich erfüllte, was durch den Propheten gesagt worden ist: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig, und er reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers. Die Jünger gingen und taten, was Jesus ihnen aufgetragen hatte. Sie brachten die Eselin und das Fohlen, legten ihre Kleider auf sie, und er setzte sich darauf. Viele Menschen breiteten ihre Kleider auf der Straße aus, andere schnitten Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Leute aber, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe! Als er in Jerusalem einzog, geriet die ganze Stadt in Aufregung, und man fragte: Wer ist das? Die Leute sagten: Das ist der Prophet Jesus von Nazaret in Galiläa.