Bis 15. Oktober 2015 tagen Bischöfe aus aller Welt in Rom bei der Weltbischofssynode zum Thema Ehe und Familie. Kardinal Christoph Schönborn moderiert bei der Weltbischofssynode im Vatikan die Diskussionen des "deutschsprachigen Kreises".
Bis 15. Oktober 2015 tagen Bischöfe aus aller Welt in Rom bei der Weltbischofssynode zum Thema Ehe und Familie. Kardinal Christoph Schönborn moderiert bei der Weltbischofssynode im Vatikan die Diskussionen des "deutschsprachigen Kreises".
Autorisierte Zusammenfassung eines ausführlichen Interviews des Wiener Erzbischofs für italienische Jesuiten-Zeitschrift "Civilta Cattolica" über Themen der Familiensynode.
Kardinal Christoph Schönborn nimmt als von Papst Franziskus persönlich ernanntes Mitglied seit Sonntag, 4. Oktober 2015 an der Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode über Ehe und Familie teil. Zu den Themen der Synode hat der Erzbischof von Wien im September in einem ausführlichen Interview in italienischer Sprache mit Antonio Spadaro für die in Rom erscheinende Jesuiten-Zeitschrift "Civilta Cattolica" Stellung bezogen.
"Kathpress" dokumentiert im Folgenden eine autorisierte Übersetzung und Zusammenfassung des Interviews mit den zentralen Aussagen von Kardinal Schönborn.
An die Weltbischofssynode über Ehe und Familie knüpfen sich hohe Erwartungen. Hinschauen ist vielleicht ein Zentralwort dieser Synode: Hinschauen auf die im Evangelium dargelegten Wurzeln unserer Überzeugungen in diesem Bereich, aber auch Hinschauen auf die Lebenswirklichkeit, Hinschauen auf die Geschichtlichkeit von Ehe und Familie an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten. Und vor allem eines: Immer im Auge behalten, dass das eigentliche Ziel das Glück des Menschen ist. Gott will, dass die Menschen glücklich werden. Das kann man beim Heiligen Thomas von Aquin nachlesen. Daran können sich getrost alle Christen orientieren, auch die Bischöfe aus aller Welt, wenn sie zusammenkommen, um gemeinsam über Ehe und Familie in der Welt von heute nachzudenken.
Wovor wir uns hüten müssen, ist die Formel "alles oder nichts". Das Zweite Vatikanische Konzil hat in seinem Nachdenken über die Kirche im Dokument "Lumen Gentium" festgestellt, dass die Kirche Christi in der katholischen Kirche "subsistit", gleichsam verwirklicht ist in dieser Kirche, die unter der Leitung des Petrus-Nachfolgers und der Bischöfe in Gemeinschaft mit ihm steht, dass es aber auch außerhalb des Gefüges der katholischen Kirche "vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit" gibt - in den anderen christlichen Kirchen, sogar auch in den anderen Religionen. Man hat sich also nicht darauf konzentriert, was den "anderen" nach unserer Auffassung fehlt, sondern darauf, was es dort an positiven Ansätzen gibt.
Diese Betrachtungsweise sollte auch auf die Ehe angewandt werden, die ja "Kirche im Kleinen" ist. Das heißt: Das Ehesakrament wird dort voll verwirklicht, wo ein Mann und eine Frau miteinander in einer sakramental geschlossenen Ehe im Glauben leben. Das schließt nicht aus, dass es - außerhalb dieser vollen Verwirklichung des Ehesakraments - positive Elemente gibt, die gleichsam Signale des Aufbruchs sind. Zum Beispiel ist die zivil geschlossene Ehe mehr als eine simple Lebensgemeinschaft. In der Zivilehe gibt es eine größere Verpflichtung, mehr Verbindlichkeit als in der Lebensgemeinschaft. Die Partner verpflichten sich vor der Gesellschaft und voreinander, in einem Bund, der auf Rechten und Pflichten beruht. Die Kirche sieht das als einen Fortschritt gegenüber der simplen Lebensgemeinschaft. Die Nähe zum sakramentalen Ehebund ist größer. Es ist gleichsam ein Versprechen, ein Signal der Erwartung. Statt auf das zu verweisen, was fehlt, kann man sich dieser Lebenswirklichkeit auch annähern, indem man feststellt, was es an Positivem in dieser sich stabilisierenden Liebe gibt.
Im Evangelium sagt Jesus zwei Mal von Menschen, die nach damaligen Maßstäben als Heiden galten, einen solchen Glauben habe er in Israel noch nie gefunden. Ebenso ist es mit den Lebensgemeinschaften: Auch dort gibt es wahren Heroismus, wahre Zuneigung, wahrhafte gegenseitige Hingabe. Auch wenn wir sagen "Das ist noch nicht volle Verwirklichung des Ehesakraments", wird man einräumen müssen, dass es hier "Elemente der Wahrheit und der Heiligung" gibt. Die Aufgabe der Kirche ist es, diese Menschen auf dem Weg des Wachstums zu begleiten.
Wir müssen uns auch eingestehen, dass die objektiven Kriterien nicht die ganze Lebenswirklichkeit erfassen können. Ein Beispiel: Ein geschiedener Mann und eine Frau heiraten zivil. Die Ehe erweist sich als Fehlschlag. Sie findet einen neuen Partner, der noch nicht verheiratet war. Sie schließen eine kirchliche Ehe. Das ist alles korrekt. Aber was wäre gewesen, wenn die erste Ehe dieser Frau mit einem ledigen Mann in der Kirche geschlossen worden und trotzdem in die Brüche gegangen wäre? Dann wäre ihre zweite Verbindung irregulär gewesen. Das verweist darauf, dass man auf die komplexen Lebenssituationen achten muss. Es gibt Fälle, in denen Menschen erst im zweiten oder dritten "Anlauf" wahrhaft den Glauben und das Miteinander im Glauben entdecken.
Die objektiven Kriterien besagen klar, dass ein noch durch eine kirchlich geschlossene Ehe gebundener Mensch nicht voll am sakramentalen Leben der Kirche teilnehmen kann, wenn er eine zweite Verbindung eingeht. Aber es kann sein, dass ein solcher Mensch seine Situation als Bekehrung erlebt, als Entdeckung der Wahrheit in seinem Leben - bis zu dem Punkt, dass man sagen könnte, um des Glaubens willen muss man einen Schritt über die objektiven Regelungen hinaus gehen.
Hier begegnen wir der Vorstellung aus bestimmten Strömungen der moraltheologischen Tradition, dass Handlungen - wie etwa die neuerliche zivile Eheschließung von Geschiedenen - "in sich schlecht" (intrinsece malum) sind. Eine falsche Auffassung des "intrinsece malum" unterdrückt die Diskussion über die Umstände und die immer komplexen Lebenssituationen. Auf diese Weise verbaut man sich den globalen Blick auf die dramatischen Konsequenzen der Scheidungen: die Folgen im ökonomischen, pädagogischen, psychologischen usw. Bereich. Die Obsession des "intrinsece malum" hat die Debatte so sehr verarmen lassen, dass uns viele Argumente zu Gunsten der Einmaligkeit der Ehe, der Unauflöslichkeit, der Offenheit für die Weitergabe des Lebens, ja des menschlichen Fundaments der kirchlichen Lehre verloren gegangen sind.
Zweifellos: Wenn es eine gültige Eheschließung gegeben hat, bleibt eine zweite Verbindung irregulär. Aber es gibt die Dimension der spirituellen und pastoralen Begleitung der betroffenen Personen, bei der man zwischen "alles oder nichts" unterscheiden muss. Man kann eine irreguläre Situation nicht in eine reguläre umwandeln. Aber es gibt Wege der Heilung, der Vertiefung, Wege, in denen das Gesetz Schritt nach Schritt gelebt wird. Es gibt auch Situationen, in denen der Priester, der Begleiter, der das Innere der Menschen im "forum internum" kennt, sagen kann: "Eure Situation ist so, dass ich - in eurem Gewissen und in meinem Gewissen als Hirte - euren Platz im sakramentalen Leben der Kirche sehe".
Solche Entscheidungen dürfen nicht leichtfertig getroffen werden. Es wird immer Pflicht des Hirten sein, einen Weg zu finden, der der Wahrheit und dem Leben der Menschen entspricht, die er begleitet - ohne deshalb allen erklären zu können, warum diese Menschen eine bestimmte Entscheidung statt einer anderen treffen.
Papst Franziskus hat auch den österreichischen Bischöfen aufgetragen, die Menschen zu begleiten. Der Weg der Begleitung bedeutet auch, sich dem in der Öffentlichkeit verbreiteten Test für das Pontifikat des Papstes zu verweigern: "Wird er jetzt barmherzig gegenüber jenen sein, die in irregulären Situationen leben?" Man erwartet Generallösungen, aber die Haltung des Guten Hirten besteht darin, Menschen, die eine Scheidung und eine neue Eheschließung erlebt haben, in ihrer persönlichen Situation zu begleiten. Es geht um die Wunden und das Leiden. Es geht darum, hinzuschauen, bevor man urteilt. Vor allem: Wenn von Barmherzigkeit die Rede ist, geht es in erster Linie nicht um die Barmherzigkeit der Kirche, sondern um die Barmherzigkeit gegenüber den Kindern. Daher muss die erste Frage sein: "Habt ihr die Last eures Konflikts auf die Schultern eurer Kinder geladen?" Denn sehr oft müssen die Kinder ein Leben lang die Last der Konflikte und des Scheiterns der Ehe der Eltern tragen.
Man spricht aber auch sehr wenig über die vielen Menschen, die nach einer Scheidung allein bleiben, die von ihrem Partner verlassen werden. Gibt es in der Kirche genug Aufmerksamkeit für diese Menschen? Werden sie begleitet? Es gibt auch Fragen an die wiederverheirateten Geschiedenen: Haben sie sich um Versöhnung mit dem Ehepartner bemüht, den sie verlassen haben? Oder sind sie in die neue Verbindung mit der ganzen Last ihrer Bitterkeit eingetreten? Und die heikelste Frage, die niemand an ihrer Stelle beantworten kann: Wie steht ihr Gewissen vor Gott? Sie haben lebenslange Treue versprochen, sie haben das Scheitern erlebt. Es geht nicht darum, ein Schuldgefühl zu erzeugen, aber die Frage bleibt.
All das kann und muss vorbereiten auf einen Weg der Demut. Es geht nicht darum, die Frage des Zugangs zum sakramentalen Leben der Kirche in der Perspektive der Forderung zu sehen, sondern als Einladung zu einem Weg der Bekehrung, der neue Dimensionen der Begegnung mit Christus eröffnet, der "reich an Barmherzigkeit" ist. Und man muss das Positive sehen, das es auch in den schwierigsten Situationen, in Situationen des Elends gibt. In den "patchwork"-Familien gibt es oft Beispiele überraschender Großzügigkeit, auch wenn manche daran Anstoß nehmen. Man kann von Personen, die objektiv in irregulären Situationen leben, etwas lernen. Papst Franziskus will uns dazu erziehen.
Man kann und muss Entscheidungen zum Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Verbindung respektieren, auch den Wunsch nach gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz dieser Verbindung. Aber wenn man von der Kirche verlangt, solche Verbindungen als Ehe zu bezeichnen, dann muss sie sagen: Das können wir nicht (non possumus). Das ist keine Diskriminierung der Personen: Unterscheidung heißt nicht Diskriminierung. Das "non possumus" hindert nicht an großem Respekt, Freundschaft, Zusammenarbeit mit Paaren, die diese Art der Verbindung leben, vor allem hindert es nicht, sie nicht zu verachten.
Wenn ein homosexueller Mensch jahrelang wechselnde Erfahrungen mit unterschiedlichen Partnern hat und dann eine stabile Bindung eingeht, ist das eine Verbesserung, wenn nicht anders, so doch auf der menschlichen Ebene: Nicht mehr wechseln von einem zum anderen, sondern sich in einer Beziehung stabilisieren, die nicht nur auf der Sexualität beruht. Man teilt das Leben, man teilt Freud und Leid, man hilft einander gegenseitig. Man muss anerkennen, dass ein solcher Mensch einen wichtigen Schritt für sein eigenes Wohl und für das Wohl der anderen unternommen hat, auch wenn es sich zweifellos um eine Situation handelt, die die Kirche nicht als regulär betrachten kann. Das Urteil über die homosexuellen Akte als solche ist notwendig, aber die Kirche soll nicht zuerst ins Schlafzimmer schauen, sondern ins Wohnzimmer. Es ist notwendig, die Menschen zu begleiten.
Papst Benedikt XVI. hat in seiner Lehre in großartiger Weise gezeigt, dass das christliche Leben in erster Linie nicht eine Moral ist, sondern eine Freundschaft, eine Begegnung mit einer Person. In dieser Freundschaft lernen wir, wie wir uns verhalten sollen. Wenn wir sagen, dass Jesus unser Lehrer ist, dann heißt das, dass wir direkt von ihm den Weg des christlichen Lebens lernen. Das ist nicht ein Katalog einer abstrakten Doktrin oder ein Rucksack voller schwerer Steine, den wir tragen müssen, sondern eine lebendige Beziehung. Im Leben und in der Praxis der Nachfolge Christi zeigt dieser christliche Weg seine Richtigkeit und seine Früchte der Freude. Die ganze Lehre der Kirche gewinnt Sinn nur in einer lebendigen Beziehung mit Jesus, in der Freundschaft mit Ihm und in der Fügsamkeit gegenüber der Führung durch den Heiligen Geist. Das ist die Kraft der Gesten von Papst Franziskus. Er lebt das Charisma der Jesuiten und des Heiligen Ignatius, verfügbar zu sein im Hinblick auf die Bewegungen des Heiligen Geistes. Es ist auch die klassische Lehre des Heiligen Thomas über das neue Gesetz, das Gesetz Christi, das kein äußeres Gesetz ist, sondern das Werk des Heiligen Geistes im Herzen des Menschen. Das Leben lehrt uns die Lehre, mehr als uns die Lehre das Leben lehrt.
Die Lehre der Kirche ist die Lehre des Guten Hirten. In der Haltung des Glaubens gibt es keinen Gegensatz zwischen "doktrinär" und "pastoral". Die Lehre ist keine abstrakte Äußerung ohne Bindung an das, "was der Geist den Kirchen sagt" (Apg 2,7). Die Seelsorge ist keine mindere, pragmatische Verwirklichung der Lehre. Die Lehre ist die des Guten Hirten, der in seiner Person den wahren Weg des Lebens aufzeigt, es ist die Lehre einer Kirche, die auf ihrem Weg allen entgegenkommt, die auf die Gute Nachricht warten, eine Erwartung, die bisweilen tief im Herzen verborgen ist. Die Seelsorge ist Heilslehre in actu, Wort des Lebens des "Guten Meisters" für die Welt. .. Die Lehre ohne Seelsorge ist nur eine "lärmende Pauke" (1 Kor 13,1). Seelsorge ohne Lehre ist nur "was die Menschen wollen" (Mt 16,21). Die Lehre ist in erster Linie die Gute Nachricht: "Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat" (Joh 3,16). Es ist die Verkündigung der fundamentalen Wahrheit des Glaubens: Gott hat Barmherzigkeit geübt. Alles, was die Kirche lehrt, ist diese Botschaft, die sich in der Folge in ergänzende Lehren übersetzt, in eine Hierarchie sowohl der dogmatischen wie der moralischen Wahrheiten. Wir müssen uns ständig auf das Kerygma beziehen, auf das, was wesentlich ist und unserem ganzen lehrmäßigen Gefüge, vor allem der Morallehre, Sinn verleiht.
Papst Franziskus ruft die Bischöfe zu einer wahrhaften pastoralen Bekehrung. In der Schlussansprache der außerordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode hat er sehr schön zusammengefasst, was er meinte, als er davon sprach, dass die Erfahrung der Synode eine Erfahrung von Kirche ist, eine Erfahrung der einen, heiligen, katholischen, apostolischen Kirche, die aus Sündern besteht, die Seiner Barmherzigkeit bedürfen. Es ist eine Kirche, die keine Angst hat, mit Dirnen und Sündern zu essen und zu trinken. Der Papst bringt das Gleichgewicht, das diese pastorale Bekehrung charakterisieren muss, perfekt zum Ausdruck. Am Ende dieser Ansprache standen alle spontan auf, es gab einhelligen und intensiven Applaus. Alle haben gespürt, dass es der Papst war, Petrus, der gesprochen hat.
Die Weltbischofssynode 2015 auf www.erzdioezese-wien.at
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