Ausdruck einer anderen Zeit: Kardinal König 1964 mit der später abgeschafften Kardinalsschleppe („Cappa magna“)
Ausdruck einer anderen Zeit: Kardinal König 1964 mit der später abgeschafften Kardinalsschleppe („Cappa magna“)
Heuer vor 60 Jahren begann die „Ära König“.
Eine Serie darüber, wie aus dem Gestern das Heute wurde.
Im Rückblick erscheint die „Ära König“ vielleicht als ruhige Zeit. Aber die fast 30 Jahre vom Amtsantritt Franz Königs als Wiener Erzbischof 1956 bis zu seinem Abschied 1985 waren alles andere als ruhig. Sie waren eine Umbruchzeit für Gesellschaft und Kirche.
Freilich: Als der St. Pöltner Weihbischof Franz König vor 60 Jahren, am 9. Mai 1956, von Papst Pius XII. zum neuen Erzbischof von Wien ernannt wurde, da war es noch ganz die „gute alte Zeit“, mitten im ungebrochenen Optimismus der Wiederaufbauzeit und des Wirtschaftswunders.
Die Dörfer waren noch richtige Dörfer. Pendeln war mühsam und teuer, Von 100 Österreichern besaßen nur drei ein Auto. Das Fernsehen hatte gerade erst den Probebetrieb aufgenommen, kaum jemand hatte zuhause einen Bildschirm.
Wenn sich auch erste Risse in der bildungsbürgerlichen Wertewelt zeigten – der „Halbstarke“ wurde heftig diskutiert, die Rockmusik begann mit Elvis Presleys Durchbruch in den USA („Heartbreak Hotel“), James Dean hat seine große Zeit, und Brigitte Bardot brachte unerhörte Erotik auf die Leinwand – so war doch alles wohlgeordnet und wirkte stabil.
Die katholische Kirche stand damals auf dem Höhepunkt ihres Ansehens. Ihre Mobilisierungskraft in einer Zeit, in der die Menschen Heimat in großen Institutionen suchten, war enorm.
Wenige Tage nach Franz Königs Ernennung kamen zum Beispiel 20.000 Mitglieder der Katholischen Jugend zum „Bekenntnistag“ nach Schönbrunn und marschierten dann die Mariahilferstraße entlang zum Ring, „die Burschen in weißen Hemden und langen, dunklen Hosen, die Mädchen in geschmackvollen Dirndlkleidern“, in wohlgeordneten Kolonnen, gesäumt von einem „dichten Spalier von Wienern“, wie das Kirchenblatt vermerkt.
Der Katholikenanteil lag damals stabil bei 90 Prozent der Bevölkerung. Der Kirchenbesuch war anhaltend hoch: Fast 500.000 Menschen kamen am Sonntag in der Erzdiözese Wien in die Messe: fast jeder dritte Katholik.
Von theologischen Auseinandersetzungen war noch kaum etwas zu hören. Im Kirchenblatt ging es eher um Fragen, wie die, ob man bei der Kommunion eine einfache oder doppelte Kniebeuge zu machen habe (die einfache genügt).
Die Kirche teilte sich nicht in progressiv oder konservativ, sondern in eine Kirche des freien Westens und in eine Märtyrerkirche des Ostens, der viel Sorge und Gebet gewidmet wurde.
Auch im Ringen um eine neue österreichische Identität – gerade erst war das Land von den Besatzungsmächten verlassen worden - wurde der katholischen Kirche allseits eine wichtige Rolle zuerkannt.
Besondere Bedeutung hatte der Stephansdom, dessen Wiederaufbau von allen neuen Bundesländern mitgetragen wurde. Die Fahrt der 1952 neugegossenen Pummerin von Oberösterreich nach Wien wurde ebenso als katholischer wie als rot-weiß-roter Triumphzug stilisiert. Tausende säumten die Straßenränder und jubelten der „Königin Österreichs“ zu.
Selbst der als Identitätsstifter gerade wichtig gewordene Skisport zahlte ins Ansehen der Kirche ein. Konnte man doch stolz vermerken, dass Toni Sailer, der Held der Winterolympiade 1956, „durch seinen kindlich frommen Glauben und sein praktisches Christentum Inbegriff der neuen Jugend“ sei. Immerhin versäumte der Skistar keine Sonntagsmesse und ging monatlich „zu den Sakramenten“, erzählte die Kirchenzeitung.
Kurz: Es war eine Zeit, in der die Volkskirche noch stark und lebendig war und das Katholischsein eine Selbstverständlichkeit, die mit dem neuen Patriotismus Hand in Hand ging – auch wenn (oder vielleicht gerade weil) die Kirche selbst sich von allen Versuchungen der politischen Dominanz verabschiedet hatte. Man wollte „eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft“ sein.
Als Kardinal König 30 Jahre später seinen Nachfolger Hans Hermann Groer zum Erzbischof weihte, war die Welt eine ganz andere geworden.
Nun hatte nahezu jeder Haushalt mindestens ein Auto und ein Fernsehgerät, was den Alltag völlig veränderte. Mit dem Commodore 64 und dem Apple Macintosh hatten sogar schon die ersten Computer Einzug in die Haushalte gefunden. Im Kino waren bereits die ersten drei Star-Wars-Filme gelaufen (30 Jahre davor hatte Heinz Rühmann noch „Charleys Tante“ gespielt).
Die Sowjetunion, die 1956 mit der Niederschlagung des Ungarnaufstandes ihre Macht demonstriert hatte, lag 1986 schon trotz Gorbatschows Glasnost und Perestroika in den letzten Zügen.
Das war aber nicht der einzige große Umbruch dieser Jahrzehnte. 68er-Revolte und die Antibabypille, der fundamentalistische Islam, die Ölkrise, die Emanzipation der Frauen, Baader-Meinhof und Rote Brigaden...
An der Kirche war der gesellschaftliche Wandel nicht spurlos vorübergegangen. 1957 war das Jahr des stärksten Kirchenbesuchs in der Zweiten Republik. Seitdem hat die Zahl der Messbesucher kontinuierlich abgenommen. Als Kardinal König seinen Abschied nahm, zählte man nicht mehr fast 500.000, sondern nur noch 275.000 bei einer gewöhnlichen Sonntagsmesse, das war nur noch jeder sechste Katholik (seitdem ist die Zahl weiter auf etwa 120.000 gesunken).
1971 war die Höchstzahl an Katholiken in der Erzdiözese erreicht worden (knapp zwei Millionen), von da an ging es wegen Pillenknick und seltener werdenden Taufen bergab. Ab 1980 verdoppelten sich auch die Kirchenaustritte, bis dahin etwa 10.000 pro Jahr. Die Zahl der katholischen Trauungen hatte sich halbiert, die der Taufen war um ein Viertel zurückgegangen. Das Priesterseminar, das in den 60ern eine Rekordzahl an Weihen gesehen hatte, begann sich schon Ende der 60er zu leeren. Trotzdem konnte die Priesterzahl auch durch Zuzüge fast unverändert gehalten werden.
„Glauben Sie nicht, dass die Konstantinische Ära der Kirche vor unseren Augen zu Ende geht?“, hatte der alte Kardinal König einmal zum Theologen Paul Zulehner gesagt.
In der Tat dürfte diese Ära des Staatskirchentums, in der das Katholischsein nicht persönliche Entscheidung, sondern Selbstverständlichkeit war, in Österreich nach 1000 Jahren ein Ende gefunden haben.
Aber die Kirche erlitt nicht nur ihr Schicksal, sondern versuchte, den Umbruch aktiv zu gestalten und wandelte sich aus eigenem Antrieb – wenn auch manchmal langsamer, als manche gehofft hätten.
Das Zweite Vatikanische Konzil stellte die Weichen neu. In den späten 60er-Jahren erneuerte die Liturgiereform die Messfeier.
Im Gefolge des Konzils wurden die Pfarrgemeinderäte eingerichtet und eine Diözesansynode abgehalten, aus der unter anderem die Einteilung der Erzdiözese in drei Vikariate hervorging.
Unter Kardinal König stieg nicht nur die Zahl der Religionslehrer stark an, er führte auch das vom Konzil wiederbelebte ständige Diakonat in Wien ein. 1971 gab es die ersten Weihen, 1985 versahen schon 80 Diakone ihren Dienst. Die Zahl der Pastoralassistenten stieg stetig, und zehntausende Laien wurden als Lektoren, Kommunionhelfer und Wortgottesdienstleiter geschult. Viele Kirchen wurden in neuen Wiener Wohngebieten errichtet
Nein, ruhig war sie nicht, die Zeit Kardinal Königs. Vier Päpste hat er mitgewählt.
In seine Zeit fallen die Anfänge der Befreiungstheologie ebenso wie vieler neuer Bewegungen und der erstarkten Ökumene.Den Auszug der Piusbrüder erlebte König ebenso wie den Beginn der Weltjugendtage.
Aufbrüche und Abbrüche, vor allem aber Umbrüche:
Der SONNTAG wird in loser Folge Zeitzeugen zu dieser Ära befragen, um ein Kapitel Kirchengeschichte lebendig zu erhalten, das uns heute noch prägt.
Die Eckdaten zur Ära König
1905 Geburt Franz Königs
1932 Theodor Innitzer wird Erzbischof von Wien
1933 Priesterweihe Franz Königs
1952 König wird Weihbischof-Koadjutor in St. Pölten
1955 Tod Kardinal Innitzers
1956 König wird Erzbischof von Wien
1958 König wird zum Kardinal ernannt
1962-65 Zweites Vatikanisches Konzil, König ist Konzilsteilnehmer
(Artikel zu 50 Jahre II. Vatikanischen Konzil auf erzdioezese-wien.at)
1985 Rücktritt Königs als Erzbischof von Wien aus Altersgründen
1986 Weihe von Hans Hermann Groër als Erzbischof von Wien
1995 Christoph Schönborn wird Erzbischof von Wien
2004 Tod Kardinal Königs im 99. Lebensjahr
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