Im Gedenken an den Amtsantritt Franz Königs als Erzbischof von Wien vor 60 Jahren erinnern sich im SONNTAG Zeitzeugen und Wegbegleiter des vielgeliebten Wiener Kardinals an die damalige bewegte Zeit. Emer. Univ. Prof. Josef Weismayer (Weihejahrgang 1959) erzählt im Interview u. a. über die Umsetzung des Konzils in der Erzdiözese Wien und wie er zum ersten Mal als junger Priester vor einem Fernsehapparat saß.
DER SONNTAG: Sie wurden 1959 von Kardinal König zum Priester geweiht – er war gerade drei Jahre Erzbischof von Wien. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Josef Weismayer: In den Zeitraum meiner Priesterseminarzeit fiel der Bischofswechsel in der Erzdiözese Wien: Kardinal Theodor Innitzer verstarb im Herbst 1955, ich habe beim feierlichen Requiem im Dom assistiert.
Franz König, damals Bischof-Koadjutor von St. Pölten, wurde im Frühjahr 1956 zum Erzbischof von Wien ernannt. Allgemein war die Bestellung von Erzbischof-Koadjutor Franz Jachym zum Erzbischof erwartet worden.
Ich erinnere mich noch an die Amtseinführung von Erzbischof König, an den feierlichen Einzug von der Augustinerkirche in den Dom, er war nicht der „Volksbischof“ wie Kardinal Innitzer.
Die ersten Jahre waren für König selbst und für die Diözese eine Zeit des Kennenlernens, des Zusammenwachsens.
Für die Seminaristen war eine Veränderung des Klimas auch in der Ablöse des bisherigen Regens spürbar.
Sie haben in den 60er Jahren als Seelsorger und Religionslehrer in Guntramsdorf gewirkt. Wie war das religiöse Leben damals auf dem Land? Wie hat sich dieses in diesen Jahren auch verändert?
Josef Weismayer: Von 1959 bis 1962 war ich Kaplan in der Pfarre Guntramsdorf. Die „Südbahnlinie“ war eine sehr industrialisierte Zone Niederösterreichs, sie gehört nicht zu jenem Bereich, den man gemeinhin als „Land“ bezeichnet.
Es gab etliche Weinbauern, aber der Großteil der Bevölkerung gehörte zur Schicht der Arbeiter, die durch die gesellschaftliche Situation der 20er und 30er-Jahre noch kirchlich stark distanziert waren.
Seelsorge war in diesem Bereich nicht „leicht“.
Dann begann das Zweite Vatikanum – welche Erwartungen gab es? Wie haben Sie diese Phase wahrgenommen? Was waren die wichtigsten Folgen des Konzils?
Josef Weismayer: In der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils war ich von 1962 bis 1966 Lokalprovisor in Wultendorf, einer kleinen Pfarre im heute nicht mehr existierenden Dekanat Staatz.
Nach meiner Promotion zum Doktor der Theologie „sub auspiciis praesidentis“ 1962 sollte mir dieser Seelsorgsposten die Möglichkeit weiterer wissenschaftlicher Qualifikation ermöglichen. Das Weinviertel war zu dieser Zeit noch weitgehend durch die Landwirtschaft bestimmt.
Die Eröffnung des Konzils im Herbst 1962 konnte ich im Fernsehen miterleben, eine Familie, die damals schon ein Fernsehgerät besaß, hatte mich eingeladen. Es war übrigens meine erste Begegnung mit diesem Medium.
Die Nachrichten über das Konzil und seine Beratungen kamen eher bruchstückhaft. Ich erinnere mich aber besonders an die pointierten Radio-Kommentare des Schweizer Jesuiten Mario von Galli über das Konzilsgeschehen jeweils am Samstagabend.
Für die Pfarrgemeinde wurde das Konzil konkret durch die ersten Schritte der Liturgiereform. Es ging ja Schritt für Schritt, nicht in einem plötzlichen Umbruch.
An welche besonderen „Aufbrüche“ nach dem Konzil erinnern Sie sich in der Erzdiözese Wien? (z. B. spirituell, ökumenisch, interreligiös, …)
Josef Weismayer: Für die Erzdiözese Wien war die Diözesansynode von 1969 bis 1971 von ganz großer Bedeutung.
Kardinal König hatte Erzbischof Franz Jaychm die Leitung dieses Prozesses anvertraut, der die Umsetzung der Entscheidungen des Konzils auf die Ebene der Diözese in die Wege leiten sollte.
Es gelang damals, die gesamte Diözese in diesen Reflexionsprozess einzubeziehen. Die vorbereiteten Texte wurden in vielen Gesprächskreisen an der Basis, in den einzelnen Pfarrgemeinden durchgesprochen. Oft blieb von den Entwürfen „kein Stein auf dem anderen“.
Die heute so selbstverständliche Gliederung der Erzdiözese in drei territoriale Vikariate ist eine Frucht der Synode. Auch personell wurde die Leitungsebene der Diözese (Generalvikar, Ordinariatskanzlei, Schulamt) neu besetzt.
Der Geist des Konzils wirkte sich auch auf das Verhältnis zu den anderen christlichen Kirchen in Österreich aus. Dass heute in unserem Land ein sehr positives ökumenisches Klima herrscht, wäre ohne die Weichenstellungen des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht denkbar.
Kardinal König, der nach dem Konzil von Papst Paul VI. zum Vorsitzenden des Sekretariates für die Nichtgläubigen bestellt wurde, sorgte in Österreich für eine offene Gesprächssituation zu den politischen Parteien und den gesellschaftlichen Bewegungen.
Einen Umbruch bedeutete auch das Jahr 1968 – was bedeutete das für die Kirche von Österreich? Was sind Ihre Erinnerungen?
Josef Weismayer: Große europäische Bewegungen und Umbrüche kommen meist etwas schaumgebremst nach Österreich, aber sie kommen.
Der gesellschaftliche Umbruch wurde im studentischen Bereich sichtbar und in der Folge auch in der Schicht der „Gebildeten“.
Herkömmliche Werthierarchien wurden hinterfragt. Das gilt für die Situation von Glaube und Kirche in der Gesellschaft, für die Wertung von Ehe und Familie. Für den innerkirchlichen Bereich wurde der Umbruch auch im Abnehmen von geistlichen Berufen sichtbar und in einer großen Zahl von Amtsniederlegungen von Priestern wegen der Schwierigkeit, die versprochene Ehelosigkeit zu leben.
Prof. Weismayer, was bewegt Sie persönlich, wenn Sie an die Zeit unter Franz König als Erzbischof von Wien denken?
Josef Weismayer: Die kirchliche Atmosphäre war unter Kardinal König von einer großen Liberalität im positiven Sinn geprägt.
Auf der „Wiese der Kirche“ konnten viele Blumen blühen, um dies mit einem Bild auszudrücken. Nicht alles musste jedem gefallen. Viele Initiativen konnten ergriffen werden.
Aber offenkundig war dieser Stil für manche nicht „katholisch“ genug. Das war zur Zeit von Papst Johannes Paul II. auch die Meinung der römischen Kurie. Daher „musste“ mit der Ernennung des Nachfolgers ein Kurswechsel kommen, das Korsett wurde enger. Die Folgen waren bedrückend.
Emer. Univ. Prof. Josef Weismayer, 1936 in Wien geboren, wurde am 26. Juni 1959 von Kardinal Franz König im Stephansdom zum Priester geweiht.
Er wirkte als Seelsorger und Religionslehrer, 1962 erfolgte an der Universität Wien die Promotion „sub auspiciis“, 1974 die Habilitation.
Von 1997 bis zu seiner Pensionierung 2004 war er Ordinarius für Dogmatik an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien.
Als sein Hauptwerk gilt das Buch „Leben in Fülle. Zur Geschichte und Theologie christlicher Spiritualität“ (ISBN-13: 978-3702214746; Tyrolia Verlag).
Serie
"Kirche in bewegten Zeiten": Die Erzdiözese Wien unter Kardinal König; 1956 bis 1985.
Folge 1:
Es begann, als es noch kein Fernsehen gab von: Der SONNTAG / Michael Prüller
Folge 2:
Der richtige Mann zur richtigen Zeit von: Der SONNTAG / Annemarie Fenzl
Dokumente des II. Vatikanischen Konzils
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