Der Nikolo zu Besuch im Büro der Webredaktion. Ja wir waren brav!
Der Nikolo zu Besuch im Büro der Webredaktion. Ja wir waren brav!
Unser Kollege Nikolaus Haselsteiner hat sein umfangreiches Wissen über seinen Namenspatron zusammen gefasst:
Wer hat sich noch nicht gefragt, wer der Mann hinter den lustig verkleideten Menschen mit oder ohne Wattebart ist. Wie kommt es dazu, dass wir den Nikolo aus Milchschokolade verspeisen?
Der echte Nikolo war vor gut 1.700 Jahren ein Mann namens Nikolaus und obendrein Bischof in der Stadt Myra, jetzt heißt sie türkisch Demre. Wer sich mit der Lokalisierung schwer tut, dem hilft der Hinweis: Nur ein wenig westlich von Antalya, das als Cluburlaub-Destination bekannter ist, als als Wirkungsort des Apostel Paulus.
Da die Kirche ihn als Heiligen verehrt, wurde über seinem Grab eine Kirche errichtet. Zar Nikolaus, der auch die Wiener russisch orthodoxe Nikolauskathedrale errichten ließ, veranlasste eine Renovierung der alten Basilika. Von der Fassung des 19. Jahrhunderts ist allerdings nur noch wenig zu erkennen, denn die Türken haben vor ungefähr hundert Jahren – während der Vertreibung der dort lebenden Griechen - die Kirche komplett zerstört.
Da war der Heilige aber schon seit Jahrhunderten im italienischen Bari – also genau genommen seine Reliquien, seine Gebeine. Sie wurde von italienischen Rittern und Kaufleuten "gerettet". Im Grunde gestohlen. Wenn man sieht, wie es heute um die meisten christlichen Heiligtümer in der Türkei bestellt ist, neigt man fast dazu sich der Rettungsthese anzuschließen.
Die mittelalterlichen Texte sprechen von der Myrre oder dem Manna des heiligen Nikolaus, eine nach Rosen duftende Flüssigkeit, die aus den Gebeinen des Heiligen in großer Menge austritt. Der Hauptgeschäftszweig der Bürger von Myra rund ums Jahr 1000 war der Vertrieb dieses Mannas. Die jungen Ritter - zart besaitete Seelen sollten jetzt zum nächsten Absatz springen – sollen, so die Geschichte der Übertragung der Gebeine, den Sarkophag des Heiligen aufgebrochen haben und dann kniehoch im Manna gestanden sein und aus der Flüssigkeit die Knochen gefischt haben. Als die Bürger von Myra ihnen gegenüber geklagt hatten, dass sie doch nicht den Patron der Stadt stehlen können, meinten diese nur, dass die Myrre noch für Jahrhunderte reichen würde.
Wer sich nun für das Manna des hl. Nikolaus intensiver interessiert, dem sei eine Reise nach Apulien, nach Bari empfohlen, zur wirklich kunsthistorisch außergewöhnlich beeindruckenden romanischen Basilika des lykischen Bischofs. Unter dem Hauptschiff der Basilika findet man in der Krypta sein Grab und dort auch orthodoxe Kapellen, für Pilger und die albanisch-orthodoxe Minderheit, die dort seit Jahrhunderten lebt. Vis à vis befindet sich der Kathedralenshop, wo es kleine Fläschchen mit "manna di san Nicola" gibt und ganz Süditalien und meine Großmutter schwören auf die Lourdeswasser-ähnliche Wirkung.
Zurück aber zur historischen Persönlichkeit: Eigentlich stammte Nikolaus ja nicht aus Myra sondern aus Patara. Von dem hübschen antiken Städtchen gibt es aber nur noch Ausgrabungen nahe Gelemiş, das man nun auch wieder nicht kennen muss, auch wenn es dort wirklich sehr nette und wenig überfüllte Badestrände gibt und es von Myra nur einen Katzensprung entfernt ist. Wer sich in den Ausgrabungen bewegt, der kann eventuell türkische Archäologinnen treffen, die perfekt Deutsch sprechen und einen erklären können, dass sie zwar schon einige Ruinen byzantinischer Kirchen entdeckt haben, aber nicht mit Sicherheit sagen können, welche wohl über dem Geburtshaus des Wundertäters errichtet wurde.
Über den heiligen Nikolaus gibt es unendlich viele Legenden und Geschichten. Aus wohlhabendem christlichen Haus stammend, soll er schon in seiner Jugend die Armen mit diesem Vermögen unterstützt haben. Die drei Goldklumpen für die mittellosen Mädchen ist wohl die bekannteste Geschichte zu diesem Thema und der Grund warum - außer wegen des Gesundheits-fördernden Vitamin C die Orangen – am besten drei im modernen Nikolosackerl sind, sind sie definitiv billiger als echte Goldkugeln.
Als guter Bischof hat er sich auch für seine Gemeinde „voll eingesetzt“, das spürt man in der Geschichte der drei Jünglinge, Offiziere, die manchmal auch nur einer sind – da erkennt man die 1700 Jahre, die die Geschichte am Buckel hat – deren Leben er auf die eine oder andere Weise rettete, je nachdem in welchem buch man die Legende erzählt bekommt.
Eine meiner Lieblingsgeschichten ist aber definitiv jene, wo er bei der großen Dürre in Kleinasien den Kapitän des Schiffes, das aus Ägypten nach Konstantinopel zum Kaiser Weizen bringen sollte, dazu gebracht hat, einen Teil für die hungernden Menschen von Myra abzugeben. Als dieser meinte, es könnte ihn sein Leben kosten, wenn es dem Kaiser an Brot mangeln würde, da hat ihn Nikolaus beruhigt, dass nichts fehlen werde. Und so wurde das Vertrauen des Seemanns mit einer wundersamen Weizenvermehrung belohnt.
Wer nun von Wundern, wie Brotvermehrung, nicht so viel hält, hat eventuell mit katholischen Heiligen eh seine Not. Doch solche Geschichten gibt es nicht nur bei Christus am Ufer des Sees Genezaret selbst, sondern auch viel später beim hl. Don Bosco, der vor nicht einmal 200 Jahren auf ähnlich wundersame Weise gekochte Maroni für hungrige Straßenjungen reichlich vermehrt hat.
Eine Begebenheit des Lebens des lykischen Bischofs, die sicher eher nicht bekannt ist: Im heiligen Land zwischen Betlehem und Jerusalem gibt es eine kleine Kirche, die an jener Stelle steht, wo der junge Nikolaus einst als Eremit gelebt hat.
Weitgehend geschichtlich fundiert ist hingegen, dass Bischof Nikolaus als alter Mann am Konzil von Nicäa teilgenommen hat, hochverehrt, weil er in seiner Jugend noch die Christenverfolgung schmerzlich am eigenen Leib erlebt hatte, also in der Zeit nach Konstantin als Zeuge, als lebender Märtyrer gegolten hat und seine Meinung in der Bischofsversammlung besonderes Gewicht gehabt haben dürfte.
Schließlich noch ein eventuell verwirrendes Detail. Manche Historiker meinen, dass sich in der Lebensgeschichte des einen heiligen Nikolaus eigentlich zwei Viten verstecken, der nach dem Bischof verstorbene heilige Abt Nikolaus des Zionskloster knapp über der Stadt Myra könnte die Basis mancher asketischer Geschichten über den Heiligen sein.
Wenn man der Theorie folgt, stellt sich natürlich die Frage, wer war denn dann Einsiedler bei Bethlehem, wer hat die Mädchen beschenkt. Als Nikolaus, der seinen Namenstag am 6. Dezember feiert, kann man sich bei dieser aufkeimenden Unsicherheit damit trösten, dass man dann wohl zu den wenigen gehört, die zwei Namenspatrone am selben Festtag haben und so auch zwei Fürsprecher im Himmel. Vom heiligmäßigen Onkel und ebenfalls Bischof von Myra, der ebenso Nikolaus hieß, wollen wir lieber erst gar nicht reden.
Wie aus dem Heiligen Nikolaus nicht nur der Schoko-Nikolo, sondern der Weihnachtsmann „Santa Claus“ wurde, das ist wiederum eine andere Geschichte...
Gerettet wurden die Gebeine des Hl. Nikolaus von Kaufleuten aus Bari, so weiß man allgemein. Was nicht so bekannt ist, dass das nur jener Teil der Reliquien war, die im imposanten Sarkophag der Basilika gelegen sind. Unterm Altar in Myra, da war ein weiterer Teil der Reliquien. Und diesen haben die Venezianer kurze Zeit später (na sagen wir mal) auch gerettet, nach geschickten Verhandlungen (oder so). Und was die Griechen in Myra den Venezianern mit gegeben haben, das war der restliche und kleinere Teil der Gebeine des Hl. Nikolaus und die Gebeine zweier weiterer Bischöfe von Myra. Der eine war der Onkel des Hl. Nikolaus, auch ein Heiliger Nikolaus – also noch ein heiliger Nikolaus.
Wer eine Wallfahrt zum Hl. Nikolaus machen möchte, der kann also auch nach Venedig fahren. Genauer genommen auf den Lido. Gleich neben dem alten Flugplatz am Lido mit Blick auf die Lagune war ein einst prächtiges Kloster. Jetzt ist es eine klassische Stadtrandpfarre, mit eingeschränkten Öffnungszeiten (wie so oft in Venedig, leider). Früher hielten aber alle Schiffe, die Venedig verließen noch kurz beim Hl. Nikolaus um um Schutz und Hilfe zu bitten und bei der Rückkehr um dafür zu danken.
Eine Untersuchung im Auftrag des Vatikans in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ergab im Übrigen, dass die Gebeine in Venedig und in Bari vom selben Mann stammen und, dass was in Bari fehlt unterm Altar von San Nicolò di Lido ruht.
(40423)
Die Person, aber auch die Geschichten und Legenden rund um den heiligen Nikolaus haben Brauchtum und Kunst seit 1.700 Jahren beeinflusst.