Für das in der Pflege tätige Personal muss die Entlohnung und auch die Work-Life-Balance attraktiver gestaltet werden. Wenn über längere Zeit am Limit gearbeitet wird, steigen alle, die eine Alternative für sich finden, aus dem Beruf aus.
Für das in der Pflege tätige Personal muss die Entlohnung und auch die Work-Life-Balance attraktiver gestaltet werden. Wenn über längere Zeit am Limit gearbeitet wird, steigen alle, die eine Alternative für sich finden, aus dem Beruf aus.
„Care – menschenwürdige Pflege. Zwischen Pflegenotstand und Zukunftsmodellen“, so lautet das Thema der diesjährigen Industrieviertel-Akademie 2019 am 22. März von 18 bis 21 Uhr im Bildungszentrum St. Bernhard in Wiener Neustadt.
Der SONNTAG sprach mit Maria Schweighofer und Lilli Pöchl. (Fachhochschule Wiener Neustadt)
Stehen wir kurz vor einem Pflege-Notstand in Österreich oder haben wir ihn schon?
Lilli Pöchl: Die Definition von Notstand bedeutet: „Situation, in der ein Staat in Gefahr ist“. Bei Betrachtung der Bevölkerungspyramide für die nächsten 10 Jahre wird sich eine große Gruppe von Menschen im Alter zwischen 75 und 85 Jahren befinden und sich eine noch größere Gruppe von Erwerbstätigen, die heute im Gesundheitsbereich arbeiten, in Pension befinden. Bei dieser Betrachtung kann von einem Pflegenotstand gesprochen werden.
Als Conclusio ist zu sagen, dass hier die Politik gefordert ist, die Gesundheitsberufe, vor allem die Pflegeberufe, so attraktiv wie möglich zu gestalten, damit eine Vielzahl von jungen Menschen diesen Beruf wählt, um die steigende Pflegebedürftigkeit abzufangen.
Welche Rahmenbedingungen müsste die Politik schaffen?
Maria Schweighofer: Viele Rahmenbedingungen des österreichischen Gesundheitssystems sind im Vergleich zu anderen Ländern gut. Im Pflegebereich wurde durch die GuKG Novelle 2016 die rechtliche Grundlage für eine hohe Pflegequalität gelegt.
Mit der Akademisierung der Pflege in Österreich ist uns der internationale Anschluss gelungen. Damit dieses Gesetz in der Praxis positive Entwicklungen herbeiführt, und diese Entwicklungen auch mit dem steigenden Pflegebedarf mithalten können, braucht es laufend optimierte Rahmenbedingungen. Diese muss die Politik schaffen.
Hochqualifiziertes Personal und hohe Pflegequalität kosten Geld und Ressourcen. Ein Personalproblem ist die hohe Drop-out Rate von ausgebildeten Pflegepersonal aus dem Beruf. Für das in der Pflege tätige Personal muss die Entlohnung und auch die Work-Life-Balance attraktiver gestaltet werden. Damit das Pflegepersonal im Beruf bleibt und diesen auch gerne ausübt, muss genügend Personal im Arbeitsalltag da sein. Wenn über längere Zeit am Limit gearbeitet wird, steigen alle, die eine Alternative für sich finden, aus dem Beruf aus.
Es müssen die Personalschlüssel an die Belastungen der jeweiligen Abteilung angepasst werden und die zeitliche Bemessungen zu den zu Betreuenden passen. Für an Demenz erkrankte Menschen muss mehr Zeit selbstverständlich sein. Die Pflege hat viele Kompetenzen und Lösungsansätze um die österreichischen Bevölkerung pflegerisch zu versorgen.
Mein Wunsch an die Politik: Gemeinsame bundesweite Reformen abseits föderalistischer Interessen, wo auch die Wünsche und Anliegen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen eingebunden werden.
Ist Pflege weiblich?
Maria Schweighofer: Gerade die häusliche Pflege wird zu einem überwiegenden Teil von Frauen, die oftmals selbst bereits in einem höherem Alter sind, geleistet. Gesamt werden in Österreich rund 84% der Menschen mit Betreuungsbedarf zuhause versorgt, wobei ca. 30% die Ehe- Lebenspartner/innen die Versorgung übernehmen, rund 24% übernehmen die Töchter und rund 12% die Söhne, gefolgt von Schwiegertöchtern und Schwestern.
Damit übernehmen die Angehörigen, vor allem die weiblichen, viel Last. Laut einer Studie der Wirtschaftsuniversität von 2006 entlasten die Angehörigen das Gesundheitssystem um rund 3 bis 4 Milliarden Euro.
Auch im akutstationären Bereich ist der weibliche Anteil beim Pflegepersonal nach wie vor viel höher. Beim Pflegestudium können wir beobachten, dass der Männeranteil zunimmt. Seit der Akademisierung scheint die Pflege auch für Männer an Attraktivität zugenommen zu haben.
Welche realistischen Zukunftsmodelle gibt es?
Lilli Pöchl: Als realistische Zukunftsmodell würde ich einerseits generationsübergreifende Modelle sehen, die auch vielerorts schon teilweise gelebt werden, wie generationsübergreifende oder alternative Wohnformen und Betreuungseinrichtungen. Diese Formen sozialisieren bereits junge Menschen auf ein Miteinander im Alter.
Von Bedeutung wird auch der Ausbau der mobilen Dienste sein, da viele Personen ihren letzten Lebensabschnitt zu Hause verbringen möchten. Hierzu gibt es auch einen Interessanten Ansatz aus den Niederlanden. Dies ist ein innovatives Modell der Langzeitpflege, dass die Hauskrankenpflege revolutioniert.
Von besonderer Bedeutung wird die Versorgung von Menschen mit Demenz als gesellschaftliche Aufgabe darstellen. Die bereits bestehenden Demenzzentren müssen in Zukunft ausgebaut und flächendeckend vorhanden sein sowie fachspezifisch gut ausgebildetes und weitergebildetes Personal in allen Betreuungseinrichtungen eingesetzt werden.
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Mag. Lilli Pöchl und Mag. Maria Schweighofer (FH Wr. Neustadt, Studiengangsleitung Allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege, Lehrgangsleitung Basales und Mittleres Pflegemanagement und Lehrgangsleitung Praxisanleitung).
Das Programm der Industrieviertelakademie 2019 am 22. März im Bildungszentrum St. Bernhard:
17.30 Uhr Eintreffen bei Kaffee, Kuchen, Brot.
18 Uhr: Begrüßung.
18.10 Uhr: „Menschenwürdige Pflege – zwischen Notstand und Zukunftsmodellen“,
Impulsvortrag von Mag. Maria Schweighofer und Mag. Lilli Pöchl (FH Wr. Neustadt, Studiengangsleitung Allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege, Lehrgangsleitung Basales und Mittleres Pflegemanagement und Lehrgangsleitung Praxisanleitung).
19 Uhr: Gesprächsgruppen,
20 Uhr Plenumsgespräch,
20.30 Uhr. Agape.
Info:
Bildungszentrum St. Bernhard der Erzdiözese Wien
Domplatz 1,
2700 Wiener Neustadt,
Die Industrieviertel-Akademie ist eine Veranstaltung der Katholischen Aktion im Süd-Vikariat, des Bildungszentrums St. Bernhard, des Katholischen Bildungswerkes der Erzdiözese Wien und des SONNTAG.
weitere Informationen zu
die Zeitung der Erzdiözese Wien
Stephansplatz 4/VI/DG
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at