Weltkirche-Tagung ENCUENTRO 2019
Armut ist grausam und anstoßerregend
„Armut ist grausam, zerrüttet Gemeinschaften, verzerrt Leben und Geist.“ Elisabeth Karamat weiß, wovon sie spricht – seit Jahren betreut sie im Auftrag der Erzdiözese Wien von Armut und Gewalt geprägte Kinder und Jugendliche auf der Karibikinsel St.Kitts. Dass es grausame Armut auch mitten in einer Stadt wie Graz gibt, davon berichtete Pfarrer Wolfgang Pucher – bekannt als „Armenpfarrer“ und Gründer der VinziWerke – den staunenden Teilnehmer*innen: „800 Menschen ohne Dusche, ohne Waschmaschine, in einem Milieu von Kriminalität, Prostitution und Gewalt – der pure Slum in Graz!“ Armut erregt Anstoß bei den Nicht- (oder Noch nicht-) Armen, wie Pfarrer Pucher weiß: „Das Problem waren die Nachbarn, alles getaufte Christen – sie haben die Armen gehasst.“
An den Rand gedrängt
Wie kommt es, dass Menschen am Rand landen oder dorthin gedrängt werden? „Armut ist eine gesellschaftliche und subjektive Realität – sie wird von jedem und jeder mitbestimmt“ ist Pfarrer Pucher überzeugt. Ähnlich sehen das die Gäste von der Caritas Burkina Faso, Didier Ouedraogo und Odette Savadogo. Didier: „Der Rand entsteht durch unser Ego – wir wollen den besseren Platz.“ Und Odette ergänzt: „Der Rand ist auch eine Frage von Herrschaftsstrukturen – wenn Frauen in unserer männlich dominierten Gesellschaft ausgeschlossen und zwangsverheiratet werden oder den Bauern von Agrarkonzernen durch den massiven Aufkauf von Land die Lebensgrundlagen entzogen werden.“ Nicht zuletzt ist es eine Frage des globalen Wirtschaftssystems, das die Ungleichheit ständig reproduziert und verschärft – deutlich sichtbar am Klimawandel: „Die Bevölkerung Burkina Fasos lebt zu 80% von der Landwirtschaft und ist Leidtragende des Klimawandels, der von den Industriestaaten zu verantworten ist.“
© Fotos: Christian Zettl/Lukas Korosec
Vom Rand in die Mitte
Für Anja Appel, Geschäftsführerin der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission, geht es darum, die Machtverhältnisse zu verändern und Teilhabe und Mitbestimmung aller Menschen zu ermöglichen: „Wie wollen wir leben und unser Zusammenleben gestalten? ist eine Frage, die uns alle angeht. Ein Beispiel dafür sind die ‚partizipativen Budgets‘, wie sie ausgehend von Brasilien mittlerweile auch in europäischen Ländern, wie im Wiener Gemeindebezirk Margareten, umgesetzt werden: BürgerInnen beteiligen sich an der Ressourcenverteilung und bestimmen damit die Machtverhältnisse mit.“
Um die bestehenden Rand-Mitte-Verhältnisse zu verändern, braucht es auch eine Überwindung von Distanz und Grenzen. Pfarrer Pucher: „Papst Franziskus tut dies immer wieder und setzt damit Zeichen. Für unseren Alltag heißt es achtsam zu bleiben: Gibt es da jemanden, der ausgegrenzt wird? Wie können wir ihn in die Mitte holen?“ Überwindung von Grenzen braucht beide, die an den Rand Gedrängten und die sich in der Mitte Wähnenden, ist Christian Zettl vom Referat Weltkirche, dem Veranstalter der Weltkirche-Tagung ENCUENTRO, überzeugt: „Wir meinen andere integrieren zu müssen. Wir selbst sind gefordert, Distanz zu überwinden und uns zu integrieren.“
Beim alljährlichen VinziFest in der Containersiedlung VinziDorf geschieht dies unter dem Motto „Setz di her do neben mir.“ Mitte und Rand werden - zumindest für einige Augenblicke - aufgehoben. Ein Bild für die Mission von Kirche in unserer Gesellschaft und weltweit? „Oftmals ist es besser, den Schritt zu verlangsamen, die Ängstlichkeit abzulegen, um dem anderen in die Augen zu sehen und zuzuhören, oder auf die Dringlichkeiten zu verzichten, um den zu begleiten, der am Straßenrand geblieben ist.“ (Evangelii Gaudium 46)
erstellt von: Mag. Christian Zettl/Referat Weltkirche und EZA