weltkirche.tagung 2021
Die von den Ordensgemeinschaften Österreichs und der Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz für internationale Mission und Entwicklung (KOO) durchgeführte Weltkirche-Tagung wurde online durchgeführt, mit Beiträgen aus Deutschland, dem Senegal und Peru im Blick auf die weltweiten Auswirkungen der Corona-Pandemie.
So wunderbar der Technologieschub durch Corona-Pandemie sei, weil virtuelles Zueinanderfinden ermöglicht wurde, so sehr ist die Pandemie laut Freistetter auch Brennglas für die globalen Herausforderungen. Die weltweite Erkrankung an Corona oder auch der Tod von etwa vier Millionen Menschen hätten zu viel Leid und zu gesellschaftlichen Zerwürfnissen geführt. "Die Krise hat uns gezeigt, wo unsere Gesellschaften und Kulturen und die internationale Staatengemeinschaft brüchig oder schwach sind", stellte Freistetter fest. Alles sei miteinander verbunden, Menschen, Pflanzen, Tiere stehen in Zusammenhang. "Dieses empfindliche Gleichgewicht wird durch uns Menschen zunehmend gestört", gab er zu bedenken.
Freistetter verwies auf die Enzyklika Fratelli Tutti von Papst Franziskus, die dieser Tagung als Grundlage diente. Der Papst habe zwei zentrale Orientierungspunkte ausgemacht: die Menschheitsfamilie und das gemeinwohlorientierte Wirtschaften. "Mit deutlichen Worten kritisiert Papst Franziskus darin ein an ungezügeltem Wachstum orientiertes Wirtschaftssystem", erklärte Freistetter. Die Analyse des Papstes sei eine "prophetische Anklage", die vor drastischen Formulierungen nicht zurückschrecke. Er weise dabei auf die vielen Menschen hin, die auch heute noch unter sklavenähnlichen Bedingungen leben und arbeiten müssen, ausgebeutet werden und vielfältige Gewalt erfahren.
Gemeinwohl und Menschheitsfamilie
Letztendlich könne der Ausweg aus den aktuellen Krisen nach Freistetter nur in einer verbindlichen Orientierung an der ganzen Menschheitsfamilie und an einer konsequent und nachhaltig am Gemeinwohl orientierten Wirtschaft liegen. Durch die wiederkehrende Befassung mit dem Konzept der Menschheitsfamilie und Gemeinwohlorientierung mache der Heilige Vater Schwachstellen des Systems deutlich: die reine Orientierung am eigenen Vorteil, die fehlende Verbundenheit mit der Mitwelt und die Abwertung einer am Gemeinwohl orientierten Politik.
In der Enzyklika werde, erklärte Freistetter weiter, die hohe Wertigkeit der Beziehungsebene hervorgehoben und die verschiedenen Ebenen betont, die notwendig und belebend seien, um die Krisen friedlich zu bewältigen: etwa Dialog und Zuhören, Bürgerbeteiligung und politische Führung, Bedeutung der sozialen Bewegungen, Bekräftigung und Schutz der grundlegenden Menschenrechte, eine alle Glaubenstraditionen übergreifende Zusammenarbeit; Kultur der Fürsorge, die die Gleichgültigkeit ersetzt; Reform der Institutionen, sodass diese nicht von Wohlhabenden dominiert werden; Verteidigung der lokalen Kulturen und Vielfalt, gewaltfreie Kommunikation, Frieden und die Abschaffung der Todesstrafe.
Der "Weltkirche-Bischof" zeigte sich abschließend zuversichtlich, "dass wir mit der heutigen Veranstaltung, den Expertinnen und Experten aus vielen Erdteilen und den Beiträgen der Teilnehmerinnen und Teilnehmern, das 'neue Wir' gestalten und Wege zu mehr Solidarität und ökologischer sowie sozialer Nachhaltigkeit sichtbar machen können".
"Wir" statt "globaler Egoismus"
Was seit Jahrzehnten beklagt wird, etwa schlechte Gesundheitsversorgung in vielen Ländern, habe sich während der Pandemie verschlimmert und sei sichtbarer geworden, analysierte Stefan Silber. Der Professor für Systematische Theologie an der Katholischen Hochschule NRW in Paderborn stellte fest, dass die Pandemie deutlicher gemacht habe, welche aktuellen Herausforderungen es weltweit gibt.
Ein "globaler Egoismus" stehe im Gegensatz zu einem "Wir", in dem die Herausforderungen im Sinne des Gemeinwohls angegangen werden, obwohl ein Wir immer auch eine Frage der Definition sei. Silber kritisierte ausbeutende Wirtschaftsstrategien. Er zitierte Papst Franziskus, der seit Jahren illegale Waffentransporte und Waffenhandel anprangert. Wir würden uns in einer Form des "versteckten Krieges" befinden. "Das Erbe der kolonialen Vergangenheit haben wir im Westen nicht vergessen", das führe zu unüberlegt übernommenen Herrschaftsstrukturen, die in Europa Entdemokratisierungsschübe zur Folge hätten. Auch das Christentum sei, ebenso wie andere Religionen, nicht davor gefeit, bestimmte Formen des globalen Egoismus unüberlegt zu übernehmen und so zu "Problemverstärkern" zu werden.
Wenn man an einem neuen "Wir" bauen will, müsse man bedenken, dass in der Vergangenheit Wunden entstanden sind. Diese gelte es, nicht auszuklammern. "Ein anderes Wir ist möglich", sagte Silber: "in Dankbarkeit und Respekt der Natur, der Gesellschaft, der Familie und den früheren Generationen gegenüber und in Genügsamkeit." Die lokale Gemeinschaft voranzubringen und mit dem Globalen zu vernetzen, sei ein Lernfaktor der Amazonien-Synode von 2019. Es sei notwendig, dieses Wir in Gemeinschaft und mit Respekt vor der Diversität der Gesellschaft zu leben.
In Bezug auf die aktuelle Debatte um die Lebensentwürfe der LGBTQ-Community, sei es wichtig, in Distanz zu den eigenen Bedürfnissen zu gehen und mit Respekt darauf zu schauen, was ein anderer Teil der Gesellschaft braucht. Im Sinne eines "Reparierens" statt "Entwickelns" sei es notwendig, entstandene Wunden mit Respekt nicht zu übergehen und dadurch einen Schritt Richtung Heilung zu gehen. Abschließend sprach Silber den Appell aus, es sich "nicht zu leicht zu machen mit dem Wir und darauf zu achten, dass es Menschen gibt, denen es sehr schwerfällt, sich diesem Wir anzuschließen, oder sich mitgemeint zu fühlen".
Ethik der einfachen Lebensweise
Wer in einer Gemeinschaft lebt, erfahre Solidarität, teilte Sr. Anne Beatrice Faye ihre Erfahrung aus dem Senegal. Die Unterscheidung zwischen Armut und Elend sei wesentlich. "Versuchen wir nicht Armut, sondern Elend zu bekämpfen", schlug Faye vor. Dadurch sei eine Form der Geselligkeit trotz Armut möglich. Sie plädierte für einen möglichst einfachen Lebensstil zum Wohle aller und aus Respekt vor der Natur. Zusammenfassend könne das als "Ethik der einfachen Lebensweise" oder "Ethik der Armut" bezeichnet werden.
Faye erzählte, dass die Pandemie "den Schrei der Armen" noch deutlicher in den Fokus gerückt habe. Die von Papst Franziskus in der Enzyklika "Laudato si" getätigte Feststellung, dass alles miteinander verbunden und voneinander abhängig ist, sei sichtbarer geworden. Die Corona-Pandemie fordere ein gemeinsames, weltweites Handeln aller Menschen.
Man könne sich als Mensch nicht als von der Natur getrennt betrachten, sondern solle auch auf das Wasser, den Wind und die Verstorbenen hören. Die verstorbenen Ahnen seien in der afrikanischen Vorstellung weiterhin Teil des Lebens. Deshalb setze man derzeit auf "integrale Ökologie". Die Landwirtschaft solle in Verbindung mit der Natur betrieben werden, wodurch eine Nutzung der trockenen Gebiete ermöglicht werde. Zudem sollen Frauen gestärkt und in Umweltschulen investiert werden. Weil die Gesundheit der Menschen von der Gesundheit der Natur abhänge, werden generell im Senegal Bäume gepflanzt. In Fayes Dorf sind "heilige Bäume" auch Zufluchtsorte für Menschen.
Action Plattform
Für einen verstärkten weltweiten Wandel, der bei jedem einzelnen Menschen beginnt, macht sich die "Laudato Si`Action Platform" stark. Chiara Martinelli von CIDSE, einem internationalen Zusammenschluss katholischer Organisationen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, ermutigte dazu, selbst aktiv zu werden und sich inspirieren zu lassen. Laut Untersuchungen hätte es etwa bereits revolutionäre Auswirkungen, wenn ein Viertel der Menschheit weniger Fleisch essen würde. Die Aktionsplattform zeige, dass dieses Potenzial vorhanden sei. "Jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir die Covid-Krise zu einer Chance machen können, um die Politik und die Welt von morgen mitzugestalten", sagte sie.
Es bleiben weniger als zehn Jahre, um die Veränderung in Richtung gerechtere und nachhaltigere Welt herbeizuführen, appellierte Martinelli. Sie zitierte Papst Franziskus, der in seinem Lehrschreiben fragt, welche Welt den nächsten Generationen hinterlassen werden soll, und was jede und jeder Einzelne dafür tut, dass es eine gute, gesunde Welt ist. Die Aktionsplattform sei ein Instrument, um die Veränderung im Alltag zu erreichen. Das Bewusstsein, dass niemand alleine ist und, dass es eine gemeinsame Anstrengung brauche, sei dabei das Kernstück. Beim Aufbau von Gemeinschaften etwa gehe es um gegenseitige Inspiration. In einer großen Onlinebibliothek werden deshalb Erfahrungen und Wissen geteilt.
Die "Laudato Si`Ziele" orientieren sich an den Entwicklungszielen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Die Aktionsplattform solle etwa Familien, Pfarren, Unternehmen und Einzelpersonen auf diesem Weg unterstützen. Reflexion, Handeln, Evaluieren und Feiern von Erfolgen sollen dabei ein Kreislauf auf diesem Weg sein, der sich immer wiederholt.
Dogmatikerin Weiler warnt vor Herausforderungen durch Pandemie und zunehmender Abholzung des Regenwaldes
"Knapp zwei Jahre nach der Amazonien-Synode war eine Chance für große Kreativität in ihrer Umsetzung während der Pandemie." Das konstatierte Birgit Weiler von der Ordensgemeinschaft der Missionsärztlichen Schwestern, um eine ernüchternde Bilanz im Blick auf Amazonien zu ziehen. Herausforderungen durch die Pandemie mit Millionen Infizierten und eine "dramatische" Situation in vielen Gebieten durch weitere Abholzung des Regenwaldes stehen Gründungen kirchlicher Zusammenschlüsse, mehr Bewusstsein und Engagement für Menschenrechte sowie einem Leben im Einklang mit der Natur gegenüber so die Professorin für Dogmatik an der Päpstlichen Katholischen Universität Perus.
Heute sei die Lage dramatisch, wies Weiler auf die Warnung von Forschungsteams hin: Die Abholzung habe in der Zeit der Gesundheitskrise sogar noch zugenommen, aufgrund von Raubbau. Brasilien, Ecuador und Peru gehörten in den Jahren 2018 und 2019 zu den fünf Ländern weltweit, die am meisten Urwald verloren haben. Es gebe klare Signale seitens der für diese Wirtschaftssysteme Verantwortlichen, dass die indigenen Völker unerwünscht seien. "Cuencas Sagdradas", das Gebiet um die Quellflüsse des Amazonas etwa gelte als die Region mit der höchsten Biodiversität weltweit. Dort gebe es von Ecuador und Peru geförderte Erdöl-Projekte. Wenn dieser Rhythmus der Entwaldung weitergehe, werde das bewaldete Gebiet bis 2050 auf einen Bruchteil schrumpfen, stellte Weiler fest: "Forscher warnen aktuell nach Messungen, dass sich das Amazonasgebiet an immer mehr Orten gefährlich dem Kipppunkt nähert."
Zusätzlich hat die Corona-Pandemie die Menschen in Amazonien hart getroffen. Mehr als 3,3 Millionen bestätigte Infektionen mit dem Coronavirus, mehr als 95.000 bestätigte Todesfälle stehen in Zusammenhang mit Covid-19. Der Hunger habe weiter zugenommen. Der Ruf Gottes bedarf "eines aufmerksamen Hörens auf den Schrei der Armen und zugleich der Erde", zitierte Weiler aus dem Synoden-Schlussdokument.
Gründung kirchlicher Zusammenschlüsse
Neben diesen Herausforderungen seien bereits positive Auswirkungen der Amazonien-Synode zu sehen. Solidaritätsaktionen innerhalb der Länder Amazoniens und international nach dem Motto "Wir alle sind Amazonien" hätten weltweit das Bewusstsein gestärkt, dass Amazonien alle Menschen etwas angeht. Gleichzeitig hätte vor Ort mehr Engagement für ganzheitliche Ökologie eingesetzt, sodass Heilpflanzen und Spiritualität verstärkt im Einklang mit der Natur verwendet werden.
So gilt die kirchliche Versammlung Amazoniens CEAMA als "in der Weltkirche bisher einzigartige Institution". Zusätzlich zur Bischofskonferenz gegründet, zeige sie, dass Synodalität zur Praxis wird, sagte Weiler.
Ein weiterer wichtiger Zusammenschluss sie das kirchliche Panamazonas-Netzwerk REPAM, wo sich Frauen und Männer unter anderem gegen Gewalt und Morde an Frauen einsetzen. "Viele Frauen tragen mutig dazu bei, dass der synodale Weg weitergegangen wird", erzählte die Theologin. Ein thematisches Forum setze sich zudem für volle Teilhabe in einer "Kirche, von der wir träumen" ein.
Zudem seien die Früchte der Gründung einer neuen Schule für Menschenrechte bereits jetzt sichtbar. Viele Männer und Frauen haben die Ausbildung zu Leitenden indigener Gemeinschaften, kirchlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen vor Ort abgeschlossen und würden ihr Wissen und ihre Erfahrungen umsetzen.
Mutiges Ergebnis
Die Theologin führte aus, dass etwa 380 indigene Völker in jenen Gebieten leben, um die es in der Amazonien-Synode ging. Für die indigenen Völker sei die ganzheitliche Ökologie bereits Realität: Der Mensch ist in ein größeres Ganzes eingebunden. Weiler erinnerte an das "mutige Ergebnis" dieser Synode, das im Schlussdokument festgehalten ist: "Angesichts der Notlage des Planeten und des Amazonasgebietes ist die ganzheitliche Ökologie (...) der einzig mögliche Weg. Einen anderen Weg zur Rettung der Region gibt es nicht."
Für die Kirche sei die Selbstverpflichtung, an der Seite der indigenen Völker zu stehen, unumgänglich gewesen. Denn es sei zu respektieren, dass Amazonien das Lebensgebiet der indigenen Völker dort ist. Sie hätten dort so gelebt, dass dieses Gebiet nicht zugrunde ging. Insofern gehe es darum, von ihnen zu lernen, gemeinsam Wege zu gehen und miteinander um die Entscheidungen zu ringen.
Ein gemeinsam geknüpftes Netz mit Fäden unterschiedlicher Farben, wie es während der Amazonien-Synode 2019 mit Papst Franziskus gezeigt wurde, ist für Weiler ein ebenso ein aussagekräftiges Symbol für synodale Kirche wie das gemeinsame Rudern in einem Boot auf dem Amazonas. Weil alles mit allem verbunden ist, seien die Folgen dramatisch, wenn Menschen nicht auf die Welt aufpassen. Insofern sei diese Synode eine ernst zu nehmende Botschaft aus Amazonien heraus in die Welt.
© Text: kathpress https://www.kathpress.at/goto/meldung/2040506/Weltkirche_Tagung__Gemeinsame_Zukunft_statt_Ausbeutung
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