Es kam alles ganz anders...
Von Wien nach Südamerika
Zweite Heimat in den Slums
Immer wenn Bernhard Ruf von seinen Gemeinden in Ecuador erzählte, wurde sein Blick versonnen.
Seine letzte Wirkungsstätte (2005 – 2007) vor seiner krankheitsbedingten Rückkunft nach Österreich im Jahr 2008 war in Guayaquil, der größten Hafenstadt des Landes mit 2,2 Millionen Einwohnern, fast 11.000 Kilometer von seiner Geburtsstadt Stockerau (NÖ) entfernt. Davor war er schon zwei Jahrzehnte lang in drei anderen Gemeinden in Ecuador tätig.
© Archivbild
In seinem Pfarrgebiet war er verantwortlich für 45.000 Menschen, die in bitterer Armut leben, deren Behausungen einfachste, oft undichte Hütten im Elendsviertel von Guayaquil sind. „Das Elend ist nicht nur materiell, sondern auch sozial und psychisch bemerkbar“, sagte der Weltpriester damals, der in seiner zweiten Heimat Dinge erlebt hat, die man sich als vom Sozialsystem versorgter Österreicher kaum vorstellen kann: „Die medizinische Versorgung ist in den Slums maximal ambulant gegeben – wenn überhaupt. Kranke müssen vom Spital oft wieder nach Hause geschickt und dort notdürftig versorgt werden. Kinder kommen fast ausschließlich daheim auf die Welt. Einmal war ich sogar dabei, wie eine junge Frau in der einen Ecke der Bambushütte geboren hat, während in der anderen Ecke der Großvater starb.“ Und der gerade tobende Machtkampf zwischen Ecuadors Parlament und Präsident Rafael Correa ließ keine Besserung der tristen Situation in dem kleinen südamerikanischen Land erwarten.
Missionar als Vorbild
Was aber bewog den jungen Bernhard Mitte der 80er Jahre, seine sichere Heimat Österreich mit dem Elend in Ecuador zu tauschen? „Ich habe mir das Beispiel von Josef Heissenberger zu Herzen genommen. Der hat 1976 alles aufgegeben und ist als Weltpriester nach Ecuador gegangen“, erzählt Ruf. Dass Bernhard Ruf überhaupt Priester wurde, ergab sich mehr oder weniger von selbst. Als Gymnasiast in Hollabrunn wurde er vor der Matura von einem Geistlichen darin bestärkt, das Priesterseminar zu besuchen, und 1978 erhielt er in Wien die Priesterweihe. 1981, als Kaplan in Hollabrunn, besuchte er Heissenberger vier Wochen lang an dessen Wirkungsstätte. „Damals ist mir der Knopf aufgegangen. Da wusste ich: Ich will es ihm gleichtun.“
Es sollte allerdings noch drei Jahre dauern, ehe Ruf im Dienste der Erzdiözese Wien – als er 1984 Weltpriester wurde, wirkte er als Kaplan in Wien-Ottakring – nach Ecuador flog, um selbst missionarisch tätig zu sein.
1. Station: Daule
Seine erste Station war die Pfarre San Francisco in der 40.000-Einwohner-Stadt Daule. „Dort habe ich erst einmal die Kirche fertig bauen müssen, damit eine Seelsorge überhaupt ordentlich möglich war. Außerdem habe ich mich um die medizinische Versorgung gekümmert. Das nächste Röntgengerät war damals rund sechzig Kilometer entfernt.“ In den folgenden sieben Jahren besorgte der Missionar unter anderem einen Apparat aus Österreich. Maßgeblich war dabei die Unterstützung durch die Wiener Pfarrgemeinde Allerheiligen-Zwischenbrücken im 20. Bezirk, in der Rufs Familie beheimatet ist.
2. Station: St. Lucia
1991 wurde Ruf in die Pfarre Santa Lucia (etwa 20 Kilometer nördlich von Daule) versetzt, wo die alte, morsche Holzkirche nicht mehr zu retten war. Und so konnte der österreichische Missionar seine Erfahrung im Kirchenbau erweitern, ebenso stellte er bis 1997 ein Spital, einen Kindergarten, eine Volksschule und eine Berufsschule für Schneider und Tischler auf die Beine.
3. Station: Naranjal
Und wieder eine neue Schule. Der Aufenthalt in Naranjal (1997 bis 2004, Bischofsvikar) unterschied sich von den beiden ersten Missionsstellen nur wenig. Auch hier baute der Weltpriester eine Volksschule, erweiterte das dortige Gymnasium, renovierte die Kirche seiner Gemeinde und stellte zumindest die grundlegende medizinische Versorgung seiner Schützlinge mit Ärzten, Apotheke und Untersuchungslabor sicher. Den folgenden Heimaturlaub hatte er dringend nötig. Nach sieben Monaten hielt es ihn allerdings nicht mehr in der alten Heimat.
4. Station: die Slums von Guayaquil
Und so verschlug es den Missionar im Jahr 2005 erneut nach Ecuador, diesmal nach Guayaquil. Auch die dortige Kirche hat er erneuert: „Die größten Probleme waren Wasserschäden durch einen Spalt zwischen Mauern und Dach und Tauben, die ständig herein geflogen kamen und Mist machten.“ Der Spalt wurde gestopft und das Gotteshaus komplett neu hergerichtet. Fertig war das Pfarrzentrum aber noch lange nicht. „Wir müssen die Kirche dringend erweitern, weil sie zu klein wird. Und die Pfarrräume reichen auch nicht für unsere 258 Erstkommunikanten und 109 Firmlinge“, so Ruf damals. Ein Mehrzwecksaal wurde geplant, der neben der Pfarre auch der örtlichen Schule als Heimstätte dienen soll. Dafür benötigte der Pfarrer dringend Geld. Ebenso wie für eine neue Einrichtung im bisherigen Pfarrsaal – „die wurde uns nämlich vor einiger Zeit mitten in der Nacht gestohlen“, berichtete Padre Bernardo, wie ihn die Mitglieder seiner Pfarrgemeinde liebevoll nannten.
Mit der Sprache hat er mittlerweile keine Probleme mehr: Spanisch spricht er längst fließend. „Ich habe etwa ein halbes Jahr gebraucht, bis ich mich verständlich machen konnte, und jetzt ist es überhaupt kein Problem mehr, auf Spanisch zu diskutieren. Man muss halt mit den Leuten reden, reden, reden.“ Und wie ist es mit dem Heimweh? Sehnt er sich nicht im Elend von Guayaquil zurück in die behagliche Heimat? „Natürlich komme ich immer wieder gerne nach Österreich. Und ich habe auch via Telefon und Internet intensive Kontakte hierher“, meinte der Missionar dazu. Doch seine zweite Heimat war längst Ecuador. Und er überlegte sogar, nach seiner Pensionierung als Weltpriester, seinen Lebensabend dort zu verbringen. Dort, bei seinen Schützlingen, denen er jeden Tag aufs Neue half, ihre von Armut geprägte Situation zu verbessern.
Von Südamerika nach Wien
Abschied nolens volens
Doch es kam alles ganz anders. Am 10. September 2007 wird Bernhard ins Spital in Guayaquil eingeliefert. Eine 10cm lange Thrombose in der Arterie des rechten Oberschenkels hatte das ganze Bein absterben lassen. Das Bein musste amputiert werden. Er wird ins Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien überstellt, wo er operiert wird.
Bereits am 15. Dez. 2007 fliegt er mit einer Beinprothese zurück nach Guayaquil, um den inzwischen begonnenen Bau der Mehrzweckhalle fortzusetzen. Alles scheint gut voranzugehen. Doch es dauert nicht lange, bis die nächste schwere Prüfung über Bernhard Ruf hereinbricht. Am 29. Februar 2008 muss auch das linke Bein, nachdem es abgestorben war, amputiert werden.
Noch im Spital in Guayaquil musste er sich von Ecuador verabschieden. Menschen aus allen seinen vier Pfarren kommen ins Spital, um „ihrem Padre“ weinend Lebwohl zu sagen. Ab März 2008 liegt er wieder bei den Barmherzigen Brüdern in Wien. Ein hartnäckiger MRSA-Keim muss bekämpft werden. Danach verbringt er einige Wochen im Reha-Zentrum Weisser Hof in Klosterneuburg.
Neuanfang und Ende
Ab Oktober 2008 half Bernhard Ruf in der Dompfarre St. Stephan und in der Kath. Seelsorge im AKH Wien aus. „Ich bin glücklich und zufrieden, dass ich helfen kann, dass ich eine Hilfe sein kann.“, sagte er damals in aller Bescheidenheit. Mit Oktober 2011 ernennt ihn Kardinal Christoph Schönborn zum Leiter des Referates Weltkirche, Mission und Entwicklungsförderung der ED Wien. In dieser Tätigkeit geht er ganz auf, ist es doch sein angestammtes Metier.
© Claudia List
Gemeinsam mit seinem Team, Claudia List, Roland Reisenauer und Christian Zettl, gestaltet er das Referat um und setzt neue Impulse. Doch das Schicksal schlägt erneut zu. Im Jänner 2015 ereilt ihn die folgenschwere Diagnose Kehlkopfkrebs. In den darauffolgenden fast zwei Jahren kämpft er tapfer und geduldig, ohne jemals zu klagen, gegen seine schwere Krankheit. Am 28. September 2016 stirbt Bernhard Ruf im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien.
erstellt von: Diakon R. Reisenauer, 12.10.2016
Quelle: Mathias Ziegler, Wiener Journal 20. Juli 2007
Bernhard Ruf, Es kam alles ganz anders, CASA (Christl. AKH-Seelsorge Aktuell) #14,
1. Qu. 2009