Veränderungen mitgestalten
Liebe Leserinnen und Leser des „Sonntag"!
Soeben komme ich ganz erfüllt aus Mariazell zurück, wo 500 Delegierte der 30.000 Pfarrgemeinderats-Mitglieder Österreichs drei Tage zusammen waren. So viel Engagement, so viel lebendiger Glaube! Der Dienst in den Pfarrgemeinden ist ja oft wirklich schwer und opferreich. In manchen Pfarren wird der Pfarrgemeinderat als Volksvertretung gesehen und dementsprechend überfordert, in anderen als bloßes Erfüllungsorgan des Pfarrers missverstanden und damit unterfordert. In Mariazell ist greifbar geworden, was für Früchte ein gemeinsamer Dienst an den Menschen, am Glauben und an der Kirche bringen kann.
Kein Jammern mehr
Veränderungen und Umbrüche sind nicht die Ausnahme, sondern gehören einfach zur Dynamik der Kirche. Das hat der Innsbrucker Theologe Roman Siebenrock in seinem Referat beim Pfarrgemeinderats-Treffen gesagt. Für mich war spürbar, dass wir mit den Veränderungen in der Gesellschaft und denen in der Kirche mittlerweile viel souveräner umgehen. Das Jammern über die Zustände ist weitgehend dem Reden über die anstehenden Aufgaben gewichen. Die Kirche scheint heute wirklich bereit, „zu sehen, zu urteilen und zu handeln" (Siebenrock).
Das gilt nicht nur für die kirchlichen Reformen, sondern auch für unsere gesellschaftliche Verantwortung. Ein Thema, das beides – Kirche und Gesellschaft – beinhaltet, ist die Zukunft der Familie.
Sorge um die Familie
Vor drei Wochen konnte ich im Vatikan an der Sitzung jenes Rates teilnehmen, der die Synodenvollversammlung im Herbst 2014 zu den Herausforderungen der Familie in unserer Zeit vorbereitet. Dass ihm das Thema wichtig ist, hat Papst Franziskus dadurch bekundet, dass er trotz seiner vielen Verpflichtungen einen ganzen Tag an der Sitzung teilgenommen hat.
Wir haben am „Instrumentum laboris" gearbeitet, jenem Arbeitspapier, das sozusagen die Tagesordnung der Synode bilden wird. Ich denke, dass es ein gutes und nützliches Papier wird. Es wurde wirklich alles aufgenommen, was an großen Sorgen und Nöten in der weltweiten Umfrage unter dem Gottesvolk genannt worden ist.
Das Hauptanliegen des Papstes ist, darüber zu reden, wie die Kirche zu guten Bedingungen für das Gelingen von Familie beitragen kann. Der Papst bringt ja immer wieder seine große Sorge um die Familien zum Ausdruck. In „Evangelii Gaudium" schreibt er, dass unser Individualismus einen Lebensstil begünstigt, „der die Entwicklung und die Stabilität der Bindungen zwischen den Menschen schwächt und die Natur der Familienbande zerstört."
Die Zerstörung der Familie trifft Gesellschaft und Kirche gleichermaßen, weil die Familie die grundlegende Zelle der Gesellschaft, aber auch der Kirche ist. Tatsächlich sind ja die ersten – und für lange Zeit auch die wichtigsten – Vertreter der Kirche, die uns in unserem Leben begegnen, in den meisten Fällen unsere eigenen Eltern.
Deutlicher werden
Veränderungen in der Kirche und in der Welt – beide sollen von uns Katholiken mitgestaltet werden! Ich habe in Mariazell darauf hingewiesen, dass wir ein „Ja" auch zu unserem gesellschaftlichen Auftrag sagen müssen, dass sich im sozial-karitativen Wirken zeigt, aber auch in einem mutigen Auftreten in der Öffentlichkeit und in den Medien, gerade auch, wenn es um die Zukunft der Familie geht.
Das ist nicht nur eine Aufgabe für die Bischöfe. Wir müssen gemeinsam deutlicher werden, wo es um die Verteidigung der Schwachen geht. Wenn es der Familie schlecht geht, leiden darunter vor allem die Schwächeren, die Hilfloseren, die Verletzlicheren. Und sie leiden sehr.
Engagierte Initiativen
Ich freue mich, dass sich in den letzten Wochen verschiedene Initiativen aus der Eigenverantwortung der Laien heraus gebildet haben: für eine Begleitung von Kranken und Sterbenden ohne Giftspritze, für bessere und hilfreichere Informationen über die Abtreibungen, für klare Anstandsgrenzen im Umgang mit Nacktheit und Provokation im öffentlichen Raum, für die Erhaltung der Ehe als dauerhafte und auf Nachwuchs ausgerichtete Gemeinschaft von Mann und Frau.
All diese Initiativen werden gerne als intolerant missverstanden. Aber sie sind Ausdruck christlicher Sorge um unsere Welt, und ich danke allen, die sich hier engagieren – und dafür, dass sie es mit soviel selbstlosem Einsatz tun und trotz starker Anfeindungen sachlich bleiben. Wir müssen die Welt ja nicht nur mit unseren Argumenten überzeugen, sondern auch mit unserer Liebe – auch dann, wenn uns im Namen der Toleranz wachsende Intoleranz begegnet.
Mein großer Dank an alle, die sich ihrem Auftrag als getaufte und gefirmte Christen stellen und in der Welt engagieren!
Ihr
+ Christoph Kard. Schönborn