Freitag 16. August 2024
Briefe und Impulse von Kardinal Schönborn

Erneuerung an Leib und Seele

Das „Jahr des Gebetes“, der diözesane Erneuerungsprozess und das Vertrauen des Papstes:  Kardinal Christoph Schönborn wendet sich an die Leserinnen und Leser des „Sonntag“ mit Themen, die ihn gerade beschäftigen. Vom 3.7.2014

Liebe Leserinnen und Leser des „Sonntag“!
 
Wieder geht ein Arbeitsjahr zu Ende. Habe ich es gut genutzt? Habe ich getan, was Gott von mir wollte? Eins muss ich bekennen: Im „Jahr des Betens“ habe ich für mich selber weniger verwirklicht, als ich mir vorgenommen habe. Das setzt mir zu. Denn das Gebet muss wirklich den ersten Platz haben. Aber schon wenn es diese Erkenntnis in Erinnerung gerufen hat, dann war das Jahr des Betens nicht umsonst! Ich danke allen, die sich daran beteiligt und dafür engagiert haben und wünsche Ihnen und mir, dass wir die restliche Zeit noch intensiv nützen.

 

Gebet an erster Stelle

Auch in unseren kirchlichen Sitzungen muss das Gebet ganz oben stehen. In der Diözesanleitung halten wir es so: Tagesordnungspunkt Nummer eins ist immer ein kurzes Gebet. In der so verantwortungsschweren Steuerungsgruppe der Diözesanreform halten wir zu Beginn sogar eine halbe Stunde Anbetung vor dem Allerheiligsten. Nicht vorher, sondern in der Sitzung. Wir machen die Erfahrung, dass die Gespräche klarer werden und schneller zu Ergebnissen führen. Aber selbst wenn das nicht so wäre, würden wir auf diese Zeit der Beratung mit dem Herrn nicht verzichten wollen.


Damit bin ich beim großen Thema des vergangenen und des kommenden Arbeitsjahres: dem diözesanen Entwicklungsprozess APG 2.1. Er geht manchmal langsamer weiter, als wir gedacht haben, aber kontinuierlich und stetig. Vieles macht mich optimistisch. Etwa dass der Blick über den Tellerrand der eigenen Pfarre schon so selbstverständlich geworden ist. Dass an so vielen Orten mit den Nachbarn gesprochen und immer öfter auch Gemeinsames überlegt und angegangen wird.

 

Geistliche Erneuerung

Bei meiner Visitation des Stadtdekanats 4/5 habe ich das erste Mal in 23 Jahren als Bischof erlebt, dass sich nicht jede einzelne Pfarre vorgestellt hat, sondern das ganze Dekanat gemeinsam. Aus jeder der sieben Pfarren hat ein Vertreter gesprochen – aber nicht über die eigene Pfarre, sondern über einen gemeinsamen Aspekt aller sieben Pfarren: die Jugendarbeit, die Finanzen usw. Ein schönes Zeichen!


Manchmal werde ich gefragt, warum wir denn nicht – wie manch andere Diözese in Europa – mit einem Machtwort auf einen Schlag eine neue Struktur vorgeben. Das hätte den Vorteil, dass man jetzt schon genau wüsste, was kommt. Ja, hätte es. Aber ich bevorzuge dennoch unsere Methode, unsere „Doppelbewegung“ mit Vorgaben der Diözesanleitung, die durch intensive Mitarbeit aller Betroffenen vorbereitet und dann konkretisiert und geformt werden.


Auf diese Weise ist das ganze Volk Gottes – Bischof, Priester, Diakone, Ordensleute und Laien – auf seiner Pilgerfahrt durch die Zeit wirklich gemeinsam unterwegs. So bauen wir nicht auf einen Raster, sondern auf den „Master“, unseren Herrn. So wird aus der Diskussion um die Pfarrzukunft eine tiefere Auseinandersetzung mit der Aufgabe der Kirche und unserem Auftrag als Christen. Die Strukturfrage wird zum Ausgang jener geistlichen Erneuerung, auf die letzten Endes alles ankommt.

 

Viele Menschen nehmen Anteil an diesem Erneuerungsprozess – durch Mittun, Mitdenken und konstruktive Kritik. Ihnen allen herzlichen Dank!

 

Römische Aufgaben

Ich habe Gott für so vieles zu danken an diesem Urlaubsbeginn. Zum Beispiel für die Seminaristen, mit denen ich gerade eine ganze Woche lang über die Gedanken von Thomas von Aquin über die Kardinaltugend der Klugheit nachdenken darf. Aber auch für die vielen wunderbaren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mir helfen, meinen „Überfluss an Zeitmangel“ zu bewältigen, der durch meine neuen vatikanischen Aufgaben nicht geringer geworden ist – im Laienrat, im Synodenrat und in der sogenannten Vatikanbank.

 

Vertrauen des Papstes

Auch das fragt mich immer wieder jemand: Warum ich denn nicht dem Papst nein sage, wenn er mit einer neuen Aufgabe kommt. Aber kann ich wirklich nein sagen, wenn der Heilige Vater ruft? Natürlich freut mich auch das Vertrauen, das er mir entgegenbringt. Aber das ist es nicht. Ich sehe, wie Franziskus sich bemüht, die Kirche wirklich an Haupt und Gliedern zu erneuern, und wie sehr er dabei Unterstützung sucht. Da kann ich nicht einfach sagen: Sehr schön, mach nur..


Unsere Erzdiözese bleibt aber trotzdem meine Hauptsorge, meine Hauptfreude und auch das Hauptpensum meiner Arbeit. Für sie will ich in den ruhigeren Wochen des Sommers, die ich teilweise wieder im wunderschönen Wechselgebiet verbringen darf, Kraft schöpfen und auch etwas für die Gesundheit tun, die mir der liebe Gott ganz unverdient bisher erhalten hat.


Erneuerung an Leib und Seele in dieser Zeit – das wünsche ich auch allen Leserinnen und Lesern des Sonntags!

 

Ihr

+ Christoph Kard. Schönborn

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