"Noch einmal: 'Schöpfung und Evolution'"
Vor 20 Jahren fand in Rom unter der Leitung von Kardinal Ratzinger ein Symposium zum Thema "Evolutionismus und Christentum" statt. Ich durfte, damals noch Professor in Fribourg, mit einem eigenen Referat teilnehmen, dem ich den Titel gab: "Schöpfungskatechese und Evolutionstheorie. Vom Burgfrieden zum konstruktiven Konflikt" (in: R. Spaemann u.a. (Hrsg.), Evolutionismus und Christentum, Weinheim 1986, 91-116). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung besprach den Symposiumsband (FAZ vom 13.2. 1987, S. 11) unter dem Titel: "Der Burgfrieden ist zu Ende". Der Rückblick auf die vergangenen Monate bestätigt diese Feststellung. Überall wird die Frage des Verhältnisses von Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube intensiv diskutiert. Ich kann mich darüber nur freuen. Nichts ist schädlicher für beide Seiten, als wenn sich hier nichts bewegt. "Was alle betrifft, soll auch von allen behandelt werden", lautet ein altes Prinzip.
Nichts betrifft uns alle mehr, als die Urfrage des Menschen nach seinem Woher und Wohin, nach dem Sinn des Lebens. Jeder Mensch muss sie sich stellen, soll sein Leben ein wirklich menschliches sein.
Ist darauf keine Antwort zu finden? Woher kann Antwort kommen? Woher sollen Maßstäbe genommen werden, um vorgeschlagene Antworten zu prüfen? Wie soll unterschieden werden, ob eine Antwort hilft, das eigene Leben und das der Gemeinschaft richtig zu orientieren? Anders gesagt: Woher sollen wir etwa die Kriterien nehmen, uns in der heiß debattierten Frage der Gewinnung von embryonalen Stammzellen (= Embryonen verbrauchende Forschung) einen ethisch verantwortbaren Standpunkt zu gewinnen?
Die Schlüsselfrage, an der die Antwort hängt, war im Grunde das Thema des vergangenen Jahres: Ist die Welt, in der wir leben, ist unser Leben in dieser Welt Sinn-voll? Sinnvoll ist nur, was ein Ziel hat. Ohne Vernunft keine Orientierung, kein Plan, kein "design".
Kardinal Ratzinger sagte in dem Interview-Buch "Gott und die Welt" (Freiburg/Br. 2000, S. 119): "Das christliche Bild der Welt ist, dass die Welt in einem sehr komplizierten Evolutionsprozess entstanden ist, dass sie aber im tiefsten eben doch aus dem Logos kommt. Sie trägt insofern Vernunft in sich."
Es geht um die Vernunft, wider die Behauptung der reinen Zufälligkeit und damit Sinn-losigkeit. Es geht um ein vertieftes Nachdenken über das Verhältnis von Wissenschaft, Vernunft und Glauben. In allen Ausführungen dieser Katechesen ging es mir immer um die vermittelnde Rolle der Vernunft. Häufig wird der aktuelle Konflikt auf einen zwischen Wissenschaft und Religion reduziert. In Wirklichkeit geht es ganz entscheidend um das "Bindeglied" beider, um die Vernunft.
Es ist die Vernunft, die "design", "purpose", Zielgerichtetheit, Plan und Zweck in der Natur erkennt und das in immer größerem Maß. Je mehr wir wissen können, je umfassender, detaillierter die Kenntnisse über die Vorgänge des Lebens werden, desto größer müsste meines Erachtens das Staunen werden, desto fragwürdiger wird die Rede vom Zufall, desto unvernünftiger wird es, all das auf - wie ich in der New York Times sagte -, einem "unguided, unplanned process of random variations and natural selection" ("einen ziellosen, ungeplanten Vorgang zufälliger Veränderungen und natürlicher Selektion") zurückzuführen.
Fr. Stanley Jaki, Benediktiner und Wissenschaftshistoriker, sagte einmal, es sei schon eigenartig, dass es "Darwinisten" gibt, die ihre ganze wissenschaftliche Laufbahn dem Zweck widmen, zu beweisen, dass es keinen Zweck gibt (The Road of Science and the Ways to God, Edinbourgh 1978, 281).
Nochmals: es ist legitim und methodisch zu rechtfertigen, aus einer bestimmten Betrachtungsweise der Natur "die Frage Wozu", die Suche nach der Finalität auszuschließen. Es ist nicht legitim, ja es ist unvernünftig, daraus zu schließen, es gebe keine Finalität.
Die Aggressivität, mit der gegen die amerikanische Wissenschaftlergruppe vorgegangen wird, die sich dem Thema "Intelligent design" widmet, hat nicht viel mit Wissenschaft zu tun. Man mag ihren methodischen Ansatz kritisieren. Die Frage nach der Herkunft des evidenten "intelligent design" im Lebendigen ist eine völlig legitime, ja zum Menschen und seiner Vernunft gehörende Frage. Die Antwort auf diese Frage ist nicht von der streng naturwissenschaftlich-methodisch arbeitenden Forschung zu erwarten, aber sie ist dem Menschen als fragendem, staunendem, denkendem Wesen aufgetragen!
Joachim Illies schreibt über diese Unterscheidung: "Weder ein ordnender Sinn hinter den Dingen noch ein absichtloser Zufall lassen sich naturwissenschaftlich beweisen. Die Biologie erkennt, je weiter sie voranschreitet, dass auf ihrem eigenen Forschungsfeld die Antwort auf die Frage nach den letzten Ursachen der Evolution nicht zu finden ist" (Biologie und Menschenbild, 1975, S. 19f).
"Ich erwarte nicht von Konrad Lorenz", fuhr Frankl in seinem Vortrag fort, "dass er jetzt eintaucht in diesen Bereich und dann sagt: Ja gewiss, es gibt diese Zielausrichtung, diesen Sinn. Aber ich erwarte wohl, dass er nicht darauf besteht, es gebe notwendigerweise nur die Betrachtungsweise der rein horizontalen Ebene. Damals habe ich Konrad Lorenz gesagt: Wissen Sie, wenn Sie ganz einfach zugeben würden, dass es grundsätzlich möglich ist, dass - in einer anderen Ebene als der biologischen - doch eine Teleologie, ein Sinnzusammenhang, eine Sinnausrichtung existiert, dann haben Sie einen zweiten Nobelpreis verdient: einen Nobelpreis für Weisheit. Denn Weisheit ist Wissenschaft plus das Wissen um die eigenen Grenzen" (Viktor E. Frankl, Altes Ethos - Neues Tabu, 1974). (Ich zitiere diesen Dialog aus einem kleinen Buch, das ich allen wärmstens empfehlen kann, besonders jüngeren Lesern, das in hervorragender Weise die meisten Fragen behandelt, die auch in diesen Katechesen Thema waren: Peter Blank, Alles Zufall? Naive Fragen zur Evolution, Augsburg 2006, S. 75f.)
Zwei Betrachtungsweisen - freilich de facto oft als sich gegenseitig ausschließend gesehen, sich bekämpfend, in den USA bis zu Prozessen mit riesigem Medienecho. Vielleicht hilft es, um hier klarer zu sehen, nicht nur von zwei Betrachtungsweisen zu sprechen, sondern auch von zwei Geschichten, die sehr oft in sich ausschließender Konkurrenz erzählt werden.
Aber beide Geschichten werden weiter erzählt. Die biblische im Gottesdienst (etwa in der Osternacht!), im Religionsunterricht (meist mit Bauchweh und vielen Abschwächungen) oder im Konzertsaal, wenn Haydns Schöpfung gespielt wird. Überall sonst wird die "wissenschaftliche" Geschichte erzählt, ja sie wird vielfach auch in den Religionsunterricht übernommen, weil das eben "die Wissenschaft" so lehrt, die Frage ist unvermeidlich, und vor allem junge Menschen stellen sie sich, weil sie überhaupt Fragen stellen: welche der beiden Geschichten ist die wahre? Die Antwort ist meist ganz klar: die wissenschaftliche! Wie sollte es anders sein? Sie wird ja auch als "längst wissenschaftlich bewiesen" dargestellt.
Wie erklärt es sich dann, dass seit der Veröffentlichung von Darwins "Origin of Species" die wissenschaftliche Debatte nie nachgelassen hat? Es gibt nach wie vor massive Anfragen an die "Darwin-Geschichte" von Leuten, die nicht fundamentalis-mus-verdächtig sind. Es bleiben so viele offene Fragen, dass man sich immer wieder wundern kann, mit welcher Emphase, mit welcher Selbstsicherheit die "Darwinsche Geschichte" erzählt wird.
Die streng wissenschaftliche Evolutionsforschung, die ihre Schritte nachvollziehbar protokollieren kann, ist als Forschungszweig höchst respektabel. Die Ausweitung auf alle Bereiche der Wirklichkeit, nach dem Motto "alles ist Evolution", ist nicht mehr wissenschaftlich gedeckt. Hier betreten wir den Boden der Weltanschauung, wenn nicht der Ideologie.
Die "Darwinsche Geschichte" prägt nicht nur die Vorstellungen vom Ursprung des Lebens und seiner Entwicklung. Sie prägte und prägt auch weiterhin das gesellschaftliche Leben, die großen sittlichen Orientierungen, in der Bioethik, in der Pädagogik, in der Wissenschaft. Die Alternative zur "Darwinschen Geschichte" ist nicht der Kreationismus, wie das gerne dargestellt wird, sondern das Miteinander von "Darwinsleiter" und "Jakobsleiter".
Es spricht vieles dafür, dass das Leben sich in einem langen, aufsteigenden Prozess aus einfachsten Anfängen bis zur Komplexität des Menschen aufsteigend entwickelt hat. Es ist etwas Wunderschönes, immer tiefer in die gemeinsamen Bausteine und damit in die Verwandtschaft allen Lebens einzudringen. Es ist aber nicht nur nicht notwendig, sondern geradezu unsinnig und jeder Vernunft widersprechend, diesen grandiosen Weg des Lebens bis hin zum Menschen als bloßen Zufallsprozess zu sehen. Wenn dann ein Astronom, der auch Priester und Theologe ist, sich sogar dazu versteigt, zu sagen, dass selbst Gott nicht mit Sicherheit wissen konnte, dass bei der Evolution der Mensch als Ergebnis herauskommen würde (so P. George V. Coyne SJ im Spiegel 52/2000 vom 22.12.2000), dann ist vollends der Unsinn eingezogen.
1. Neodarwinismus und Neoliberalismus In einem Interview in einer österreichischen Tageszeitung ("Die Presse" vom 30. Juli 2005, S. VIII) sagte Richard Dawkins: "Kein anständiger Mensch will in einer Gesellschaft leben, die nach darwinistischen Gesetzen funktioniert... Eine darwinistische Gesellschaft wäre ein faschistischer Staat." Einverstanden! Wie aber soll es eine andere, humanere Gesellschaft geben, wenn alles Evolution ist? Woher kommt die Freiheit, sich gegen den "mörderischen darwinistischen Albtraum" zu wenden (wie Woody Allen das Leben nannte)?
Der Wiener Wirtschaftswissenschaftler Ewald Walterskirchen weist auf den engen Zusammenhang zwischen Neodarwinismus und wirtschaftlichem Neoliberalismus hin: "Beide Theorien gehen davon aus, dass nur zufällige Veränderungen/Anpassungen über Selektion bzw. Wettbewerb den Entwicklungsprozess bestimmen. Der US-Ökonom Paul Krugmann schreibt zu Recht, dass sich ein Lehrbuch der neoklassischen Mikroökonomie wie eine Einführung in die Mikrobiologie liest. In der Ökonomie zeigt sich die Nähe zur Biologie besonders in den Arbeiten Hayeks, der als einer der Väter des Neoliberalismus gilt. Friedrich von Hayek, der Spross einer Biologenfamilie, spricht explizit von 'Aussiebung' durch den Markt. Hayek hält eine hohe Arbeitslosenquote - ähnlich wie einen Populationsüberschuss in der Tierwelt - für ökonomisch wünschenswert, damit die natürliche Selektion greifen kann. Die OECD, der Hort des Neoliberalismus, interpretiert wiederum die wirtschaftliche Krise in Europa einfach als mangelnde Anpassungsfähigkeit an Schocks - ganz ähnlich wie die Neodarwinisten das Aussterben von Tierarten. Die wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen aus diesen Überlegungen sind klar: Die Wirtschaftspolitik braucht nur die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der Selektionsmechanismus Markt richtig greifen kann. Im Klartext läuft dies darauf hinaus, das europäische Sozialmodell abzuschaffen." (Der Standard, 16./17.7. 2005)
Als "Schulbischof" habe ich in den vergangenen Jahren immer wieder zu Schul- und Bildungsfragen Stellung nehmen können. Die vorherrschende Sorge dabei ist die schon seit einigen Jahren im deutlicher zu beobachtende "Ökonomisierung" der Bildung. Dazu kurz einige Stichworte:
Ein Grundparadigma von Bildung heute ist die Anpassung unter dem Aspekt der Nützlichkeit - vor allem für den Arbeitsmarkt. Schlüsselkompetenzen wie Mobilität und Flexibilität sind hoch im Kurs, vergessen die Grundlinien katholischer Soziallehre: Die Wirtschaft ist für den Menschen da - nicht umgekehrt; vergessen zum Teil die Grundaufgabe von Schule und Bildung, auch zu Widerständigkeit zu erziehen und zu bilden. Wir leben in einer Zeit, die - Gott sei Dank - keine Helden braucht, aber die Frage stellt sich: Wer werden die großen und fundierten Widersprechenden sein, wenn jeder frühzeitig lernt, sein Fähnchen nach dem jeweiligen Wind zu richten?
Ungeachtet bleibt, was mit denen geschieht, die sich nicht anpassen können: Sie sind zu langsam, zu wenig schlau, zu wenig für Konkurrenzkämpfe geeignet, schüchtern, scheu, unsicher ... Sie rücken an den Rand, in der Mitte sind die Angepassten, die Brauchbaren - sie sind zum Überleben bestimmt und ausgewählt. Unbedacht aber auch das Faktum, dass gerade in Zeiten der völligen Veränderung die an die bisherigen Verhältnisse best Angepassten die ersten Opfer sind.
Der Widerstand gegen einen ideologischen Evolutionismus ist eine der heutigen Formen, Freiheit und Verantwortung zu leben, auch wenn das seinen Preis hat. In seinem berühmten Vortrag an der Sorbonne in Paris hat Kardinal Ratzinger davon gesprochen, dass das Christentum "durch seine Option für den Primat der Vernunft" heute "Aufklärung" bedeutet, d. h. Befreiung aus falschen Abhängigkeiten (vgl. J. Kard. Ratzinger, Glaube, Wahrheit, Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg 2003, S. 146).
Die ideologische Auseinandersetzung mit einer materialistischen Weltanschauung ist wohl heute nirgendwo akuter als im großen Bereich der Bioethik. Das christliche Menschenbild und speziell die Lehre der Katholischen Kirche ist heute oft auf weiter Flur alleine in der Verteidigung der unbedingten Würde des Menschen von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod. Wie wir in der letzten Katechese sahen, hält die Katholische Kirche unbeirrt von aller (oft massiven) Kritik daran fest, dass es so etwas wie die "Sprache des Schöpfers" in der Natur gibt, dass es deshalb eine sittlich verbindliche Schöpfungsordnung gibt, die auch in den bioethischen Fragen die Richtschnur bleibt.
Es ist schon eigenartig: die Evolutionsideologie lehnt einen "designer"-Gott ab. Sie verwirft den Gedanken an ein erkennbares "intelligent design" in der Natur. Umso mehr gibt es Projekte, in denen der Mensch sich selber zum "designer" der Evolultion erklärt. So etwa in dem neuen Buch von Simon Young, Designer Evolution: A Transhumanist Manifesto (Prometheus 2006, besprochen in First Things Nr.164/ June-July 2006, pp. 48f), in dem ganz offen eine biologistische, eugenische Ethik vertreten wird.
Die Erfolgslosen sind die, die es nicht geschafft haben, sich biologisch zu "upgraden". Die besorgten Einsprüche der Katholischen Lehre gegen die In-Vitro-Fertilisation und alle ihre Konsequenzen, so die jetzt zum Teil schon praktizierte Präimplantationsdiagnose, die endlosen Folgen der "Überproduktion" von Embryonen, die Diskussion um deren Verwertung etwa zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen - all das führt in Probleme großen Ausmaßes, ethischen Dammbrüchen und, nicht zu vergessen, zu viel neuem menschlichen Leid, das man zu beseitigen beansprucht hatte.
Das "intelligent design" dieser die Evolution selber in die Hand nehmenden Biotechnologie ist alles eher als Vertrauen einflößend. Gewiss, es wird für alle diese ethischen Grenzüberschreitungen des "Bioingeneerings" immer auf die positiven Einsatzmöglichkeiten verwiesen, welche Krankheiten geheilt, welche Kinderwünsche erfüllt, welche sozialen Verbesserungen erreicht werden könnten.
Doch Vorsicht: so manche dieser "Fortschritte" haben sich mit der Zeit als problematisch erwiesen. Die riesigen wirtschaftlichen Interessen, die meist hinter den biotechnologischen Abenteuern stehen, verhindern oft eine offene und ehrliche Information über die negativen Folgen dieser "Fortschritte" (ein Beispiel sind die Forschungsresultate über die hohen Risiken bei In-Vitro-Fertilisation, über die kaum gesprochen wird, obwohl sie vorliegen).