"Macht Euch die Erde untertan" - Schöpfungsverantwortung
Es gibt wenige Sätze der Bibel, die heute so angefeindet und abgelehnt werden wie der berühmte Vers 28 des 1. Kapitels der Genesis: "Macht Euch die Erde untertan!" Ein bekannter deutscher Autor hat einer heftigen Streitschrift den Untertitel "Die gnadenlosen Folgen des Christentums" gegeben (Carl Amery, Das Ende der Vorsehung, Reinbeck 1972). An den Folgen dieses göttlichen Befehls an die Menschheit leide heute die ganze Welt. "Der Auftrag an den Menschen, sich die Erde untertan zu machen, habe jenen verhängnisvollen Weg eröffnet, dessen bitteres Ende sich nun abzeichne": die globale Umwelt-Katastrophe, die Überbevölkerung, der Fortschrittsglaube, die Weltbeherrschungsideologie. "Was wir ehedem gerühmt hatten, dass die Welt durch den Schöpfungsglauben entgöttert und vernünftig geworden ist; dass die Sonne, Mond und Sterne nicht mehr unheimliche und große Gottheiten, sondern bloße Leuchten sind; dass Tiere und Pflanzen ihren mythischen Charakter verloren - das alles wird nun zur Anklage gegen das Christentum. Die großen brüderlichen Mächte der Welt habe das Christentum zu Gebrauchsgegenständen des Menschen verkehrt und ihn damit angeleitet, Pflanzen und Tiere, die Kräfte dieser Welt überhaupt zu missbrauchen in einer Ideologie des Wachstums, die nur noch an sich selber denkt und nur noch sich selber meint" (J. Ratzinger, Im Anfang schuf Gott, Einsiedeln-Freiburg 1996, 41).
Wieder ist das Christentum auf der Anklagebank, einmal als der große Fortschrittsbehinderer, der konservative Bremsklotz, der stets das Neue kritisch und ängstlich ablehnt, jetzt aber als der üble Fortschrittsmacher, der mit biblischer Begründung die totale Ausbeutung der Natur rechtfertigt. Ist der biblische Auftrag in Genesis 1,28 nicht geradezu das Anti-Programm zu dem, was heute weltweit als Umweltschutzidee so viele Menschen bewegt?
"Gott segnete sie (Mann und Frau) und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehret euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen" (Gen 1,28).
Es klingt wie der blanke Widerspruch zu allem, was der "Club of Rome" Anfang der 70er Jahre als Warnung an eine schockierte westliche Welt aussprach: Überbevölkerung als Horrorvision, Wachstumsideologie, deren Gefahren plötzlich benannt wurden, Fortschrittsoptimismus, der in Panik zu kippen begann. Seither sind mit der rasanten Globalisierung die Gründe, besorgt zu sein, nicht geringer geworden.
Ist also die jüdisch-christliche Tradition mit ihrer Aufforderung zum Wachstum und zur Beherrschung der Welt (noch dazu als Gebot Gottes, ja überhaupt als das erste aller von Gott gegebenen Gebote, die in der Bibel stehen) sozusagen der Erstverursacher der ökologischen Bedrohung, um nicht zu sagen Katastrophe, auf die wir zugehen bzw. in der wir, so sagen manche, bereits irreversibel sind?
Fragen wir zuerst, was das biblische "Macht euch die Erde untertan" besagt. In einem weiteren Schritt wird es darum gehen, nach den tatsächlichen Ursprüngen der heutigen "Weltbeherrschungsmentalität" zu fragen. Schließlich will ich versuchen, den christlichen Auftrag zur "Schöpfungsverantwortung" darzustellen.
Vorweg sei klargestellt, was jedem einsichtig sein muss: vor 2.500 Jahren, als der Text des Buches Genesis fixiert wurde, war Überbevölkerung "noch so weit außerhalb des Gesichtskreises, dass (die Autoren) keinen Anlass hatten, davor zu warnen" (J. Schubert, Genesis 1-11, Würzburg 4/1997, S. 46). Die Sorgen um genügend Nachwuchs und um eine lebbare, bewohnbare Umwelt standen im Vordergrund.
Genesis 1,28 hat zwei Voraussetzungen, die heute doppelt in Frage gestellt werden. Die erste Voraussetzung für den Auftrag, die Erde zu beherrschen, ist die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau. Es heißt in Genesis 1,26-27:
"Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie".
Der Mensch ist von vornherein als Gemeinschaft gesehen: "Sie sollen herrschen..." Gemeinsam erhalten sie als Menschheitsfamilie den Auftrag, Gottes Statthalter, seine Verwalter zu sein. Als "nach Seinem Bild" Geschaffene sind sie die an Gottes Weltherrschaft Teilhabenden, von ihm mit der "Weltverwalterschaft" Betrauten (H.W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, München 2/1974,S. 236). Aber sie sind das nicht als anonyme "Menschheit" sondern in der konkreten Gestalt, in der die Menschheitsfamilie existiert: "als Mann und Frau schuf er sie" (Gen 1, 27b). Wir werden auf diese so entscheidende Vorgabe gleich noch zurückkommen.
Zweitens gilt es zu klären, was mit dem Wort "beherrschen" gemeint ist. Nach bibelwissenschaftlicher Auskunft geht es wirklich um Herrschaft: "Die Art menschlicher Weltverwalterschaft ist unbedingte Überlegenheit" (H.W. Wolff, op.cit., 239). Das hebräische Wort meint "immer... eine Handlung, in der der Mensch sich mit Einsatz seiner Kraft etwas dienstbar macht... So ist die Menschheit als Bild Gottes mit Fähigkeit ausgestattet und bevollmächtigt, über die Welt zu verfügen" (ebd.). Klar und eindeutig sagt es der 8. Psalm in seinem Lob des Schöpfers des Menschen:
"Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füssen gelegt: All die Schafe, Ziegen und Rinder und auch die wilden Tiere, die Vögel des Himmels und die Fische im Meer, alles, was auf den Pfaden der Meere dahin zieht" (Ps 8,5-9).
Alles, was auf Erden und im Meer und in den Lüften lebt, ist ihm unterworfen mit zwei wichtigen Präzisierungen:
- Alle Menschen gemeinsam, nicht nur einige wenige, haben von Gott die Aufgabe, die Schöpfung zu verwalten, zu gestalten und über sie zu verfügen, anvertraut bekommen. Daraus leitet sich das grundlegende Prinzip der Katholischen Soziallehre ab: "Die Güter der Schöpfung sind für das gesamte Menschengeschlecht bestimmt" (KKK 2402).
- Dem Menschen ist die Herrschaft über die gesamte außermenschliche Schöpfung anvertraut, nicht die über die anderen Menschen: "Nur der Mensch selbst soll nicht Objekt der Unterwerfung sein" (vgl. Gen 9,6; H.W. Wolff, S. 240).
Welcher Art soll des Menschen Herrschaft über die ihm unterworfene Schöpfung sein? Genau hier kommen wir an die entscheidende Weggabelung, die uns erneut mitten in das Thema dieses ganzen Jahres führt. Kardinal Ratzinger hat es in seinen Münchener Predigten zum Thema Schöpfung klar formuliert: "Der Auftrag des Schöpfers an den Menschen heißt, dass er die Welt als Gottes Schöpfung im Rhythmus und in der Logik der Schöpfung pflegen solle" (J. Ratzinger, Im Anfang schuf Gott, Einsiedeln-Freiburg 1996, 41).
Den Maßstab des Herrschens, das uns Menschen anvertraut ist, gibt der Schöpfer selber in seiner Schöpfung vor, durch ihre Sprache, ihre Rhythmen, ihren Sinn, ihre Logik. Es geht also um die Frage, ob wir als "Schöpfungsverwalter" in der Lage sind, die Sprache der Schöpfung wahrzunehmen und auf sie einzugehen. Der Auftrag zur Schöpfungsverantwortung des Menschen bedeutet, dass er es versteht, die Schöpfung zu dem zu gebrauchen, "wessen sie fähig ist und wozu sie berufen ist, aber nicht, dass sie gegen sich gekehrt wird" (ebd.).
Hat aber die Schöpfung eine vernehmbare Sprache? Gibt es eine Schöpfungsordnung, die es zu achten gilt? Gibt es Vorgaben des Schöpfers durch die Art seiner Schöpfung, durch ihren Sinn, ihr Wesen, ihre Hinweise, die uns lehren, in welchem Sinn wir so etwas wie "Schöpfungsverantwortung" wahrnehmen können?
Genau da liegt der kritische Punkt. Vielfach wird heute in Frage gestellt, dass es durch das Sein der Schöpfung Vorgaben des Schöpfers gibt, aus denen sich für uns ein Sollen ergäbe, das uns Verantwortung überträgt. Der Evolutionismus als Ideologie (nochmals: zu unterscheiden von der wissenschaftlichen Theorie der Evolution oder Deszendenz) bestreitet gerade so etwas wie eine Seinsvorgabe des Schöpfers, an der sich das sittliche Sollen der "Schöpfungsverantwortung" orientieren könnte. Ich nenne zwei Bereiche, wo es im Empfinden vieler Menschen heute Vorbehalte gegen eine Schöpfungsordnung gibt:
- Das erste ist die Vorgabe des Schöpfers des Menschen, dass dieser "als Mann und Frau" geschaffen und so gewollt sei: Es fällt uns heute, vom Zeitgeist immer auch mehr oder weniger "angesteckt", schwer, anzuerkennen, dass Mannsein und Frausein nicht einfach kulturelle Fixierungen beliebiger Art sind, auch nicht einfach genetische Zufallsprodukte, sondern zuerst einmal Vorgaben des Seins. Dass dem genetischen Spiel dabei eine Rolle zukommt, und ebenso kulturellen Einflüssen, ist keine Frage, aber sie machen das Mannsein und das Frausein nicht aus. Sie können dessen Ausprägung beeinflussen, aber immer unter der Vorgabe, dass sie ein Mannsein oder ein Frausein in seiner Gestaltung mitprägen. Wenn aus dieser Seinsvorgabe des Schöpfers sittliche Konsequenzen gezogen werden, etwa in der Frage der Homosexualität, dann wird es erst recht für den Zeitgeist unverständlich. Allzu sehr widerspricht eine solche Sicht von Schöpfungsverantwortung der weithin vorherrschenden anderen Sicht von Weltbeherrschung, von der noch zu sprechen sein wird.
- Ein zweites Beispiel ist die Frage des Tierschutzes. Im Katechismus der Katholischen Kirche ist das Kapitel über die "Achtung der Unversehrtheit der Schöpfung" in den Artikeln über die Tiere vielleicht im Stil etwas trocken ausgefallen. Dies meinte damals selbst Kardinal Ratzinger, dessen franziskanische Liebe zu den Tieren, besonders zu den Katzen, ja wohlbekannt ist. Dennoch wird man sagen können, dass die moralischen Hinweise, die betreffend den Umgang mit Tieren hier gegeben wurden, durchaus sowohl der Vernunft wie dem Schöpfungsglauben entsprechen. Die Proteste, die es gegen diese Artikel gehagelt hat, bezeugen ein oft tiefgehendes Unverständnis für den biblischen Herrschaftsauftrag des Menschen. Ich zitiere diese drei kurzen Artikel als Beispiel für die heutige Debatte um die christlich verstandene Schöpfungsverantwortung:
2416 Tiere sind Geschöpfe Gottes und unterstehen seiner fürsorgenden Vorsehung. Schon allein durch ihr Dasein preisen und verherrlichen sie Gott. Darum schulden ihnen auch die Menschen Wohlwollen. Erinnern wir uns, mit welchem Feingefühl die Heiligen, z.B. der hl. Franz von Assisi und der hl. Philipp Neri, die Tiere behandelten.
2417 Gott hat die Tiere unter die Herrschaft des Menschen gestellt, den er nach seinem Bild geschaffen hat. Somit darf man sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidern bedienen. Man darf sie zähmen, um sie dem Menschen bei der Arbeit und in der Freizeit dienstbar zu machen. Medizinische und wissenschaftliche Tierversuche sind in vernünftigen Grenzen sittlich zulässig, weil sie dazu beitragen, menschliches Leben zu heilen und zu retten.
2418 Es widerspricht der Würde des Menschen, Tiere nutzlos leiden zu lassen und zu töten. Auch ist es unwürdig, für sie Geld auszugeben, das in erster Linie menschliche Not lindern sollte. Man darf Tiere gern haben, soll ihnen aber nicht die Liebe zuwenden, die einzig Menschen gebührt.
Der erste der drei Artikel stieß auf keine Kritik, abgesehen davon, dass manchen das Wort "Wohlwollen" den Tieren gegenüber als zu gering erachtet wurde. Vor allem der Schlusssatz im dritten Kapitel hat aber heftigen Widerspruch ausgelöst: Man dürfe Tiere gerne haben, aber ihnen nicht die Menschen gebührende Liebe zuwenden. Dass die Schöpfungsordnung irgendwie verkehrt wird, wenn für die Tiere ein Luxus getrieben wird, wenn gleichzeitig Menschen das Notwendigste vorenthalten wird, müsste doch einsichtig sein. Das bedeutet ja nicht, dass die Tierliebe etwas Schlechtes ist. Es gibt nur einen schöpfungsgemäßen ordo caritatis, eine Ordnung in der Liebe, die uns sofort evident wird, wenn wir mit dem Fall von Eltern konfrontiert wären, die ihrem Haushund alle Gute geben, ihr Kind aber verhungern ließen.
Rudolf Höß, der Lagerkommandant von Auschwitz, war tierliebend. Schon manchmal wurde schmerzlich darauf hingewiesen, dass die Tierschutz-Lobby heute mehr politisches Gehör hat als die, die für den Schutz der ungeborenen Kinder eintreten. Die Schöpfungsordnung ergäbe hier eine klare Rangordnung des Sollens. Aber schon der Gedanke einer solchen Rangordnung wird von manchen so verstanden, als wäre ein Vorrang des Schutzes es ungeborenen Menschenlebens ein Affront gegen berechtigte Bemühungen um Tierschutz.
Ehe ich versuche, die Ursachen für diesen Verlust an sittlicher Orientierung an der Schöpfungsordnung zu ergründen, sei auf die positive Seite des Schöpfungsauftrages hingewiesen, wie sie, so hoffe ich, doch heute weithin einsichtig ist. Der evangelische Exeget Ludwig Köhler hat sehr anschaulich zu formulieren versucht, was Genesis 1,28 im Sinne der frühen menschlichen Kulturentwicklung und bis in das heutige kulturelle Bemühen bedeutet:
Der Schöpfungsauftrag "ist der Auftrag zur Kultur. Er geht an alle Menschen; er umfasst alle Zeiten; kein menschliches Tun, das nicht ihm unterstellt ist. Jener erste Mensch, der, mit den Seinen auf schutzloser Steppe eisigem Winde ausgesetzt ein paar Steine aufeinander legte und so die Mauer, die Grundlage aller Architektur erfand, erfüllte diesen Auftrag. Jene erste Frau, die einen harten Dorn oder eine Fischgräte durchbohrte und ein Stück Tiersehne hindurch zog, um ein paar Fetzen Fell aneinanderfügen zu können, und die so die Nadel, das Nähen, den Anfang aller Kleiderkunst, erfand, erfüllte diesen Auftrag. Bis heute ist jede Unterweisung eines Kindes, jede Art von Schule, jede Schrift, jedes Buch, alle Technik, Forschung und Wissenschaft und Lehre mit ihren Methoden, Instrumenten und Institutionen nichts anderes als die Erfüllung dieses Auftrags. Die ganze Geschichte, alles menschliche Streben steht unter diesem Zeichen, unter diesem Bibelwort.
Das ist seine objektive Seite. Es gibt auch eine subjektive Seite. Jeder Mensch muss, das liegt unverlierbar in seiner Natur, mit dem Leben fertig werden. Er muss zu dem, was ihm widerfährt, sei es, dass ihm ein Stäubchen ins Auge weht, sei es, dass eine Wasserflut ihn und die Seinen am Leben bedräut, nichts ist zu klein und nichts ist zu groß, der Mensch muss mit ihm innerlich fertig zu werden suchen ... An der Art, wie ein Mensch mit den Dingen innerlich fertig wird, wird sein Wesen erkannt" (L. Köhler, Der hebräische Mensch (1953), S. 112f, zit. nach H.W. Wolff, op. cit., S. 238f.).
Genau um diese Gefährdung geht es im Folgenden, wenn wir uns fragen, warum heute manche den Auftrag Gottes "macht euch die Erde untertan", als die große Gefahr für die ökologische und humane Zukunft der Welt sehen.
Kardinal Ratzinger hat in seinen Schöpfungspredigten 1981 so klar und deutlich von einem "Paradigmenwechsel im Verständnis des Herrschaftsauftrags" des Menschen gesprochen, dass man es mir nicht verargen wird, wenn ich im Folgenden meinen verehrten Lehrer zitiere:
"Wie ist es dann zu den Auswüchsen der Mentalität des Machens und des Herrschens gekommen, die uns heute alle bedroht? Ein erstes Wetterleuchten einer neuen Gesinnung zeigt sich in der Renaissance etwa bei Galilei, wenn er sinngemäß sagt: Falls die Natur nicht freiwillig auf unsere Fragen antwortet und ihre Geheimnisse enthüllt, werden wir sie auf die Folter spannen und im peinlichen Verhör ihr die Antworten entreißen, die sie nicht gutwillig gibt. Die Konstruktion der Instrumente der Naturwissenschaft ist für ihn gleichsam die Bereitung dieser Foltermittel, in der der Mensch als der absolute Herr sich die Antworten holt, die er von diesem Angeklagten wissen will (J. Ratzinger, op. cit., S. 42).
Eine neue Art des Wissens war gefragt: nicht was die Dinge sind, was ihr Wesen, ihr eigenes, ihre 'Natur ausmacht, oder, anders gesagt, was ihr 'Logos' ist, die göttliche Idee, der göttliche Schöpferwille, der sich in ihnen ausdrückt, sondern was wir für uns daraus machen können. 'Machtwissen', nannte man zu Recht diesen neuen Zugang zur Wirklichkeit.
René Descartes, der das neuzeitliche wissenschaftliche Denken entscheidend geprägt hat, formuliert dieses neue Wissen folgendermaßen:
"Es ist möglich, ein Wissen zu erlangen, das in diesem Leben großen Nutzen hat. Anstatt der theoretischen Philosophie, die jetzt von den Scholastikern gelehrt wird, können wir eine praktische finden, durch die wir die Natur und das Verhalten von Feuer, Wasser, Luft, Sternen und Himmel und allen anderen uns umgebenden Körpern erkennen und diese Dinge für all die Zwecke verwenden, denen sie dienen können. So machen wir uns zu Herren und Eigentümern der Natur." (Descartes, Discours de la Methode 6)
Um dieses 'Machtwissen durchzusetzen, musste vor allem der Gedanke an einen Schöpfer beseitigt werden. Er musste als 'Hypothese entbehrlich gemacht werden. Die Sprache der Schöpfung, die Botschaft vom Schöpfer, der sie uns zuträgt, gilt es zu eliminieren, damit die reine Machbarkeit ohne Begrenzung und Vorgaben zum alles bestimmenden Muster wird. Es galt daher, die Frage nach dem Schöpfer und nach seiner Sprache (und seinem Auftrag) in der Schöpfung als sinnlos und unsinnig zu erklären und stattdessen einen anderen Grundauftrag des Menschen zu formulieren als den der Schöpfungsverantwortung: "Daher ist das Verändern der Grundauftrag des Menschen, darum der Fortschritt die eigentliche Wahrheit und die Materie das Material, aus dem der Mensch die Welt schafft, die es wert sein wird, dass man in ihr lebt" (J. Ratzinger, op.cit., S. 42).
Die beiden Ideologien, die dieses Machtwissen, losgelöst vom Schöpfer und der Schöpfung, im 19. und im 20. Jahrhundert zur weitgehenden Herrschaft gebracht haben, waren der Marxismus und der Darwinismus (unterschieden von dem, was Darwins wissenschaftliche Theorie war). Der junge Karl Marx schrieb programmatisch:
"Ein Wesen gibt sich erst als selbständiges, sobald es auf eigenen Füßen steht, und es steht auf eigenen Füßen, wenn es sein Dasein sich selbst verdankt. Ein Mensch, der von der Gnade eines anderen lebt, betrachtet sich als ein abhängiges Wesen. Ich lebe aber vollständig von der Gnade eines anderen, wenn ich ihm nicht nur die Unterhaltung meines Lebens verdanke, sondern wenn er noch außerdem mein Leben geschaffen hat; wenn er der Quell meines Lebens ist, und mein Leben hat notwendig einen solchen Grund außer sich, wenn es nicht meine eigene Schöpfung ist. Die Schöpfung ist daher eine schwer aus dem Volksbewusstsein zu verdrängende Vorstellung" (K.Marx in "Nationalökonomie und Philosophie", Frühschriften, Stuttgart 1953, S. 246).
Sich keinem anderen verdanken ist die Voraussetzung für die Ermächtigung, selbst sein eigener Schöpfer zu sein. Die marxistische Utopie ist zugrunde gegangen, gescheitert an der Wirklichkeit, die sich der Ideologie nicht gefügt hat. Sie ist zusammengebrochen, weil sie nicht wahrhaben wollte, dass es so etwas wie die Natur des Menschen, eine Ordnung der Schöpfung gibt, gegen die wir nicht ungestraft handeln können. Im Bereich der Ökonomie hat sich das besonders gezeigt, aber vor allem im irrigen Menschenbild, das der Ideologie zugrunde lag.
Nicht zugrunde gegangen ist bisher das Paradigma des "Machtwissens", die Ideologie der Beherrschbarkeit der Natur als bloßem Material unseres wissenschaftlich-technisch-wirtschaftlichen Machtwillens. Es ist wohl kein Zufall, dass Friedrich Engels nach der Lektüre von Darwins "Origin of Species" begeistert an Marx schrieb, hier sei nun die wissenschaftliche Grundlage für ihre Theorie gefunden.
Als entscheidende Negation des Schöpfungsglaubens wurde der (popularisierte) Darwinismus nicht nur vom Marxismus bis zum Ende des Kommunismus propagiert; ähnliches geschah auch im "rechtsgerichteten" ideologischen Materialismus, wie er vor allem von Ernst Haeckel im deutschen Sprachraum weit verbreitet wurde, wobei er sich mit Rassentheorien und dem Sozialdarwinismus und seinem Kult des Stärkeren verband, der im Nationalsozialismus seinen schrecklichsten Ausdruck fand (vgl. Carl Amery, Hitler als Vorläufer, München 2002, S. 23-33).
Die Epoche der Ideologien ist zu Ende, nicht aber die Epoche des "Machtwissens" und seiner Loslösung vom Schöpfungsglauben und der von ihm getragenen Schöpfungsverantwortung.
Nach wie vor dominiert ein Denken, das die Welt als Produkt von Zufall und Notwendigkeit, nicht aber als Sprache und Anspruch des Schöpfers sieht. Nach wie vor fällt es extrem schwer, in den großen ethischen Fragen unserer Zeit, auf eine Weisung der Naturordnung und ihres Schöpfers Bezug zu nehmen. Nach wie vor beherrscht der Gedanken der Machbarkeit weithin auch die ethische Debatte um die Erlaubtheit des Machbaren.
Heute will ich mit einem Text des großen jüdischen Philosophen Hans Jonas schließen. In seinem späten Werk "Das Prinzip Verantwortung", das er einen "Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation" nennt, geht er der entscheidenden Frage nach, ob aus dem Sein ein Sollen folgt, ob, in theologischen Worten gesagt, ob die Schöpfung eine Sprache hat, die uns Weisung gibt. Wenn alles nur Produkt von Zufall und Notwendigkeit ist, geht von diesem Produkt keine Weisung aus, und es hat auch kein eigenes Recht. Wenn es aber ein eigenes Sein, ein vom Schöpfer gegebenes, gewolltes Sein hat, dann gibt es auch diesem gegenüber eine verbindliche Verantwortung. Nur unter dieser Bedingung gibt es "Schöpfungsverantwortung".
Hans Jonas verwendet dafür ein einfaches Beispiel, er nennt es den "Urgegenstand der Verantwortung": das Kind. Wir fragen ja nach der "Schöpfungsverantwortung". Diese gibt es nur, wenn sich vom Sein der Schöpfung ein Sollen an uns richtet. Viele bezweifeln theoretisch, dass es einen solchen Zusammenhang von Sein und Sollen gebe. Hans Jonas verweist auf einen Fall, in dem ein Zweifel nicht möglich ist: "das Neugeborene, dessen bloßes Atmen unwidersprechlich ein Soll an die Umwelt richtet, nämlich: sich seiner anzunehmen. Sieh hin und du weißt" (Tb-Ausgabe Suhrkamp 1984, S. 235).