Mittwoch 17. Juli 2024
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Requiem für + Weihbischof DDr. Helmut Krätzl

Predigt von Kardinal Christoph Schönborn am 15. Mai 2023 im Stephansdom zum Totengottesdienst für Bischof Helmut Krätzl.

Verehrter Herr Bundespräsident, gnädige Frau!

Verehrte Vertreterinnen und Vertreter des öffentlichen Lebens!

Verehrter Herr Apostolischer Nuntius!

Liebe Mitbrüder im bischöflichen, priesterlichen und diakonalen Dienst!

Geschätzte Familie und Freunde!

Liebe Schwestern und Brüder!

 

 

Ich darf zu Beginn ein Wort aus dem Testament von 2013 vorlesen, das Sie auch im Feierheft auf der Seite zwölf finden. Dort schreibt Helmut Krätzl: „Ich danke Gott, dass ich Priester werden durfte. Ich war es immer voll innerer Freude. Die Kirche hat sich während meines Priesterlebens stark verändert. Manches hat mir große Sorgen bereitet und ich habe meine Kritik aus Liebe zur Kirche ganz offen geäußert. Die Liebe zur Kirche habe ich aber nie verloren. Ich habe gelernt, mehr auf ihr inneres Wesen zu schauen und dass sie immer viel mehr ist, als sie im Augenblick erscheint.“

Ich habe gelernt, mehr auf ihr inneres Wesen zu schauen und dass sie immer viel mehr ist, als sie im Augenblick erscheint. 68 Jahre als Priester, 45 als Bischof – Ja, die Kirche hat sich während seines langen Lebens stark verändert. Nicht nur die Kirche! Auch die Gesellschaft, die Welt, das Leben. Aber „die Liebe zur Kirche habe ich nie verloren“. Wir haben das alle gespürt!

In seinem Testament sagt er weiter: „Durch Predigten, Vorträge und einige Bücher (es sind etwa 15) habe ich versucht, Menschen die Kirche so sehen und lieben zu lehren.“ Seine Vorträge und vor allem seine Predigten waren unverwechselbar stimmkräftig und wortmächtig, leidenschaftlich, engagiert, kritisch, aber nie bitter, weil von seiner durch manche Prüfungen und Enttäuschungen erprobten Liebe zur Kirche durch und durch geprägt. Deshalb konnte er auch so vielen Menschen Hoffnung vermitteln. „Neue Freude an der Kirche“ war einer seiner Buchtitel. Sie blieb in ihm immer lebendig.

Heute möchte ich mein persönliches Zeugnis über Weihbischof Helmut in Dankbarkeit ablegen. Im Testament spricht er seinen besonderen Dank aus „so vielen, die mich begleitet haben: vorab meiner Mutter und meinem Vater, meinen Geschwistern… vielen Priesterfreunden, die mir Beispiel und Stütze waren.“ Und ich füge hinzu: denen er Beispiel und Stütze war! Er dankt seinen nächsten Mitarbeitern, vor allem Frau Kub, Frau Marica, Herrn Wiche und sagt dann: „und Kardinal Schönborn danke ich, dass er mir trotz mancher Meinungsverschiedenheiten so viel anvertraut hat.“ Schon 2001, also zwölf Jahre vor diesem Testament, schrieb er mir als Widmung in eines seiner Bücher: „mit Dank für alle gewährten Freiräume für mein Tun.“

Ja, es stimmt, wir hatten Meinungsverschiedenheiten. Aber es stimmt auch, dass unsere gegenseitige Wertschätzung, unser Vertrauen, gewachsen ist und sich vertieft hat, bis zum Schluss! Es begann damit, dass ich stets, von Anfang meines Dienstes an, seine Tätigkeit als visitierender Bischof sehr bewundert habe. Aus seinen hervorragenden Visitationsberichten habe ich viel über Pfarren und Priester, über Gemeinden, Gemeindesorgen und -freuden gelernt. Seine pastoralen Anregungen waren mir eine wertvolle Hilfe. So war es für mich selbstverständlich, ihn zu bitten, auch nach seiner Emeritierung weiter Pfarren und Dekanate zu visitieren, was er mit Freude und zur Freude der Gemeinden weiter getan hat, solange er nur konnte.

Wo waren also unsere Meinungsverschiedenheiten? Ich erinnere mich, dass ich ihm in der Frühzeit meines erzbischöflichen Dienstes einmal gesagt habe: Lieber Bischof Helmut, wenn Du über die Zeit nach dem Konzil sprichst, habe ich manchmal das Gefühl, dass wir in zwei verschiedenen Kirchenwelten gelebt haben. Für Dich war die Zeit nach dem Konzil ein Aufbruch, der im Sprung gehemmt wurde. Ich habe diese Zeit als junger Dominikaner als einen dramatischen Abbruch erlebt. Scharenweise sind meine Mitbrüder und viele andere Priester ausgetreten, haben geheiratet. Später, in den Achtzigerjahren, sah ich in einem Saal der Glaubenskongregation in Rom die ca. 80.000 Dossiers von Priestern, die zwischen 1965 und 1980 das Amt verlassen haben. Die Krise war unübersehbar. Dazu kamen Auseinandersetzungen über Lehrfragen, die mich als jungen Theologen sehr bewegten. Für mich war die Sorge um die Lehre der Kirche eine existenziell bewegende. Es war mir nicht egal, ob die Auferstehung Jesu real oder symbolisch war. Ich hatte nach meiner eigenen tiefen Krise in den Jahren 67 und 68 – ich war damals sehr jung – zu einer neuen Freude am Glauben und an der Kirche gefunden, mit Begeisterung die Kirchenväter und die ostkirchliche Theologie entdeckt und in Theologen wie Hans Urs von Balthasar und Joseph Ratzinger Meister gefunden, die mir Orientierung gaben. Ich erlebte, wie wir alle in diesen schwierigen Jahren, eine wachsende Polarisierung mit der stets drohenden Gefahr des Schwarz-Weiß-Denkens erlebt haben. Da waren die Guten und da die Bösen, die die richtig und die, die falschliegen.

Gott sei Dank blieb es nicht dabei. Es waren bittere Grabenkämpfe, doch als ich nach Wien kam, waren sie voll im Gang. Ich brauche die Einzelheiten hier nicht zu erinnern. Es gab viel Leid, Verletzungen, bittere Konflikte.

Es berührte mich zutiefst, als ich im Testament von Weihbischof Helmut den Satz las, den ich schon zitiert habe und der so wichtig ist, dass ich ihn noch einmal zitiere: „Ich habe gelernt, mehr auf ihr (der Kirche) inneres Wesen zu schauen und dass sie immer viel mehr ist, als sie im Augenblick erscheint.“ Diese Haltung hat ihm und vielen anderen, und auch mir geholfen, aus den Grabenkämpfen herauszufinden und tiefer zu sehen, das Geheimnis der Kirche zu erspüren.

Noch etwas Anderes kam dazu! Die tiefe Erschütterung der Kirche durch das Öffentlichwerden von Missbrauch, bis hinauf zur Diözesanleitung. Die Glaubwürdigkeit der Kirche war am Tiefpunkt. Für kirchlichen Triumphalismus war kein Platz mehr übrig. Das ehrliche Bekennen des Versagens und der Schuld und die klare Option für die Opfer und nicht für das Ansehen der Kirche waren der Weg, den wir einzuschlagen hatten und gemeinsam bis heute zu gehen versuchen.

Diese Erschütterung, die vielen Kirchenaustritte, das Schrumpfen unserer Gemeinden, all das drängt hin, auf das innere Wesen der Kirche zu schauen, auf dieses „viel mehr“, das sie ist als das, als was sie im Augenblick erscheint.

Helmut Krätzl hatte eine tiefe Liebe zur Eucharistie. Es hat mich immer berührt, wie er fast bis zum Lebensende zu den Gottesdiensten in den Dom kam, im Rollstuhl, hier vorne sitzend, gut begleitet von seinen beiden Pflegern, denen großer Dank gilt, Andreas und Thomas! Er war noch nicht fünf Jahre alt, als er die Frühkommunion erhielt. Die tiefen Quellen des Glaubens haben ihm die Kraft gegeben, die Mühen des Alters, die körperlichen Beschwerden mit Gelassenheit zu tragen.

Mir bleibt eine Frage im Herzen, die ich ihm leider so ausdrücklich nie gestellt habe. Er hat ganz im Geist des Aufbruchs des Zweiten Vatikanischen Konzils gelebt. Er konnte mit Begeisterung davon sprechen. Er war einer der letzten echten Augenzeugen. So vieles von dem, was das Konzil wollte oder anstrebte, schien ihm nicht verwirklicht. Das hat ihn enttäuscht, geschmerzt, er hat es offen angesprochen. Warum wurde er trotzdem nie ein bitterer, resignierter Mensch? Warum ist er ein hoffnungsfroher Mensch geblieben?

Dazu zwei Schlussbemerkungen. Das „Arbeitspapier“ – „instrumentum laboris“ genannt – für die im Oktober in Rom stattfindende Weltsynode haben wir vergangene Woche im Synodenrat diskutiert. Es soll bald veröffentlicht werden. Mich hat darin ein Abschnitt besonders beeindruckt. Vielleicht erklärt er ein wenig, warum Weihbischof Helmut ein froher Mensch geblieben ist. Synodalität heißt wörtlich: gemeinsam auf dem Weg sein. Das bedeutet, so sagt das Arbeitspapier, unvermeidlich Unvollständigkeit und Unvollendetheit. Der Weg ist eben nicht das Ziel. Das Zweite Vatikanum sprach vom Volk Gottes auf dem Weg. Vollendet ist der Weg, wenn er zum Ziel geführt hat, wenn das Ziel erreicht ist. Deshalb geht die Kirche, wie das Konzil sagt, „immerfort den Weg der Buße und der Erneuerung“ (LG 8). Die Erneuerung ist nie abgeschlossen. Sie bleibt ein Dauerauftrag. Aber immer wieder erleben wir auf dem Weg eine Vorwegnahme des Ziels, besonders in der Feier der Eucharistie. Weihbischof Helmut hat in seinem Buch „Mein Weg mit der Eucharistie“ sehr persönlich über seinen Synodos, seinen gemeinsamen Weg mit dem Herrn in der Eucharistie, geschrieben.

Nun ist sein Weg mit der Eucharistie ans Ziel gekommen. Er war ganz darauf ausgerichtet! Seine Gelassenheit, seine Heiterkeit, trotz allem Mahnens zur notwendigen Erneuerung, ja zur Reform der Kirche, hat wohl damit zu tun, dass er aus langer Erfahrung wusste, wie unvollendet alle unsere Wege sind. Lieber Bischof Helmut, du warst vielen ein Wegweiser, ein Wegbegleiter. Jetzt darfst du bei dem sein, der allein von sich sagen kann: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben!“

Schwestern und Brüder, gestatten Sie mir noch ein letztes Wort zu der Lesung aus der Apostelgeschichte. Es ist die Rede von einer Frau. Auch Weihbischof Helmut war es ein Anliegen, den Platz der Frau in der Kirche zu bedenken, zu erneuern, zu erweitern. Die Purpurhändlerin aus Thyatira ist, zumindest in der Apostelgeschichte, die erste Christin in Europa. Denn Paulus kommt von Kleinasien herüber nach Mazedonien, auf den Ruf des Mazedoniers hin, den er in einer Vision gesehen hat. Lydia war eine Gottesfürchtige, und der Herr öffnete ihr das Herz, so dass sie den Worten des Paulus aufmerksam lauschte. Darauf lässt sie sich taufen mit ihrem ganzen Haus und in ihrem Haus entsteht eine christliche Gemeinde – die erste zumindest nach der Apostelgeschichte in Europa. Eine Frau, der der Herr das Herz geöffnet hat.

Schwestern und Brüder, vielleicht ist das der tiefste Grund, warum Bischof Helmut immer, trotz aller Sorge und Kritik, ein hoffnungsvoller, ein zuversichtlicher, auch ein fröhlicher Mensch geblieben ist. Er weiß, und das ist die große Zuversicht für die Kirche, auch für die Zukunft, der Herr selber öffnet die Herzen. Und ohne dieses Wirken des Herrn ist alles unser Bemühen vergeblich. Lieber Bischof Helmut, du hast vielen Menschen das Wort Gottes nahegebracht. Und vielen hat der Herr dafür das Herz geöffnet. Dafür danken wir dir und dafür danken wir dem Herrn.

 

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