Samstag 23. November 2024
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Predigt zur Bischofsweihe von P. Stanislav Přibyl

Zur Bischofswihe am 2. März 2024 im Dom von Litoměřice

Lieber Weihekandidat P. Stanislav,

verehrter Herr Apostolischer Nuntius,

lieber Herr Erzbischof Jan Graubner,

liebe Mitbischöfe, Priester, Ordensleute,

vor allem liebe Gläubige,

besonders die Familie des erwählten Bischofs!

 

„Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,21).

Mit diesen Worten beginnt Jesus in der Synagoge von Nazareth seine Auslegung der Worte, die er eben selber aus der Schriftrolle des Propheten Jesaja vorgelesen hat.

 

Dieses „Heute“ gilt auch am heutigen Tag. Heute erfüllt sich dieses Wort! Denn heute wirst Du, lieber Mitbruder Stanislav, von Jesus in Seinen besonderen Dienst genommen. Du wirst in die Gemeinschaft der Nachfolger Jesu, der Apostel, durch die Bischofsweihe aufgenommen; für heute, aber in einer langen und abwechslungsreichen Geschichte.

Mit der Auflegung der Hände und mit der Salbung des Heiligen Geistes wirst Du in das Kollegium der Bischöfe aufgenommen und bekommst Anteil an einer großen Geschichte durch die successio apostolica. Es ist schon etwas Einzigartiges, in diese 2000 Jahre der Nachfolge der Apostel zu gehören. Gibt es eine vergleichbare Institution, die eine solche Kontinuität aufweist, durch alle Veränderungen der Geschichte hindurch?

 

Du wirst Bischof einer Diözese, die knapp 370 Jahre alt ist, in einer Stadt, die nächstes Jahr die 800 Jahre ihrer Gründung feiert und die eine bewegte Geschichte hat, in der sich die Dramen der Böhmischen und der Europäischen Geschichte spiegeln. Ich nenne nur die hussitischen Konflikte, die Spannungen der Reformationszeit, die katholisch-habsburgische Gegenreformation, dazu die Nationalitätenfrage zwischen deutschen und tschechischen Teilen der Bevölkerung, immer akuter seit dem 19. Jahrhundert, bis hin zur Tragödie des      

 

20. Jahrhunderts, der Nazi-Herrschaft und der nachfolgenden Vertreibung der Deutschsprachigen. Die kommunistische Herrschaft schließlich, samt ihrer Kirchenverfolgung. Und mitten in all diesen Dramen das Los der Juden, deren Diskriminierungen, Vertreibungen, Pogromen und schließlich die Shoa als das Unfassbare des Bösen.

 

Durch all diese Schicksale hindurch haben Menschen versucht, als Menschen und Christen zu leben, die Prophetie des Jesaja zu verwirklichen im Heute ihres täglichen Lebens, „den Armen frohe Botschaft zu bringen, um die zu heilen, die gebrochenen Herzens sind, um den Gefangenen Freilassung auszurufen und den Gefesselten Befreiung“ (Jes 61,1). Was die Geschichtsschreibung selten berichtet, weil es kaum erfasst werden kann, ist dieses Heute, durch alle Jahrhunderte, der gelebten Güte und Barmherzigkeit, der Nächstenliebe und der stillen Opfer, ohne die das meist schwere Leben der Menschen ganz unerträglich gewesen wäre. So wurde Jahr für Jahr „ein Gnadenjahr des Herrn ausgerufen“ (Jes 61,2) und die Gnade des Herrn erfleht, in den Sakramenten ausgespendet, durch das Wort Gottes in das tägliche Leben und Sterben der Menschen hineingetragen.

 

Immer hat es Menschen gegeben, die ihr Menschsein nicht verloren haben, Armen und Notleidenden geholfen haben, Gefangene befreit haben. Besonders bewegend ist die Geschichte des letzten Deportations-Zuges aus dem KZ-Außenlager Leitmeritz mit 4000 Personen in 77 offenen Kohlewaggons, kurz vor Kriegsende. Mutige Menschen der Zivilbevölkerung haben den Zug aufgehalten und die halbverhungerten Häftlinge befreit. Immer wird es solche mutigen Menschen geben!

 

Lieber Bischof Stanislav! Heute wirst Du zum Bischof geweiht, für diese Zeit, für unsere Zeit. Die Herausforderungen sind anders als vor 100, 1000, 2000 Jahren, und sind doch im Wesentlichen dieselben. Was brauchst Du für Dein Amt? Was erwartet der Herr von Dir? Du hast es selber bereits beantwortet, denn Du hast für Deine Weiheliturgie das eben gehörte Evangelium ausgesucht.

 

Jesus hat seine Apostel nicht mit einem internationalen Auswahlverfahren gewählt. Er hat ihnen keinen Managementkurs verordnet. Er hat Petrus nur eine Frage gestellt: „Liebst du mich?“ Du willst Jesus dieselbe Antwort geben, die Petrus gegeben hat: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe.“ Und daraufhin sagt Jesus auch Dir heute: „Weide meine Schafe!“ (Joh 21,15-17)          .

 

Aber kannst Du das ehrlich sagen? Kann ich es? Können wir Bischöfe, die hier sind, es ehrlich sagen? Wie kam Petrus zu dieser Antwort? Er sagt es selber: „Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebe.“ Das Schöne an diesem Wort ist, dass es für uns alle offen ist. Denn darin liegt das Herz des Christentums. Ich muss da an ein Gespräch denken, das ich in den 80er Jahren in Rom mit der Pförtnerin des „Palazzo del Sant’Ufficio“ hatte. Ich fragte sie: „Wie ist denn euer neuer Präfekt, der Kardinal Ratzinger?“ Ihre Antwort ist mir unvergesslich: „E un vero cristiano!“ (Er ist ein echter Christ!) Von uns allen, Bischöfen, Priestern, Laienchristen, soll man vor allem das sagen können: E un vero cristiano!

 

Jesus lieben heißt, die Menschen lieben. Sie mögen! Sich für sie interessieren! Ein leidenschaftliches Interesse an dem haben, was ihr Leben ausmacht. Mein Vorvorgänger, Kardinal König, hat mich immer wieder beeindruckt durch sein lebhaftes Interesse an dem, was die Menschen bewegt. Heute denke ich hier im Dom von Leitmeritz ganz bewusst an ihn. Am 16. April 1974 nahm er, mit anderen Kardinälen, darunter Kardinal Wojtyla, mit 3000 Menschen am Begräbnis von Kardinal Štěpán Trochta teil. Danken wir genug dafür, dass wir heute in Freiheit die Bischofsweihe von Bischof Stanislav feiern dürfen?

 

Viel hat sich seit der „Samtenen Revolution“ in Tschechien geändert. Ich erinnere mich noch gut an meinen Besuch im Priesterseminar von Leitmeritz in den ersten Jännertagen 1990. Vojtěch Cikrle war noch Regens. Es war eine wunderbare Aufbruchstimmung, seit der Heiligsprechung der Agnes von Böhmen in Rom am 12. November 1989. Ich durfte sie miterleben. Was ist aus dieser Stimmung 34 Jahre später geblieben, geworden? Wie sieht die Zeit aus, in der Du, lieber Stanislav, jetzt Bischof wirst? Ich darf Dir etwas verraten: Wir schauen zur Zeit mit wachsendem Interesse auf die Kirche in Tschechien. In Wien speziell, aber in Österreich insgesamt, und wohl „im Westen“ Europas, erleben wir eine rasante Säkularisierung, mit allem, was dazu gehört. Ihr habt das durch Kommunismus und Wirtschaftsliberalismus fast schon hinter euch. Wir schauen in der letzten Zeit auf euch, um besser zu lernen, wie als Kirche in einer so säkularen Gesellschaft zu leben, auch mit viel bescheideneren finanziellen Mitteln. Papst Benedikt XVI. hat schon 2009 darauf hingewiesen, dass wir von Tschechien lernen können, wie sich in dieser säkularen Gesellschaft Christsein heute gestalten kann.

 

„Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“ Ein Wort der kleinen Heiligen Thérèse von Lisieux möge überleiten zum nun beginnenden Akt der Bischofsweihe. In einem ihrer Gedichte steht der Satz: „Pour t’aimer, je n’ai que aujourd’hui“ („Um dich, Jesus, zu lieben, habe ich nur heute“)

 

Möge diese Heute dich, lieber Bischof Stanislav, alle Tage deines Lebens begleiten, bis ins ewige HEUTE Gottes! Amen!

 

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