Mittwoch 17. Juli 2024
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Predigt zum Palmsonntag 2024

Predigt von Kardinal Schönborn zum Palmsonntag am 24.März 2024 im Stephansdom

Liebe Schwestern und Brüder im Dom oder über den Livestream jetzt mit uns verbunden!

Ich möchte nur einen Moment aus der Passion herausgreifen. In gewisser Weise ist es der Höhepunkt: das Bekenntnis des römischen Hauptmanns, des Centurio, wie er in der römischen Militärbezeichnung heißt. Er ist der Hauptmann, der die Kohorte kommandierte, überwachte, und der über das ganze Geschehen am Golgatha, die Kreuzigung, wachen musste. Denn es gab strenge Regeln. Die Angehörigen durften nicht zu nahe an das Kreuz kommen. Die Menge wurde auf Abstand gehalten. Die Soldaten mussten ihren Dienst tun. Der Centurio, der Hauptmann – wir wissen nicht seinen Namen, die Tradition hat ihn später hinzugefügt – steht sechs Stunden lang Wache, von der dritten bis zur neunten Stunde, von der Kreuzigung, die er überwacht hat, bis zum Tod, den er feststellen musste. Er hat es dann auch Pilatus gemeldet: „Jesus ist tot.“ Aber in diesen sechs Stunden muss sich etwas in ihm getan haben. Der Text sagt es nicht, aber wir können uns einfühlen. Sechs Stunden lang steht er gegenüber vom Kreuz Jesu. Was ist in seinem Herzen vorgegangen? Er hat zweifellos oft Kreuzigungen bewacht. Sie waren zahlreich und schrecklich. Und er hat seinen Dienst getan, Dienst nach Vorschrift. Wachen kontrollieren. Ordnung halten. Aber in diesen Stunden des Stehens und Wachens gegenüber von dem Gekreuzigten muss sich etwas in seinem Herzen geregt haben. Wir wissen es nicht, aber wir können uns hineindenken. Was er gesehen hat, war das grausame, übliche Schauspiel der Kreuzigung. Aber es muss etwas anders gewesen sein. Nicht nur die Inschrift, dass dieser Jesus von Nazareth der König der Juden sein soll. Solche Messiasprätendenten gab es viele, und sie sind alle so geendet: am Kreuz oder umgebracht. Aber bei diesem muss er etwas anderes gespürt haben. Er hat beobachtet. Die Menschen, die dabei stehen. Markus nennt nicht Maria, die Mutter Jesu, wie es Johannes tut. Aber er nennt die andere Maria, die Mutter des Jakobus. Er nennt Maria von Magdala. Und die vielen Frauen, die mitgekommen waren aus Galiläa. Alles das sieht er. Er sieht und hört den Spott der Hohenpriester des Hohen Rates, der schaulustigen Menge. Das ist ja ein Schauspiel, so eine Kreuzigung. „Steig doch herab, wenn du der Messias bist, dann wollen wir an dich glauben.“ Alles das erlebt er. Aber, Schwestern und Brüder, eines ist unvergleichlich. Auch das wird uns nicht im Detail geschildert. Aber wir können uns hineindenken, hineinfühlen. Er hat Jesus gesehen, sechs Stunden lang, die ganze Passion. Und es ist wohl unvermeidlich gewesen, dass die Blicke sich begegnen, dass Jesus ihn angeschaut hat. Wahrscheinlich hat nichts mehr in seinem Herzen bewirkt als dieser Blick Jesu, dem er immer wieder in diesen sechs Stunden begegnet ist. Wir wissen nicht, was in ihm geschehen ist, aber wir wissen, dass er der erste war unter den Heiden, der Jesus als den Sohn Gottes bekannt hat. „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.“

 

Schwestern und Brüder, man wirft uns oft vor, dass wir zu viel auf das Kreuz schauen. Ist denn die christliche Religion eine Kreuzesreligion? Nein, sie ist Kreuz und Auferstehung. Aber ohne das Kreuz ist sie nicht unser christlicher Glaube. Und so sagt der Centurio, der gegenüber vom Kreuz steht –wörtlich heißt es im Griechischen: „Als er sah, wie Jesus seinen Geist aufgab, sagte er: Dieser Mensch war Gottes Sohn.“ Schwestern und Brüder, was machen wir anderes, wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen? Was machen wir anderes, wenn wir sagen: Ja, wir sind Christen, wir versuchen, wir bemühen uns, Christen zu sein, wir wollen es. Was tun wir anderes als das, was der Centurio im Angesicht des Sterbens Jesu gesagt hat? „Dieser Mensch war Gottes Sohn.“ Wir wissen nicht, wie er heißt. Wir wissen mit Sicherheit, dass er beim Herrn ist. Und wir können den namenlosen Centurio bitten: Hilf auch uns angesichts des Kreuzes, unseres Kreuzes, aus ganzem Herzen zu sagen: „Dieser Mensch, du Jesus, bist der Sohn Gottes.“

Fotos
20 Jahre Erzbischof von Wien
Bildeindrücke aus dem Stephansdom und dem...
Nach dem Weltjugendtag in Rio nützt Kardinal...
Erzb. Sekretariat
Wollzeile 2
1010 Wien

E-Mail schreiben
Datenschutzerklärung
Darstellung: Standard - Mobil