Freitag 27. Dezember 2024
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Predigt zu Maria Empfängnis 2014

Predigt von Kardinal Christoph Schönborn zu Maria Empfängnis am 8. Dezember 2014, im Dom zu St. Stephan im Wortlaut:

Ps 51, Bußpsalm

Ps 139, Dankpsalm

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Es sind zwei Stellen in den Psalmen, die mich besonders bewegen und am heutigen Fest zu besonderem Nachdenken anregen. Das eine ist der große Bußpsalm (Ps 51, Miserere), der Ihnen vielleicht aus der berühmten Vertonung von Gregorio Allegri bekannt ist. Die Vertonung durfte früher nur einmal im Jahr am Karfreitag in der Sixtinischen Kapelle gesungen werden durfte. Heute ist diese wunderbare Vertonung des Miserere vielen bekannt:

 

"Misere mei Deus, secundum magnam misericordiam tuam..."

"Hab Erbarmen mit mir Herr, gegen dich allein habe ich gesündigt..."

„Ecce enim in iniquitatibus conceptus sum, et in peccatis concepit me mater mea"

„Ich bin in Schuld geboren, in Sünde hat mich meine Mutter empfangen..."

 

Wir feiern heute das Fest einer Empfängnis, der Empfängnis Mariens. „In Sünde hat mich meine Mutter empfangen". Was heißt das? Sind wir alle in Sünde geboren, in Sünde empfangen? Sind wir alle von Geburt an, von unserer Empfängnis an in Sünde verstrickt? Es gibt aber eine andere Stelle im Psalm 139, die mich ganz besonders bewegt. Der große Psalm, in dem wir für unsere Geburt, für unsere Empfängnis danken. Es ist der Psalm, in dem wir uns über das Wunder der Empfängnis, das Wunder unseres Lebens ausdrücken:

 

„Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich. / Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. / Von fern erkennst du meine Gedanken.

Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt; / du bist vertraut mit all meinen Wegen.

Noch liegt mir das Wort nicht auf der Zunge – / du, Herr, kennst es bereits.

Du umschließt mich von allen Seiten / und legst deine Hand auf mich."

„Denn du hast mein Inneres geschaffen, / mich gewoben im Schoß meiner Mutter.

Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. / Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.

Als ich geformt wurde im Dunkeln, / kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, / waren meine Glieder dir nicht verborgen".

 

Beides drückt der Psalm aus. Diese erschütternde Aussage „In Sünde hat meine Mutter mich empfangen, ich bin in Schuld geboren..." und gleichzeitig dieses wunderbare „Du hast mich in der Tiefe der Erde", das heißt im Schoß meiner Mutter geschaffen, gewoben, wunderbar bin ich entstanden. Beides gehört zusammen, und ich denke das heutige Fest ist ein Anlass nachzudenken, denn wir feiern die Empfängnis Mariens im Schoß ihrer Mutter Anna. Wir glauben von ihr, dass sie nicht hineinverstrickt, hineingebunden war in die Schuldgeschichte, dass in ihr gewissermaßen nur das Wunder der Empfängnis, das Wunder des Lebens sichtbar geworden ist.

 

In den beiden Lesungen haben wir diese beiden Wirklichkeiten unseres Lebens. In dem Text aus der Genesis ist der Anfang unserer Schuldgeschichte. Adam versteckt sich vor Gott. Der Mensch verbirgt sich vor Gott, er hat Angst vor Gott. Er fühlt sich nackt und bloß vor Gott und schämt sich. Was ist da geschehen in diesem sich gegenseitigen Anklagen? „Die Frau, die du mir gegeben hast, sie hat mich verführt... die Schlange hat mich verführt..." Nicht die eigene Schuld, sondern die des anderen. Die Verstrickung in die Geschichte der Schuld,

Brüder und Schwestern, wenn wir hineinschauen in die Geschichte und in die Gegenwart:

 

Wie viel Schuldverstrickung ist da? Wenn wir gleichzeitig auf das Wunder des Lebens schauen, wie wunderbar ist das Geheimnis des Lebens! Wir sind hineinverstrickt in eine Schuldgeschichte und gleichzeitig in eine Heilsgeschichte. Der Apostel sagt es uns wunderbar im Epheserbrief: „Erwählt vor der Grundlegung der Welt", das heißt geliebt, gewollt, bejaht. Wir tragen in uns die ganze Geschichte der Menschheit, in unserem genetischen Code ist die ganze Geschichte der Menschheit enthalten. Wir sind mehr noch. Nicht nur die ganze Geschichte der Menschheit, der Mikrokosmos, das ganze Universum ist im Menschen gegenwärtig. Ich brauche das nicht auszuführen, die Naturwissenschaften haben hier Wunderbares über das Geheimnis des Lebens erschlossen. Und gleichzeitig ist dieses Leben so gefährdet, so hineinverstrickt in Schuld, Versagen.

 

In Maria löst sich gewissermaßen der Knoten. In Maria hat Gott in seiner Erwählung in diese Schuldgeschichte einen neuen Anfang gesetzt, eine neues Ja, ein Leben, das nicht von der Schuldgeschichte, sondern von der Heilsgeschichte geprägt und bestimmt ist. Darum ist das Fest der Immaculata für uns ein Herzensfest, auch wenn es zu einem Shoppingtag umgewandelt wurde, leider. Aber so dürfen wir doch hier im Dom und alle, die im Herzen mitfeiern, danken für dieses unbedingte Ja, das Maria gesprochen hat und das möglich war, weil sie selber ganz und gar nicht hineinverwickelt war in die Schuldgeschichte, sondern ganz und gar in der Gnadengeschichte Gottes gestanden ist.

 

Wenn wir jetzt das Credo hören und innerlich mitbeten, dann dürfen wir vor allem bei dem für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen und hat Fleisch angenommen aus Maria der Jungfrau. Dürfen wir danken, dass auch wir hineingestellt sind in eine Heilsgeschichte mit allen Verstrickungen, die unser Leben auch bestimmen. Und Maria ist der Anfang dieser Heilsgeschichte.

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