Sonntag 22. Dezember 2024
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Predigt zum Weltaidstag 2017

Predigt von Kardinal Christoph Schönborn, im Dom zu St. Stephan, zum Weltaidstag, am Freitag, 1. Dezember 2017, im Wortlaut:

Liebe Freunde!

 

Wie soll ich versuchen zu sagen, was mich in diesem Moment bewegt? Wir sind hier im Dom zu später Stunde, um der vielen, der 35 Millionen Toten zu gedenken, die an Aids gestorben sind.

Wir haben eben das gewaltige „Dies Irae“ von Mozart gehört, seine letzte Komposition, seine Auseinandersetzung mit dem Tod, sein Hoffen, sein Bangen, sein Trost vor dem nahen Tod. Und dann die wunderbar trostvollen Worte aus der Bibel: „Der Tod wird nicht mehr sein! Keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal!“ Und die Zusage: „Er, (Gott selber) wird alle Tränen von ihren Augen wischen“.

 

Und dann im Evangelium diese Zusage: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab“, damit wir das ewige Leben haben. „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit sie durch ihn gerettet wird“.

Und zu diesen Worten voll Trost kommen Namen, Gesichter, Erinnerungen. Auf den Quilts stehen einige. Und in unseren persönlichen Erinnerungen andere.

 

Ich sehe vor mir die arme Hütte in Ndola, Sambia, in die mich Bischof De Jong mitnahm, diesem mutigen Mann, der so viel für die Aidshilfe in seinem Land getan hat. Eine junge Frau am Boden liegend, schwach, ausgezehrt im letzten Krankheitsstadium.

 

Eine andere Erinnerung aus Sambia: Kinder, Aidsvollwaisen, um die sich niemand mehr kümmern kann. Ein Foto auf meinem Schreibtisch erinnert mich an ihre großen Augen. Und an die wunderbaren Menschen, die sich dieser Kinder annehmen.

 

Heute ist mir ein Mitbruder, Priester, Ordensmann besonders nahe, der vor fast 30 Jahren verstarb. Damals umschrieb man die Todesursache, um den Namen der gefürchteten Krankheit nicht zu nennen. Ich besuchte ihn 10 Tage vor seinem Tod, kurz vor der Karwoche. Er sagte mir: „Ich werde am Karfreitag sterben“. Er starb am Ostermontag. Für uns ein Zeichen, dass sein Tod ein Sterben hinein in die Auferstehung, in das Leben war. Das Kreuz, das Leid, der Tod haben nicht das letzte Wort.

 

„Der Tod wird nicht mehr sein“ – haben wir gehört. Aber unser Tod wird sein, sicher und absolut unausweichlich. Es ist wohl etwas vom Wichtigsten im Leben: um den Tod zu wissen. Ich werde sterben! So wie alle vor uns. Es gibt eine berührende Stelle in einem Brief an seinen Vater: „Ich lege mich niemals zum Schlafen nieder, ohne zu bedenken, dass ich den nächsten Tag vielleicht nicht mehr erleben werde, und doch könnte keiner meiner bekannten sagen, dass ich im Umgang mit ihnen stur oder verdrießlich sein – und für diese Quelle des Glücks danke ich meinem Schöpfer jeden Tag und ich wünsche meinen Mitmenschen von ganzem Herzen dasselbe“.

Ich denke, Mozart ist hier ganz glaubwürdig und macht keine frommen Sprüche, wenn er im selben Brief den Tod als „besten und aufrichtigsten Freund der Menschheit“ nennt.

 

Die Bibel nennt aber andererseits den Tod „den letzten Feind“, den es zu besiegen gilt. Und wie dankbar dürfen viele sein, dass heute Aids nicht mehr unausweichliche Todeskrankheit sein muss. Es ist großartig, was die Medizin geleistet hat und leistet. Trotzdem bleibt der Tod uns gewiss.

 

Woher nahm Mozart diese Ruhe dem Tod gegenüber? Es muss in ihm eine tiefe innere Gewissheit gegeben haben, dass am Ende alles gut wird.

 

Die ganze Dramatik der Schrecken des Todes, des Gerichts kommt im Dies Irae gewaltig zum Ausdruck. Das ganze Elend des eigenen Lebens! So viel Versäumtes, so viel Misslungenes, so viele Wunden, die uns verletzt haben und die wir anderen zugefügt haben. Und so viel Verurteilen, selbst gegen uns, andere gegen uns, wir gegen andere. Vorurteile und Verurteilen. Alles wird offen daliegen, heißt es im Dies Irae, alle meine Gemeinheiten und Kleinheiten, Lieblosigkeiten und Hartherzigkeiten. „Liber scriptus proferetur, in quo totum continetur“. Quid sum miser tunc dicturus? Keine Schönrederei, kein sich Herausstellen aus der Verantwortung.

Und in dieses Nackt und Bloß vor Gott stehen kommen die wunderbaren Trostworte des Recordare, Jesu pie! Die Angst vor dem Tod, die Furcht vor Gottes Gericht, wird abgelöst von einem immer größeren Vertrauen.

 

Die heilige Thérèse von Lisieux, deren Blick einen hinten im Dom ansieht, sagt das schlicht:

„Am Abend meines Lebens werde ich mit leeren Händen vor dir stehen“. Am Ende zählen nicht unsere Leistungen, so toll sie sind, nicht unsere Erfolge, nicht was in unserem Leben schief gegangen ist, sondern nur das Eine: Gott kennt uns, aber richtet uns nicht. Nicht zu richten kam er, sondern um zu retten. Am Abend unseres Lebens zählt nur die Liebe (sagt Johannes von Kreuz).

 

Was ich mir von diesem Abend wünsche? Wenn Gott uns nicht zu richten gekommen ist, dann sollten wir einander weniger richten, weniger ausrichten. Uns annehmen, wie wir bedingungslos von Gottes Liebe angenommen sind. Dann kann dieser Abend das Angesicht unseres Landes verändern.

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