Donnerstag 7. November 2024
Ansprachen, Reden und Vorträge von Kardinal Christoph Schönborn

"Lassen wir uns die Hoffnung nicht rauben"

Wortlaut der "ORF2"-Silvesteransprache von Kardinal Christoph Schönborn

Kardinal Christoph Schönborn hat in seiner "ORF2"-Silvesteransprache Mut zur Wahrheit gemacht: Es gelte Grenzen in der Wirtschaft und in der Umweltbelastung anzuerkennen, demgegenüber ein Mehr an Nächstenliebe und Solidarität anzustreben - konkret nannte Schönborn dabei heimatsuchende Fremde. Wortlaut der Ansprache:

 

Guten Abend!

 

Lassen wir uns die Hoffnung nicht rauben! Dieses Wort von Papst Franziskus ist für mich so etwas wie ein Leitwort für das kommende Jahr 2015. Lassen wir uns die Hoffnung nicht rauben, denn die Hoffnung ist das Lebenselixier. Ohne Hoffnung gibt es keine Zukunft, gibt es keine Lebensfreude. Deshalb möchte ich ihnen zu diesem Jahreswechsel drei kurze Gedanken sagen, zu dem was uns Hoffnung gibt und was die Hoffnung stärkt.

 

Der erste Gedanke ist ein ernster: Es gibt keine Hoffnung ohne Wahrheit. Die Wahrheit kann wehtun, aber sie macht frei. Denn Hoffnung ist nicht dasselbe wie Augenauswischerei. Wir brauchen keine Illusionen. Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar, hat Ingeborg Bachmann gesagt. Die Wahrheit ist, dass wir an Grenzen stoßen: An Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums, es kann so nicht ständig weiter wachsen. An Grenzen des Schuldenberges, wir dürfen nicht weiter Schulden machen. An Grenzen der Umweltbelastung, sie sind bereits zu groß. Wir stoßen überall an Grenzen und das müssen wir uns eingestehen, auch wenn es wehtut. Die Wahrheit macht frei.

 

Aber es gibt einen Bereich, in dem das Wachstum keine Grenzen hat: Das ist die Güte, die Nächstenliebe, die Aufmerksamkeit füreinander, die Solidarität die darf ruhig weiterwachsen im kommenden Jahr. Auch die Aufmerksamkeit für den Fremden, den Menschen, der in unserem schönen, gesegneten Land eine neue Heimat sucht.

 

Ein zweiter Gedanke: Wenn eine Frau ein Kind erwartet, dann sagen wir, sie sei guter Hoffnung. Schon jetzt möchte ich alle Kinder begrüßen, die in diesem kommenden Jahr zur Welt kommen werden. Sie sind eine Hoffnung nicht nur für ihre Familie, sondern auch für unser Land. Sie sind Hoffnung für uns Menschen. Und daher meine Einladung, meine Bitte an uns alle: Sagen wir Ja zum Leben, Ja zum Ungeborenen, Ja zum Neugeborenen, Ja zum Leben der alten Menschen, Ja zu Behinderten, zu denen, die durch Krankheit in ihrem Leben beeinträchtigt sind alle sind ein Zeichen der Hoffnung. Und so wünsche ich uns allen, dass wir in diesem Sinne guter Hoffnung sind.

 

Und ein dritter Gedanke: Wir kommen manchmal auch in hoffnungslose Situationen. Es gibt hoffnungslose Überschuldungen: im persönlichen Bereich, in Familien, in Betrieben. Es gibt die Situation von Sucht, aus der jemand nicht herauskommt: Alkohol, Drogen oder andere Süchte. Wie ist es in diesen Situationen mit der Hoffnung? Gibt es auch da Hoffnung? Menschlich gesehen sind diese Situationen oft schier ausweglos.

 

Aber für Gott gibt es keinen hoffnungslosen Fall. Für Gott hat jeder Mensch seinen Wert, seine Gültigkeit, seine Zukunft. Und deshalb dürfen wir in diesem neuen Jahr auch darauf setzen, dass es in menschlich gesehen hoffnungslosen Situationen die Vergebung gibt und immer noch eine Chance bei Gott, der uns nicht abgeschrieben hat. Und letztlich ist es eine große Hoffnung über die letzte Grenze hinaus, über die Grenze des Todes: Ich glaube an ein ewiges Leben, ich glaube und ich habe diese Hoffnung -, dass alle Menschen bei Gott einmal ein endgültiges Zuhause haben werden. Und in diesem Sinne bin ich überzeugt, dass die Hoffnung nicht als letzte stirbt, sondern überhaupt nicht stirbt. Und in diesem Sinne wünsche ich ihnen ein gutes, ein gesegnetes, ein hoffnungsvolles Jahr 2015.

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