Samstag 28. September 2024

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Gemeinsam entscheiden – in einem geistlichen Prozess?

Die Tradition der Kirche kennt Methoden, die dazu helfen wollen, als Gemeinschaft eine Entscheidung in einer geistlichen Atmosphäre und in einer geistlichen Weise zu treffen.

Die „Geistliche Unterscheidung in Gemeinschaft“, die im Folgenden vorgestellt wird, ist eine davon und verdankt sich der ignatianischen Tradition.[1]

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Sich am Willen Gottes orientieren

Im Leben des Ignatius (Ordensgründer der Jesuiten) und in seiner Spiritualität spielt das Finden jener Entscheidung, die in den konkreten Umständen am meisten dem Plan und den Absichten Gottes entspricht, eine entscheidende Rolle. Dem Ordensgründer war deutlich bewusst, dass der Wille Gottes nicht einfach und irrtumsfrei erkannt werden kann. Zudem kann die Rede vom Willen Gottes auch leicht für die Durchsetzung eigener Anliegen missbraucht werden. Daher hat Ignatius versucht, eine Vorgehensweise zu entwickeln, in der sowohl der einzelne als auch die Gemeinschaft zum Resonanzkörper der Erfahrung Gottes werden kann. Ziel ist es, sich langsam an das heranzutasten, was der Wille Gottes in der konkreten Situation sein könnte, um nach Abschluss des Prozesses entschieden aus der getroffenen Entscheidung leben zu können.

 

Die Chance einer geistlichen Entscheidungsfindung in Gemeinschaft

Bei Entscheidungen, die gemeinsam getroffen werden sollen, treten häufig folgende Probleme auf: Manch eine/r kommt mit vorgefassten Entscheidungen in die Beratung und blockiert dadurch alle anderen. Sympathie, Antipathie und andere Affekte in den Beziehungen beeinflussen wesentlich das Resultat. Menschen, die gut auftreten können, dominieren die Szene, die Stillen werden überrollt. Es kommt zu Fraktionsbildungen, und diese lassen sich nicht mehr auflösen. Man einigt sich auf einen Kompromiss, hinter dem aber nicht alle stehen und der deshalb schwer umsetzbar ist.

 

Die „geistliche Entscheidungsfindung in Gemeinschaft“ versucht, solche Fallen zu vermeiden. Dabei ist die Haltung aller Beteiligten zum Entscheidungsprozess sehr wichtig: Will hier jede/r seine Meinung und seine Interessen „durchdrücken“ oder suchen wir gemeinsam nach der Lösung, die wir miteinander für die bessere halten? Geistlich lässt sich diese Frage so formulieren: Suchen wir gemeinsam nach dem, was mehr dem Willen Gottes entsprechen könnte, oder ist hier jede/r nur auf den eigenen Vorteil bedacht?

Dieser Prozess wird „geistliche Unterscheidung“ genannt, weil der Gruppe daran gelegen ist, das, was dem Willen Gottes eher entspricht, von dem zu unterscheiden, was anderen Motiven entspringt.

Wenn ein solches geistliches Fundament wenigstens im Ansatz vorhanden ist, kann dies dem Beratungsprozess jene Freiheit geben, die nötig ist, um wirklich offene Fragen stellen zu können.

 

 

METHODE DER GEISTLICHEN UNTERSCHEIDUNG IN GEMEINSCHAFT

 

Vorbereitung

 

Teilnehmende

Zunächst wird die Frage geklärt, wer an diesem Entscheidungsprozess teilnimmt.

 

Einigkeit über ein gemeinsames Ziel

Ein gemeinsames Ziel wird vereinbart (oder ist vorgegeben). Dadurch werden sich die Beratungen nur auf jene Gebiete beschränken, die im Bereich des gemeinsamen Zieles liegen.

 

Formulierung von Alternativen zur Erreichung des Zieles

Um dieses Ziel erreichen zu können, werden verschiedene Alternativen erarbeitet – ohne sie zu bewerten. Es ist hilfreich, wenn die Alternativen klar und unzweideutig formuliert sind, wenn sie konkret möglich und durchführbar sind. Um die Alternativen zu verstehen und sich verantwortlich entscheiden zu können, braucht es ausreichend Information. Evtl. ist es hilfreich, Fachleute beizuziehen.

 

Einigung auf eine Vorgehensweise zur Entscheidungsfindung

Die vorgestellte Methode der geistlichen Unterscheidung in Gemeinschaft kann in unterschiedlicher Intensität, Dauer (ein Abend bis einige Monate) und Funktion (als Instrument der Entscheidungsfindung oder der Beratung) angewandt werden. Davon hängt die Gestaltung der einzelnen Schritte ab. Darüber wird in der Gruppe Einigkeit hergestellt.

 

Geistliche Voraussetzungen und Vorbereitung

Damit eine geistliche Unterscheidung gelingt, braucht es ein geistliches Klima in der Gruppe: man vertraut auf die Führung durch den Geist Gottes und setzt Vertrauen in die anderen Mitglieder der Gruppe als von Gott angesprochene Brüder und Schwestern.

Es braucht die Bereitschaft, eigene Ansichten und innere geistliche Erfahrungen offen und aufrichtig zu äußern wie auch zuzuhören und sich von den anderen in Frage stellen zu lassen. Dazu ist es notwendig, von Vorurteilen und Vorentscheidungen bestmöglich frei zu sein. Die ignatianische Tradition nennt eine solche Haltung „Indifferenz“.

Schließlich ist auch die Entschlossenheit notwendig, sich der endgültigen Entscheidung durch die Gemeinschaft anzuvertrauen, auch wenn man selber eine andere Meinung hatte, vorausgesetzt, die Entscheidung ist wirklich auf geistliche Weise zustande gekommen.

Hier zeigt sich schon, dass die gemeinschaftliche geistliche Unterscheidung ein hohes Maß an menschlicher und geistlicher Reife im Einzelnen, gesunde Gruppenbeziehungen und ein hohes spirituelles Niveau in der Gemeinschaft voraussetzt. Deshalb kann es sein, dass eine bestimmte Gemeinschaft dafür noch nicht reif ist. Allerdings kann schon der Versuch einer solchen gemeinsamen Unterscheidung wesentlich dazu beitragen, die fehlenden Voraussetzungen in einer Gemeinschaft entstehen zu lassen.

 

 

Verlauf des Entscheidungsprozesses

 

Sammeln und hören

Zunächst bedenkt jede/r einzelne die verschiedenen Alternativen für sich im Gebet. In einer gemeinsamen Sitzung trägt dann jede/r alle Argumente vor, die für die jeweilige Alternative sprechen („pro“-Argumente), auch wer persönlich in die andere Richtung neigt. Dabei werden einfach nur die Gründe vorgetragen, ohne dass es zu einer Diskussion kommt. Ziel ist das maximale Verständnis der Argumente. Danach geht man auseinander, jede/r bedenkt für sich die vorgetragenen Gründe im Gebet und versucht zu einem vorläufigen Urteil zu kommen.

In einer weiteren Sitzung trägt dann jede/r alle Argumente vor, die gegen die jeweilige Alternative sprechen („contra“-Argumente). Anschließend erwägt jede/r das Gehörte im Gebet und versucht wiederum, sich ein vorläufiges Urteil zu bilden.

 

Jede/r hat nun Gründe für und gegen jede der Lösungsmöglichkeiten vorgetragen, ohne dabei von anderen unterbrochen oder kritisiert worden zu sein. Dies gibt jedem/jeder die Chance, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen.

Der regelmäßige Rückzug ins persönliche Gebet und die beständige Bitte an Gott, er möge uns den besseren Weg zeigen, reduziert die Gefahr, dass eine Entscheidung zu sehr von Sympathien und Antipathien oder persönlichen Animositäten beeinflusst ist.

Daher kann dieses Vorgehen Raum verschaffen für völlig neue Einstellungen zu den jeweiligen Lösungsmöglichkeiten.

 

Dialog und kritische Reflexion

Erst beim folgenden Treffen kommt es zum gemeinsamen Austausch der Ergebnisse des bisherigen persönlichen Reflexionsprozesses. Die Argumente werden kritisch reflektiert, und ein Dialog darüber kommt in Gang.

Für die Reflexion können folgende „Kriterien zur geistlichen Unterscheidung“ helfen. Die ignatianische Tradition wertet als Hinweise, die für das Wirken des Heiligen Geistes sprechen:

  • wenn Glaube, Hoffnung und Liebe aufleben,
  • wenn Zweifel, Misstrauen und Spaltung überwunden werden,
  • wenn sich Freude und Frieden in unserer Gemeinschaft entwickeln,
  • wenn die Freude an unserem Dienst für das Reich Gottes wächst,
  • wenn wir neue Möglichkeiten der Nachfolge entdecken,
  • wenn wir auch die nötige Kraft und Zeit dafür haben,
  • wenn wir uns gut vorstellen können, dass auch Jesus so entscheiden und handeln würde.

 

Der Prozess des gemeinsamen Abwägens kann unterschiedlich viel Zeit in Anspruch nehmen. Er braucht so viel Zeit, bis die Gruppe zur Überzeugung gekommen ist, dass die Zeit für eine endgültige Entscheidung gekommen ist. Dieser Abschnitt kann auch immer wieder Phasen des persönlichen Gebets beinhalten.

 

Entscheidung

Die gemeinsame Entscheidung der ganzen Gruppe kann auf verschiedene Weise erfolgen. Der Modus soll jedoch schon zu Beginn der Beratungen festgelegt sein.

Das Ziel, einen einstimmigen Beschluss zu fassen, ist bei eher grundsätzlichen Fragen angemessen. Die Beratungen werden so lange fortgesetzt, bis Einstimmigkeit erreicht ist. Eventuell muss der Prozess abgebrochen oder vertagt werden.

In vielen Fragen ist aber auch ein Mehrheitsbeschluss eine geeignete Methode. Eine wichtige Frage ist dabei, ob die Unterlegenen trotz gegenteiliger Meinung ohne Bitterkeit und Ressentiment mitgehen können.

Die Entscheidung kann auch durch einen Vorgesetzten getroffen werden. Dann entspricht die „geistliche Unterscheidung in Gemeinschaft“ praktisch einem intensiven Beratungsprozess.

 

Bestätigung

„Von außen“ erfolgt die Bestätigung durch die zuständige Autorität, wenn eine solche da ist und der Gegenstand der Beratung eine solche Zustimmung verlangt.

 „Von innen“ ist innere Freude, geistlicher Friede, Zuversicht (Ignatius nennt es „Trost“) als Bestätigung aufzufassen, und zwar auch dann, wenn die eigene Ansicht in der Abstimmung unterlegen ist.

Auch die Integration der Entscheidung in das Leben der Gemeinschaft und die Integration der Unterlegenen, die ohne Bitterkeit und Ressentiments mitarbeiten, gelten als Zeichen der Bestätigung.

 

Aus der Entschiedenheit leben

Die Gruppe erkennt die getroffene Entscheidung als verbindlich an. Ein neuer Entscheidungsprozess zur selben Thematik wird erst dann wieder begonnen, wenn neue Argumente vorliegen.

 

 

Verschiedene Formen der
geistlichen Unterscheidung in Gemeinschaft

 

Unterschiedliche Wichtigkeit des Gegenstandes macht auch verschiedene Intensitäten der „geistlichen Unterscheidung“ erforderlich.

Die voll entwickelte Methode wird nur relativ selten angewandt werden, v.a. bei Entscheidungen, die für das Leben einer Gemeinschaft von großer Bedeutung sind.

Daneben gibt es aber auch eine kürzere Form, die sich vor allem für weniger grundsätzliche, mehr praktische Fragen eignet. Diese kann man in wenigen Tagen, sogar an einem Abend durchführen. So kann man etwa für die Sammlung der „pro“- sowie der „contra“-Argumente zu jeder der Alternativen, für die persönliche Reflexion im Gebet, für den Dialogteil, die erneute geistliche Reflexion und schließlich die Abstimmung je eine Viertelstunde ansetzen.

 

 

 

Vorschlag für einen Unterscheidungsprozess in drei PGR-Sitzungen


Der PGR verständigt sich darauf, in drei aufeinander folgenden Sitzungen eine geistliche Entscheidungsfindung in Gemeinschaft zu versuchen (dabei muss nicht jede Sitzung ganz mit diesem Thema gefüllt sein).

 

  1. In der ersten Sitzung wird nach der Bitte um den Heiligen Geist und einer kurzen Gebetsstille die Frage bzw. Herausforderung benannt. Anschließend werden einige Lösungsmöglichkeiten andiskutiert, und man verständigt sich auf zwei oder drei Alternativen, die zur Entscheidung gestellt werden.
    Bis zur nächsten Sitzung überlegen sich alle ihre Argumente für und gegen jede der Alternativen und erwägen diese im persönlichen Gebet.
  2. In der zweiten Sitzung werden zunächst die „pro“-, dann die „contra“-Argumente in einem Anhörkreis (ohne Diskussion) vorgetragen. Anschließend wird darüber eine Dialog geführt. Eventuell können auch zwischen den Sitzungen andere Gemeindemitglieder nach ihrer Meinung zu den Alternativen gefragt werden.
  3. In der dritten Sitzung wird dann nach einer Gebetsstille eine Entscheidung getroffen und „von innen“ bestätigt.

 

 

 

Dr. Beate Mayerhofer-Schöpf,

Referentin für Spiritualität (Pastoralamt)

 

 

 

 

Verwendete Literatur:

Waldmüller, Bernhard: Gemeinsam entscheiden, Reihe ignatianische Impulse 28, Echter 2008.

Meures, Franz: Entscheidungen – einsam oder gemeinsam? Die Chance einer geistlichen Entscheidungsfindung in Gemeinschaft, in: entschluss, Heft 12, (52) 1997, 23-25.

Meures Franz: Gottes Willen suchen gemäß dem Ziel unserer Berufung. Zum Prozeß einer geistlichen Entscheidungsfindung in Gemeinschaft, in: Korrespondenz zur Spiritualität der Exerzitien 56 (1990), 29-48.

Frielingsdorf, Karl/ Switek Günter: Entscheidung aus dem Glauben. Modelle für religiöse Entscheidungen und eine christliche Lebensorientierung, Mainz 1978.

 

[1] In den überlieferten Dokumenten des Jesuitenordens findet sich die Beschreibung eines solchen gemeinsamen geistlichen Entscheidungsprozesses, die sog. „Deliberatio primorum Patrum“. Ignatius und seine Gefährten stellen sich für die Dauer von über drei Monaten die Frage, ob sie weiterhin nur ein Freundesbund bleiben oder aber einen neuen kirchlichen Orden gründen wollen. (Mon. Ign., Constitutiones SJ, t., 1-7.)

 

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