Samstag 9. November 2024

Heiraten - früher und heute

Vieles scheint sich verändert zu haben, der Ort, die Feier und auch wer heute eine Ehe schließen kann hat sich gewandelt. Aber nicht alles hat sich gewandelt. Eine wesentliche Sache ist über all die Jahre gleichgeblieben.

Wir befinden uns auf einer Alm in der Steiermark. Es ist ein warmer Frühsommertag und die Natur steht in voller Blüte. Unter einem großen Baum, der frei auf dieser Wiese steht, wurden weiße Sesel aufgestellt, vorne ein Tisch und daneben steht ein Chor, der grade ein Lied in Mundart anstimmt. Wir sind bei einer freien Trauung. Von je einer Seite nähert sich das Paar und seine Gäste, sie treffen einander vor dem großen Baum, wo sie bereits von einer Frau im weißen Gewand – sie ist freie Traurednerin – erwartet werden.

 

Vielleicht ist dieses Bild von einer Hochzeit etwas ungewohnt. Findet eine Trauung nicht in einer Kirche oder zumindest auf dem Standesamt statt? Warum gerade auf einer Alm - und ist diese Form überhaupt rechtskonform? Das Verständnis von Ehe und Beziehung hat in den letzten Jahren einen beachtlichen Wandel durchlaufen. Von der traditionellen Hochzeit in Weiß mit Pfarrer, Agape und Brautentführung zu einer sogenannten freien Trauung, die überall stattfinden kann und ganz auf die Vorstellungen und Wünsche der Paare ausgerichtet ist. Neben Priestern, Diakonen und Pfarrer:innen leiten nun auch Schaman:innen oder freie Trauredner:innen eine solche Feier.

 

Aber eigentlich ist ein solcher Wandel gar nicht so ungewöhnlich. Vielmehr waren die Ehe und die Feier der Trauung im Laufe der Geschichte immer Veränderungen ausgesetzt die vielfach auch von der katholischen Kirche ausgegangen sind.

 

Blick zurück an den Anfang

 

In der Antike gab es noch keine einheitliche Form der Eheschließung. Meist reichte eine Willenserklärung der Brautleute aus, damit man von einer „Ehe“ sprach. Verbunden war dies oft mit einem großen Festmahl und der Unterfertigung eines Ehe-Vertrages. Diese Feiern fanden meist in Wohnhäusern unter der Leitung des Familienoberhauptes statt. Auffallend ist, dass sowohl im jüdischen, römischen wie auch im griechischen Kulturkontext die Übergabe eines wertvollen Gegenstandes wie eines Rings üblich war. Dieser wurde vom Mann an die Frau übergeben und kann als eine Art Sicherung der Verbindung verstanden werden. Eine solche Übergabe der Wertgegenstände finden wir auch in der Bibel.

 

„Dann holte der Knecht Sachen aus Silber und Gold und Kleider hervor und schenkte sie Rebekka. Auch ihrem Bruder und ihrer Mutter überreichte er kostbare Geschenke.“ (Gen 24,53)

 

Grundsätzlich muss aber angemerkt werden, dass hierbei die Institution Ehe nicht in einem uns heute bekannten Umfang geregelt war. Sowohl im römischen Recht wie auch in den jüdischen Vorschriften lassen sich zwar einzelne Rechte und Pflichten nachweisen, ein umfängliches Eherecht lag aber noch nicht vor. Wichtig ist auch, dass die Ehe sehr wohl wieder gelöst werden konnte, wie die Möglichkeit des sog. Scheidebriefes im jüdischen Kontext deutlich macht. Hinzu kommt, dass die Rolle der Frauen zu dieser Zeit sich deutlich von unserem heutigen Verständnis unterscheiden. Sie war dem Mann klar untergeordnet und die Auflösung ihrer ehelichen Verbindung konnte existenzbedrohende Folgen haben, abgesehen von der gesellschaftlichen Ächtung, die vielfach damit verbunden war. 

 

Innovation durch das Christentum

 

Mit dem Aufkommen und der Ausbreitung des Christentums hat sich hierbei dann eine große Veränderung ergeben. In den vier Evangelien wird deutlich, dass Jesus die damalige Ehepraxis ablehnte. Insbesondere die Möglichkeit der Scheidung, die für die Frauen sehr nachteilig war, wurde von ihm zurückgewiesen. Die Ehe wurde aus der Sphäre der Menschen herausgenommen und dem Willen Gottes zugeordnet und daher nach und nach als Sakrament verstanden. Damit einher geht die Vorstellung der Unauflöslichkeit dessen, was Gott verbunden hat, die fortan das Eheverständnis prägt.

 

Als weitere Innovation des Christentums kann die Monogamisierung der Ehe gelten. War es davor nicht unüblich, auch mehrere Partner:innen zu haben, wurde nun ausgehend von den Aussagen Jesus die Einehe – eine Frau und ein Mann heiraten – durchgesetzt. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der rechtlichen Konsequenzen dieser Verbindung, wie Nachkommenschaft und Verteilung des Besitzes, von wesentlicher Bedeutung. Aus dem römischen Recht wurde aber das Konsensprinzip übernommen. Nur durch die freie Übereinstimmung der beiden Partner:innen kann eine gültige Ehe zustandekommen. Dies sollte insbesondere den damals durchaus üblichen gewaltsamen Entführungen von Frauen entgegenwirken.

 

Im Hochmittelalter – die Kirche befindet sich hierbei am absoluten Höhepunkt ihres gesellschaftlichen Einflusses – wurden heimliche Eheschließungen, sog. Klandestinenehen, zu einem großen sozialen Problem. Diese ermöglichten es den Männern ihre Frauen und Kinder jederzeit zu verlassen, da ein Nachweis einer rechtlichen Verdingung nicht möglich war. Als Folge davon führte die Kirche am Konzil von Trient (1563) die sog. Formpflicht für alle Eheschließungen ein. Ehen sind daher nur dann gültig, wenn sie öffentlich, vor Zeugen und nach einer ganz bestimmten Form geschlossen werden.  

 

Sicherung der Rechte der Frau

 

Damit stellte die Kirche, ausgehend von den Aussagen Jesu, erstmals eine gewisse Rechtssicherheit hinsichtlich geschlossener Ehen sicher und setzte sich dadurch für die Rechte der Frauen ein, die so weder zu einer Ehe gegen ihren Willen gezwungen noch einfach aus dieser entlassen und damit der Existenznot ausgeliefert werden durften. Eine christliche Ehe wird daher als freiwillige, lebenslange Gemeinschaft verstanden, in der Frau und Mann gleiche Rechte zukommen.

 

Prägend bis ins 20. Jahrhundert

 

Dieses christliche Ehebild hat unsere westliche Gesellschaft bis weit in das 20. Jahrhundert hinein geprägt. Als Ehe wurde eine Beziehung zw. einer Frau und einem Mann angesehen, die meist kirchlich und standesamtlich geschlossen wurde und ganz klar auf Nachkommen ausgerichtet war. Die Rollen in dieser Beziehung unterschieden sich lange Zeit deutlich voneinander – der Mann als Ernährer, der einer Erwerbstätigkeit nachgeht, während die Frau für das gemeinsame Heim und die Erziehung der Kinder verantwortlich ist. Scheidungen waren aus staatlicher Sicht zwar möglich, aber nach wie vor mit sozialen Konsequenzen verbunden und daher eher selten. Die Form der Eheschließung war fest verankert, die Autorität der Kirchen fast unhinterfragt. Wer heiraten wollte, was als wesentliches Lebens- und Versorgungsziel angesehen wurde, hatte sich den religiösen Vorschriften zu unterwerfen. Eine „reine“ Zivilehe war noch lange Zeit sehr verpönt und alternative Feierformen eigentlich nicht vorhanden.

 

Wende in den 50er und 60er Jahren

 

Mit dem gesellschaftlichen Wandel in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts setzte ein weiterer wichtiger Veränderungsprozess in Bezug auf die Ehe ein. Immer mehr Frauen wurden berufstätig, weshalb die bisherige Aufteilung der Rollen nicht mehr so klar durchgehalten werden konnte. Ohne Zweifel bedeutete diese Veränderung für die Frauen meist eine Doppelbelastung, da sie nun neben ihrem Beruf auch noch den Haushalt und die Kinder versorgen mussten. Mehr und mehr änderte sich auch die Überzeugung, erst nach der Ehe als Paar zusammenzuwohnen. Mit der Berufstätigkeit beider Partner und den Erleichterungen im Scheidungsrecht kamen neue Formen wie Patchwork- und Fernbeziehungen hinzu. Die traditionelle Lebensplanung im Sinne von Verlobung, dann Hochzeit, dann gemeinsames Heim und Kinder passte immer weniger mit der Lebensrealität zusammen. Vielfach stellte sich auch die Frage, ob denn eine kirchliche Hochzeit wirklich noch notwendig sei. Die große Feier in der Kirche mit weißem Schleier und dem öffentlichen Gelöbnis zur Treue bis ans Ende der Tage erschien gerade vor der statistischen Häufigkeit von Scheidungen geradezu aus der Zeit gefallen.

 

Getrennte Betten und Wohnungen

 

Die kirchliche Eheschließung wird aber zugleich nach wie vor als schöne Bekundung der gemeinsamen Liebe verstanden. Nicht immer folgt jedoch daraus, dass es deshalb einen gemeinsamen Lebensmittepunkt geben muss. Die Autorin Lily Brett beschreibt das Phänomen aus ihrem New Yorker Freundeskreis, dass sich Paare vor der gemeinsamen Eheschließung nicht „nur“ für getrennte Schlafzimmer, sondern für getrennte Wohnungen entscheiden. Die Gründe für diese Entscheidung bringt eine Bekannte von ihr folgendermaßen auf den Punkt:

 

„Ich will nicht, dass er mich hört oder sieht, wenn ich mir die Zähne putze oder wenn ich aufs Klo gehe. Ich will nicht, dass er jedem meiner Telefongespräche zuhören muss, oder zusehen muss, wie ich mir überlege, was ich zum Arbeiten anziehen soll. Und ich will nicht seine Telefongespräche mit seiner Mutter oder seinen Freunden hören.“ (Lily Brett, Immer noch New York, 147)

 

Aufwertung der Zivilehe

 

Da es nicht allen Paaren möglich ist kirchlich zu heiraten, ist es zu einer deutlichen Aufwertung der Zivilehe gekommen. Diese hat sich auch den Vorstellungen und Wünschen der Brautleute angepasst. Sie muss jetzt auch nicht mehr am Amt geschlossen werden, vielmehr kommen die Beamti:innen auch nach Hause, an das nette Plätzchen am See oder haben für die Eheschließung auch schon so manchen Berg erklommen. Als 2019 die zivile Eheschließung in Österreich auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet wurde, stellte dies eine bedeutende Wende im Eheverständnis dar. Zugleich haben heterosexuelle Paare nun neben der Eheschließung auch die Möglichkeit eine eingetragene Partnerschaft einzugehen.

Ungebrochenes Interesse an der Trauung

 

Aber dies bedeutet nicht, dass es kein Interesse mehr an einer kirchlichen oder religiösen Eheschließung gibt. Gerade die stetig steigende Nachfrage nach freien Feierformen macht deutlich, dass die zivile Eheschließung für viele Paare nicht ausreicht. Es ist doch der Wunsch nach einem gewissen Mehr da, den offenbar auch die sportlichsten Standesbeamt:innen nicht zu befriedigen vermögen.  

 

Der Wunsch zu heiraten ist nach wie vor sehr hoch. Die Corona-Zeit hat aber auch vor den Hochzeiten nicht halt gemacht und viele mussten verschoben werden. Sobald die Infektionszahlen aber etwas nachlassen, meist im Frühling und Sommer, kehren wir fast wieder zur „alten Normalität“ zurück.

 

Beliebte Kirchen und Kapellen sind auf Monate und sogar Jahre hinaus ausgebucht. Tausende von Euros werden Jährlich für solche Feiern ausgegeben, weshalb die „Hochzeitsindustrie“ zu einem wichtigen Zweig unserer Wirtschaft gezählt wird. Die Gestaltungswünsche werden aber zusehends kreativer. Mal möchte das Brautpaar zur Filmmusik von Game of Thrones in die Kirche einziehen oder es lässt hundert weiße Tauben fliegen, fast so, als würden sie damit die Olympischen Spiele eröffnen. Auch die Trauringe werden nicht einfach von den Trauzeug:innen zum Altar getragen, da kommen schon mal die kleinen Neffen und Nichten zum Einsatz oder der eigene Hund  wird zum „messager d'amour“.

 

Eine wesentliche Konstante

 

Trotz all diesen neuen Gestaltungsformen gibt es jedoch eine wesentliche Konstante: den Wunsch, den gemeinsamen Bund vor Gott und im Kreise Familie und Freunden zu feiern. Es ist den Paaren nach wie vor wichtig, dies öffentlich zu tun und hierbei auch ihrem Glauben Ausdruck zu verleihen. Im Durchschnitt sind die Paare, die heute vor den Traualtar treten, aber um die 30 Jahre alt, deutlich älter als noch von 20 oder 30 Jahren. Viele leben schon länger in einer gemeinsamen Beziehung und manche haben auch schon Kinder aus einer vorgehenden Partnerschaft.

 

Der schönste Tag des Lebens

 

Auch wenn sich bei der Gestaltung der Feier viel verändert haben mag, vielleicht mehr Geld in die Kleidung und die Feier investiert und die Hochzeitsreise immer ausgefallener wird, geht es doch immer noch um zwei Menschen, die Ja zueinander sagen. Die Ehe wie auch die Hochzeitsfeierlichkeiten haben einen kontinuierlichen Wandel vollzogen. Aber egal welche Herausforderungen die Menschen beschäftigt haben, ob Krieg oder Pandemie, ob wirtschaftliche Hochkonjunktur oder Wirtschaftskrise, die Ehe ist weiterhin ein wichtiger Bestandteil im Leben vieler Menschen, die vom schönsten Tag ihres Lebens träumen.

 

von Stephan Fraß-Poindl

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