Der Zauber des Anfangs – oder das Geheimnis einer langen Ehe
Wir beide voller Schmetterlinge im Bauch bei unserer eigenen Hochzeit, nach fünf Ehejahren schwanger mit dem jetzigen Bräutigam, nach 10 Jahren im Alltagsstress mit drei kleinen Kindern, Krankheiten und Todesfälle in der Familie, nebenberufliches Studium, Jobwechsel, Auszug der Kinder, Enkelkinder – die Jahre ziehen dahin. Jetzt erst merke ich, dass bei der Ansage 35 Ehejahren nur mehr ein einziges Ehepaar auf der Tanzfläche ist – mein Mann und ich. Alle applaudieren und wünschen dem jungen Ehepaar eine mindestens so lange Ehe.
Genauso wie das junge Paar heute haben wir einander damals im Angesicht Gottes die Treue in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit versprochen. In unserer Ehe haben wir sehr viele gute und auch böse Tage erlebt. Das Schicksal hat uns oft ganz schön herausgefordert. Von gravierenden Krankheiten sind wir bisher verschont geblieben. Was mag die Zukunft bringen? Mit zunehmendem Alter kommen immer öfter körperliche Beschwerden. Wie werden wir einmal mit den Herausforderungen Demenz oder Pflegebedürftigkeit umgehen? Woher werden wir Kraft schöpfen, wenn uns unsere Kräfte verlassen?
Gegenseitige Wertschätzung, Humor und gemeinsame Interessen sind tragende Elemente unserer langen Beziehung. Was uns am meisten verbindet, sind unsere Kinder und Enkelkinder. Unsere Enkel nennen uns OmaOpa in einem Atemzug ohne ein „und“ dazwischen. Vielleicht erleben sie uns so – einfach zusammengehörend. Eine lange Ehe ist von ganz viel Alltag, keinen großen Events, viel Routine geprägt. Und doch gibt es immer wieder diese Momente des Anfangs – eine Blume, ein gutes Essen, ein Spaziergang, eine Umarmung. Kleine Rituale erinnern uns immer wieder, aneinander zu denken.
Unsere gemeinsame lange Geschichte ist von großer Vertrautheit geprägt und trotzdem gibt es doch manchmal kleine Überraschungen. Genauso gab es große Enttäuschungen und Verletzungen in dieser Geschichte. Wir haben kein Rezept dafür, wie eine lange Ehe gelingen kann. Wir können nicht wie das Internet fünf oder zehn Tipps für ein gutes Gelingen geben. Jeder Tag ist einer, an dem wir versuchen unser Eheversprechen zu leben. Die durchschnittliche Ehedauer von rund zehneinhalb Jahren haben wir schon dreimal hinter uns. Wenn wir gesund bleiben, können wir noch einmal so lange verheiratet sein. Werden wir uns die Reihe der „grey divorces“ einreihen? Die Scheidungsrate der Menschen ab 50 steigt rasant. Ist vielleicht das 37. Ehejahr das verflixte? Eine große Herausforderung ist der Moment, wenn alle Kinder das Haus verlassen haben, auf eigenen Beinen stehen und die Eltern im „empty nest“ zurückbleiben. Wie tragfähig ist da unsere Beziehung als Paar? Oder haben wir uns immer nur als Eltern identifiziert? Der Auszug der Kinder war auch für uns eine große Herausforderung. Was machen wir auf einmal mit der vielen gemeinsamen Zeit? Vielleicht hat es uns geholfen, dass wir uns immer wieder einmal eine kurze Kinderauszeit genommen haben. Unsere erwachsenen Kinder und Schwiegerkinder sind uns zu echten Freunden geworden, wo wir einander alle auf Augenhöhe begegnen können.
Langsam kommen die Tage, wo wir uns auch damit auseinandersetzen sollten, wie wir unser Leben regeln wollen, wenn uns gesundheitliche Schicksalsschläge treffen. Was heißt es dann konkret, wenn wir uns versprochen haben, auch in der Krankheit zueinanderzustehen? Wissen wir voneinander, wie wir unser Lebensende gestalten möchten? Auch diese Fragen sollten wir klären und besprechen. Und so wird unsere Ehe hoffentlich so weitergehen, wie sie begonnen hat – mit vielen Gesprächen, Vertrauen, Streit und Versöhnung. Es ist einfach ein schönes Stück Arbeit, miteinander verheiratet zu sein.
Aber es ist nicht nur Arbeit. Es ist ein Geschenk, miteinander durchs Leben zu gehen, Hand in Hand – in dem Vertrauen, dass wir heute wie damals vor 35 Jahren unser Ja der Liebe Gottes anvertrauen dürfen.
Ich denke an die Hochzeit unseres Sohnes, unseren Tanz als längst verheiratetes Paar und wünsche den beiden, dass ihr Anfang für immer nie den Zauber des Anfangs verlieren möge.
Beatrix Auer, M.Ed.
Leiterin des Fachbereichs Seniorenpastoral
Verheiratet, 3 erwachsene Söhne, 3 Enkel