Beten ist nicht fern vom Leben, nicht abgehoben vom Alltag. Beten ist aber auch kein Automat, in den ich etwas hineinstecke, wähle, und dann werden meine Wünsche erfüllt. Auch nicht darum geht es, daß ich Gott allerhand sage, was er ohnehin weiß. Viel eher möchte Gott mir etwas sagen, was ich noch nicht weiß - oder was ich ahne und was wieder klar werden muß: von mir, von anderen, in einer bestimmten Situation, vom Leben, von der Welt.
Beten: Ich lasse mich ansprechen. Bevor ich rede, höre ich. Wenn Juden beten, dann beginnen sie: „Höre Israel!“ (Deuteronomium 6,4). Die Weisheit Salomos bestand nach den Worten der Heiligen Schrift nicht darin, daß er um ein langes Leben, um Reichtum und Ehre, um den Sieg über seine Feinde bat. Er bat Gott um ein „hörendes Herz“ (1 Könige 3,9).
Jesus fordert seine Hörer immer wieder auf: „Wer Ohren hat zum Hören, der höre!“ (Markus 4,9). Und nach den Worten des Apostels Paulus kommen wir zum Glauben auf dem Weg des Hörens (vgl. Römer 10,14).
Der dänische Schriftsteller Sören Kierkegaard (1813 bis 1855) hat ein Leben lang mit Gott um ein glaubwürdiges Mensch- und Christsein gerungen. Er bekennt: „Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde ein Hörer. Ich meinte erst, beten sei reden. Ich lernte aber, daß beten vor allem hören ist. Beten heißt nicht, sich selbst reden hören, beten heißt still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört.“
Was heißt beten?
Die Antwort kann sehr verschieden ausfallen: Ich werde dankbar, sage Ja, gehe mit jemandem ein Stück des Weges. Oder aber ich schweige, klage, schreie. Vielleicht werde ich bescheidener, einfacher, fröhlicher, liebevoller.
Beten: Von Gott her manches in einem ganz anderen Licht sehen: neue Chancen zur Mitmenschlichkeit wahrnehmen; die zuvor nicht geahnte Kraft haben, Schweres ertragen zu können; neuen Mut bekommen zum Leben in dieser Zeit. So darf ich beten in Not und Bedrängnis. Aber warum nicht auch in glücklichen Stunden und an frohen Tagen, dann, wenn es mir gut geht?
Beten: Ich verändere mich. Ich werde von Gott her ein anderer Mensch. Ich kann die Menschen nicht ändern, oft auch nicht die belastenden Dinge in meinem Leben. Aber ich kann vielleicht anders auf sie zugehen. Und vielleicht werde ich auch geduldiger mit mir selbst.
Beten: Ein grundlegendes, zutiefst menschliches Tun. Getrost sein können, Gott weiß, was ich brauche, was wirklich gut für mich ist. Und sich eingestehen: Ich brauche Gott. Und ich vertraue: Wenn er mir von sich gibt, dann habe ich genug, um verantwortlich, den Mitmenschen zugewandt und mit Hoffnung mein Leben zu bestehen.
Unverzichtbar ist das Gebet – alleine und in der Gemeinschaft. Und es ist das Gebet, das unsere Pfarre, jede christliche Gemeinschaft trägt. Nicht Aktionismus oder Happenings. Und das Gebet kostet mir nicht Zeit, sondern es schenkt mir Zeit: weil dadurch mein Blick wieder auf das Wesentliche gelenkt wird und manch anderes relativiert wird.
Beten wir also. Dazu lade ich inständig ein.
Pfarrer Thomas Brunner