"Für mich ist ganz entscheidend, dass jeder Christ ohne Ausnahme eine Berufung von Gott her hat", so Gisbert Greshake.
"Für mich ist ganz entscheidend, dass jeder Christ ohne Ausnahme eine Berufung von Gott her hat", so Gisbert Greshake.
Dogmatik-Professor Gisbert Greshake hat sich jahrzehntelang mit dem Priester-Sein beschäftigt. Heute sieht er den Priesterberuf und auch die Kirche im Wandel. Seine These: Aus der gelebten Berufung aller zum Christsein erwachsen auch Berufungen für das Priester- und Ordensleben.
Fünf Männer sagen am 16. Juni im Stephansdom bei der Priesterweihe ihr „Ich bin bereit“. Dogmatik-Professor Gisbert Greshake hat sich jahrzehntelang mit dem Priester-Sein beschäftigt. Heute sieht er den Priesterberuf und auch die Kirche im Wandel. Seine These: Aus der gelebten Berufung aller zum Christsein erwachsen auch Berufungen für das Priester- und Ordensleben.
1960, also vor knapp 58 Jahren, wurde Gisbert Greshake zum Priester geweiht. Ob er sich heute nochmals weihen lassen würde, will ich von ihm wissen. „Ja. Ich bin gern Priester, und ich würde diesen Weg nochmals gehen“, sagt der langjährige Wiener Dogmatik-Professor. „Wobei ich die Gründe dafür, warum ich Priester geworden bin, heute anders sehe als damals, als so, wie ich sie als ganz junger Mensch gesehen habe. Die Begründung, Priester zu werden, ist heute eine andere“, fügt er hinzu.
„Als ich mit 20, 21 Jahren um die Entscheidung gerungen habe, ging es bei mir um die Frage: Will ich, nach meinen Möglichkeiten, ganz das Evangelium leben? Will ich mein ganzes Leben auf die Karte Gottes setzen?“, sagt Greshake: „Aber aus heutiger Sicht würde ich sagen: Das ist nicht nur eine Frage eines Mannes, der Priester werden will, sondern das ist eine Grundfrage jedes Christen. Jeder hat sich zu fragen, ob und wie er das Evangelium leben soll.“
Erst später hat Greshake gesehen, „dass es beim Priestersein nicht nur darum geht, das Evangelium mit allen Kräften zu leben, dass es nicht nur darum geht, auf die Karte Gottes zu setzen, sondern darum, eine ganz spezifische Verantwortung in der Kirche für das Volk Gottes wahrzunehmen“.
Aus welchen spirituellen Quellen schöpfen Sie für Ihr Priester-Sein?
Bei mir gibt es zwei Grundquellen. Zum einen die ignatianische Spiritualität, also die Spiritualität des Ignatius von Loyola. Ursprünglich wollte ich Jesuit werden. Zum anderen habe ich den seligen Charles de Foucauld entdeckt. Ich gehöre auch zur geistlichen Familie des Charles des Foucauld, und zwar zur Priester-Gemeinschaft „Jesus-Caritas“. Diese beiden Quellen sind nicht gegensätzlich, sondern ergänzen sich.
Der in Österreich für die Berufungspastoral zuständige Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl ortet eine „eigenartige Schweigespirale“ rund um das Thema der geistlichen Berufungen. Vielfach herrsche das Motto vor: „Sollen doch die Kinder der Nachbarn Ordensfrau, Ordensmann, Diakon oder Priester werden.“ Sorgen sich die Pfarren genug um geistliche Berufe?
Ich kann dem Grazer Bischof nur zustimmen. Es ist tatsächlich so, dass man sehr wenig in den Gemeinden von dieser Sorge spürt. Aber: Wenn wir von geistlicher Berufung sprechen, dann denken die allermeisten spontan an die Berufung zum Priesteramt oder zum Ordensleben. Und das ist fatal. Für mich ist ganz entscheidend, dass jeder Christ ohne Ausnahme eine Berufung von Gott her hat.
Dass sich jeder sein Leben lang fragen muss: Was erwartest du, Gott, von mir? In meinem Beruf, in meiner Familie, dort, wo ich gerade stehe. Die Frage nach der eigenen Berufung ist eine Frage, die jeder Christ sich zu stellen hat, wenn er denn Christ ist.
Wenn diese Frage wirklich die Christen bewegen würde, dann, so glaube ich, läge es auch näher, dass junge Christen auf die Idee kommen könnten, dass sie zu einem spezifisch geistlichen Beruf, zum Priestertum oder zum Ordensleben berufen sind. Dann würde das Thema Berufung nicht so was fast Exotisches sein, sondern dann wäre es das Normalste von der Welt, dass einige auch ihre Berufung zum kirchlichen Dienst entdeckten.
Also stellt sich die Frage der Berufung an jeden?
Wenn die Grundfrage nach der Berufung kaum noch gestellt wird, wird die Berufung zum Priester- oder Ordensberuf etwas Ausgefallenes sein, das nur für ein paar „Spinner“ oder ganz besonders geistliche begabte Menschen in Frage kommt. Insofern ist die Frage nach der Berufung eine Frage an das ganze Volk Gottes: Wieweit lebe ich mein Christsein in dieser Wachheit des Bewusstseins, dass Gott mich ruft. Und jeden Tag, den ich neu beginne, habe ich mich zu fragen: Gott, was willst du von mir? Wohin willst du mich führen?
Ich halte dies für eine Grundfrage des Christseins, die sich etwa auch beim Morgengebet stellt. Ich beginne keinen Tag, ohne mich beim morgendlichen Gebet zu fragen: Was steht heute an? Welche Aufgabe habe ich heute, wen treffe ich? Was erwartest du Gott, von mir? Auf dieser Basis des Christseins können dann auch spezifische Berufe in der Kirche entstehen.
Was heißt heute „Priester-Sein“? Was soll/was muss der Priester alles können, was kann er alles?
Die Bedeutung des Priesters wie auch die der ganzen Kirche befinden sich in einem Wandlungsprozess. Wer früher Priester wurde, der konnte sagen: Ich werde etwas, was ich jetzt schon genau absehen kann. Ich brauche nur auf meinen Pfarrer zu blicken, auf meinen Kaplan. Das kann man heute beim allerbesten Willen nicht mehr sagen. Ich sage heute oft den Seminaristen, dass Priester werden heißt, eine Abrahams-Existenz zu führen. So wie Abraham damals auf den Ruf Gottes hin aufgebrochen ist, ohne zu wissen, wohin es ging, wie der Hebräer-Brief schreibt, so ist auch heute das Priester-Werden ein Gang ins Ungewisse. Ein Gang, der in Formen, in Gestalten hineinführt, die heute noch nicht absehbar sind.
Was ist dann das Bleibende des Priester-Seins?
Wer Priester ist, hat eine besondere Aufgabe und Verantwortung übernommen, damit das Volk Gottes, damit also die Christen, die nicht Priester sind, ihre Verantwortung als priesterliches Gottesvolk wahrnehmen können. Priester-Sein ist Verantwortung für das Priesterwerden des ganzen Volkes Gottes. Das wird sich aber wandeln, entsprechend den Formen und Gestalten, die die Kirche jeweils in einer bestimmten Zeit annimmt. Gerade heute ist die Kirche in ihrer äußeren Gestalt auf der Suche nach neuen Formen, wie sie sich als Kirche verwirklicht.
Das heißt, das Priester-Sein ist ein klares Dienst-Amt?
Absolut. Priester-Sein heißt, im Dienst des Volkes Gottes zu stehen.
Die Heilige Schrift ist laut Zweiten Vatikanischem Konzil „die Seele der ganzen Theologie“.
Was heißt das für den priesterlichen Dienst?
Zweierlei. Priester-Sein heißt erstens ganz wesentlich, im Dienst der Verkündigung des Evangeliums, der Heiligen Schrift, zu stehen. Die Predigt vorzubereiten und zu predigen ist eine der allerwichtigsten priesterlichen Aufgaben. Das heißt konkret, dass ich mich mit dem Evangelium des kommenden Sonntags und den Lesungen auseinandersetze und versuche, für diejenigen Christen, für die ich Verantwortung habe, diese Texte auszulegen. Zweitens aber bedeutet es für meine eigene Spiritualität, dass ich mit der Heiligen Schrift lebe. Konkret heißt das, dass ich jeden Tag einen Abschnitt der Heiligen Schrift lese und darüber meditiere. Dass ich also mit der Schrift verbunden lebe.
Warum ist die Christus-Beziehung die Mitte des priesterlichen Lebens?
Meine ganze Existenz als Priester beruht darauf, dass wir von Gott durch Jesus Christus im Heiligen Geist dazu berufen sind, Gottes Volk zu sein und Gottes Volk zu werden. Mein ganzes Tun liegt darin begründet, dass ich im Auftrag Christi und in seiner Nachfolge Gottes Volk begleite und versuche, es ein Stück weiter auf das Ziel hin in Bewegung zu halten und zu unterstützen. Es geht darum, den „Leib Christi“ - das ist eine der Definitionen der Kirche - zur Vollendung zu führen, wie Paulus einmal sagt. An diesem Dienst, an dieser Aufgabe bin ich als Priester beteiligt.
Leben ist… die Fülle all dessen, was ich ersehne. Ich lebe ausgesprochen gern, und Leben heißt für mich, das, was an Fähigkeiten, Sehnsüchten, Wünschen und Hoffnungen in mir steckt, zu verwirklichen. Deshalb erwarte auch „ewiges Leben“, das heißt nicht ein „sehr, sehr langes“ Leben, sondern „Leben in Fülle“.
Sonntag bei mir ist … etwas ganz Unterschiedliches. Entweder ein Hauptarbeitstag mit Liturgie-Feiern und einem „Für-die-Gemeinde-Dasein“. Oder wenn ich nicht in der Gemeinde so gebunden bin, dann ist der Sonntag ein Tag des Ruhig-Werdens, am dem ich geistliche Literatur lese, Musik höre, spazieren gehe und mit Freunden zusammen bin.
Glaube ist … mein ganzes Vertrauen, meine Zuversicht, meine Hoffnung auf Gott zu setzen. Auf den Gott, der sich mir erschlossen hat in Christus im Heiligen Geist. Auf den Gott, von dem die Spitzenaussage der Heiligen Schrift sagt: Gott ist die Liebe.
(Gisbert Greshake)
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