Jesus schaut tiefer und sieht die Not dieses Menschen, seine Einsamkeit und sein völliges Ausgeschlossen-Sein von allen Vollzügen des gesellschaftlichen Lebens.
Jesus schaut tiefer und sieht die Not dieses Menschen, seine Einsamkeit und sein völliges Ausgeschlossen-Sein von allen Vollzügen des gesellschaftlichen Lebens.
Sr. Lic. Gudrun Schellner SS: Evangeliumsauslegung zum 6. Sonntag im Jahreskreis 15.2.2015)
Ich erinnere mich an eine oft wiederkehrende Situation in der Straßenbahn. Ich steige ein, an der Tür stehen viele Menschen. Ich versuche, ins Innere zu gelangen, und merke, dass noch ziemlich viele Plätze frei sind.
Einen Augenblick stutze ich und ärgere mich, weil die Menschen sich alle an der Tür drängen. Aber sehr schnell verstehe ich bzw. sagt mir meine Nase: Da sitzt ein „Straßenbruder“ oder auch eine „Straßenschwester“ und verbreitet einen sehr unangenehmen Geruch. Parallel höre ich einige nicht sehr liebevolle Kommentare über „solche“ Menschen.
Ich reiße mich zusammen und versuche, mich an den Geruch zu gewöhnen und setze mich auf einen der freien Plätze. Dann muss ich aber zu meiner Schande feststellen, dass ich es mit meiner empfindlichen Nase nicht lange schaffe, und ich rücke weiter weg. Hier an eine physische Berührung zu denken, fällt mir ganz schwer. Zugleich aber berühren mich diese Situation und auch mein eigenes Verhalten zutiefst.
Und dann lese ich heute von Jesus, der den Aussätzigen berührt, der sicher auch nicht „gut zu riechen“ war. Er hält nicht Abstand, sondern hält den Ekel und die Gefahr der Ansteckung aus. Er schaut tiefer und sieht die Not dieses Menschen, seine Einsamkeit und sein völliges Ausgeschlossen-Sein von allen Vollzügen des gesellschaftlichen Lebens. Er hört die unvorstellbar mutige Bitte des Verzweifelten: „Wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde.“
Und Jesus will, streckt seine Hand aus und berührt ihn. Aber er will auch, dass er nicht als Wunderheiler weitergereicht wird, sondern dass das Ganze im Blick bleibt, der größere Zusammenhang der Versöhnung aller mit Gott und dadurch mit sich selbst und den anderen. Er will alle anrühren, ganz persönlich.
Eine Grenzgeschichte als Wegweisung, die Aussätzigen unserer Zeit – Ausländer/innen, Kranke, Arbeitslose, Andersdenkende – zu berühren, in Kontakt mit ihnen zu kommen und mich berühren zu lassen.
Vielleicht gilt auch für mich immer neu: Wenn du willst, kannst du – wenn auch nur in kleinen Schritten. Streck die Hand aus!
Sr. Lic. Gudrun Schellner SSM(Franziskanische Schwestern von der Schmerzhaften Mutter) ist AHS-Lehrerin und in der Pastoral tätig. |
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