Das möchte ich von Bartimäus lernen: Dinge neu sehen, in einem anderen Licht betrachten lernen.
Das möchte ich von Bartimäus lernen: Dinge neu sehen, in einem anderen Licht betrachten lernen.
Sr. Lic. Gudrun Schellner SS schreibt zum Evangelium zum 30. Sonntag im Jahreskreis (25.10.2015)
Gerade bin ich vom Tag der offenen Tür meiner Schule, in der ich unterrichte, nach Hause gekommen. Nicht nur viele interessierte Eltern, sondern auch eine große Zahl von Absolventinnen und Absolventen kam einfach vorbei, um zu schauen.
Es blieb nicht beim Schauen, sondern es ergaben sich viele Gespräche, in denen sie mit ihrem Leben vorkamen. Was mich zutiefst gefreut hat, ist, wieviel diese jungen Menschen im Abstand von ein bis fünf Jahren neu oder anders sehen gelernt haben.
Was während der Schulzeit nur als mühsam und kritisch gesehen worden ist, hat nun einen tieferen Sinn bekommen und größere Zusammenhänge sind für sie erkennbar geworden.
Das passt für mich so gut zum heutigen Bibeltext.
Der blinde Bettler Bartimäus macht sich deutlich bemerkbar. Er will aus seiner Randexistenz heraus und auch von der großen Menschenmenge nicht verdeckt werden.
Er will von Jesus gesehen und gehört werden. Er braucht und erbittet Erbarmen und Zuwendung und er bekommt sie.
Allerdings muss er sich selbst auf den Weg machen, die Fähigkeiten einsetzen, die er hat. Gehen kann er ja, sogar aufspringen und laufen – trotz Blindheit.
Und er muss wissen, was er will. Er will wieder sehen können oder wie es in einer anderen Übersetzung heißt, er will neu sehen können.
Das möchte ich von Bartimäus lernen: Dinge neu sehen, in einem anderen Licht betrachten lernen.
Dann werde ich kleine Zeichen plötzlich wieder wahrnehmen, kleine Anfänge und Schritte bekommen eine Bedeutung, ich bemerke das Bemühen einer Person, kann das Ringen eines Menschen positiv unterstützen.
Meine Schülerinnen und Schüler haben mich heute wieder gelehrt: Vieles braucht Zeit, aber jede noch so kleine menschliche Zuwendung ist wie ein Same, der früher oder später aufgeht.
So will ich mich nicht unterkriegen lassen von meiner unbemerkten Randexistenz oder von der Menschenmenge und wie Bartimäus um diese neuen Augen bitten.
Sr. Lic. Gudrun Schellner SSM (Franziskanische Schwestern von der Schmerzhaften Mutter) ist AHS-Lehrerin und in der Pastoral tätig.
Die Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag"