Entscheidend ist nicht die Grenze Rein - Unrein, Frommer - Sünder, entscheidend ist die Grenzüberschreitung
Entscheidend ist nicht die Grenze Rein - Unrein, Frommer - Sünder, entscheidend ist die Grenzüberschreitung
Generalvikar Nikolaus Krasa schreibt über das Evangelium zum 11. Sonntag im Jahreskreis (12.6.2016)
Es ist eine ziemlich peinliche Szene, von der das heutige Evangelium berichtet.
Jesus ist zu einem Essen in der guten Gesellschaft eingeladen, nach griechischer Sitte hat man sich zu Tisch gelegt, man isst, diskutiert über „Gott und die Welt“. Die exaltiert agierende Frau, die Jesus küsst, die Füße salbt und mit ihren Haaren trocknet, ist in diesem Kontext einfach nur peinlich.
Der Gastgeber scheint sie offenbar zu kennen, weiß, dass sie eine Sünderin ist, damit also unrein. Wenn Jesus ein Prophet ist, müsste er das doch auch wissen, und entsprechend handeln, denkt er sich.
Jesus ist ein Prophet, aber nicht so, wie der Pharisäer denkt. Prophetisch provokant deutet er das Geschehene im Licht Gottes.
Entscheidend ist nicht die Grenze Rein - Unrein, Frommer - Sünder, entscheidend ist die Grenzüberschreitung: die der Frau, die sich nicht um gesellschaftliche Konventionen schert und sich in eine peinliche Szene wagt. Ebenso entscheidend ist die Grenzüberschreitung Gottes, der die Frau so annimmt und ihre Sünden vergibt.
Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist, hat es wenig zuvor in der lukanischen Version der Bergpredigt, der Feldrede Jesu, geheißen.
Das Bild, das Jesus als Erklärung für sein Verhalten im heutigen Evangelium verwendet, zeigt, dass diese Barmherzigkeit etwas kostet, eigentlich gegen menschliche Logik läuft: Ein Geldverleiher, der Schulden erlässt, gefährdet seine eigene Existenz.
Eine, in der es ein Drinnen und Draußen gibt, Gute und Schlechte, Fromme und Sünder.
Eine andere, in der genau diese Zweiteilung aufgehoben ist, weil Gottes Barmherzigkeit keine Grenzen kennt.
In diesem Licht stellt die kurze Zusammenfassung der BegleiterInnen Jesu am Ende der heutigen Evangelienperikope keine Randnotiz dar: Jene, die Jesus nachfolgen, sind Menschen, die die Grenzen überschreitende Barmherzigkeit Gottes durch Jesus erlebt haben, die Frauen, deren Erfahrungen kurz angedeutet werden, ebenso wie die Apostel.
Lic. Dr. Nikolaus Krasa
ist Generalvikar der Erzdiözese Wien und
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