Wie Augustinus und Bernhard von Clairvaux betonen: Wer nicht in Sünde gefallen ist und die Kraft hat, Gutes zu tun, verdankt es der Gnade Gottes, nicht einfach der eigenen Tüchtigkeit.
Wie Augustinus und Bernhard von Clairvaux betonen: Wer nicht in Sünde gefallen ist und die Kraft hat, Gutes zu tun, verdankt es der Gnade Gottes, nicht einfach der eigenen Tüchtigkeit.
Dr. Marianne Schlosser schreibt zum Evangelium zum 30. Sonntag im Jahreskreis (23.10.2016)
Manchmal, so bemerkt ein geistlicher Autor des Mittelalters scharfzüngig, stellen wir uns selbst ganz minderwertig dar, damit andere uns doch loben sollen. Eine Art „fishing for compliments“. Aber wehe, wenn der Adressat dieser Selbsteinschätzung etwa beipflichten sollte…! Klar, dass das im heutigen Evangelium nicht gemeint ist, wenn Jesus sagt: „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ – und umgekehrt.
Und natürlich geht es auch nicht darum, besser hinten an der Kirchentüre zu stehen, als nach vorn zu gehen – zuweilen hat man den Eindruck, dass manch einer deswegen hinten stehenbleibt, um nach dem Ende des Gottesdienstes rascher draußen zu sein. Oder, auch diese Art von Unaufrichtigkeit gibt es, um ja nicht als zu „fromm“ zu gelten.
Das ganze 18. Kapitel des Lukasevangeliums handelt vom Beten: Vergangenen Sonntag ging es um Beharrlichkeit, heute geht es um die rechte innere Haltung: Wie komme ich mir vor, vor GOTT? Das Gebet soll der Wahrheit entsprechen und damit der Würde Gottes und der des zu ihm betenden Menschen.
Warum wird das Gebet des Pharisäers eigentlich getadelt? Darf man nicht danken dafür, dass der eigene Lebensweg gerade verlief, dass man von Irrwegen zurückgehalten wurde? Doch, man soll es sogar! Wie Augustinus und Bernhard von Clairvaux betonen: Wer nicht in Sünde gefallen ist und die Kraft hat, Gutes zu tun, verdankt es der Gnade Gottes, nicht einfach der eigenen Tüchtigkeit. Wer dies wirklich erkennt, erfasst zugleich, dass er der Hilfe Gottes auch weiterhin bedarf und um sie bitten soll. Genau diese Einsicht fehlt dem Gebet des Pharisäers. Darum bittet er um nichts. Er ist, freilich nur in seinen Augen, zu „groß“, um „erhöht“ zu werden. Und darum fehlt ihm auch der tiefere Blick für den „Zöllner“, an dem er jedes Menschen Armut vor Gott erkennen könnte.
Es gibt keinen Menschen, der die Gnade Gottes nicht braucht. Es gibt aber solche, die es nicht wahrhaben.
Universitätsprofessorin für Theologie der Spiritualität an der Uni Wien. 2014 wurde sie von Papst Franziskus in die internationale Theologenkommission in Rom berufen.
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