Jesus nennt die Armen jetzt schon selig, und über die Reichen spricht er ein Wehe, das jetzt schon gilt. Darin besteht ja die Frohbotschaft. Sie ist keine Vertröstung, sondern eine Feststellung, eine ganz reale Erfahrung.
Jesus nennt die Armen jetzt schon selig, und über die Reichen spricht er ein Wehe, das jetzt schon gilt. Darin besteht ja die Frohbotschaft. Sie ist keine Vertröstung, sondern eine Feststellung, eine ganz reale Erfahrung.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 13. Februar 2022 (Lukas 6,17.20-26).
Den Armen geht es schlecht. Pech gehabt! Den Reichen geht es gut. Glück gehabt! Aber wird das immer so bleiben? Gibt es keine ausgleichende Gerechtigkeit? Jesus scheint das immer wieder zu versprechen. Einmal wird es den Armen, den Hungernden und Trauernden gut gehen. Wann wird das sein? Im Himmel? Erst dann? Müssen alle die Armen und Notleidenden warten, bis sie aus dem Tränental dieser Welt befreit sind und durch das Tor des Todes in die Freuden des Himmels gelangen? Und müssen die Reichen und Satten sich darauf gefasst machen, dass sie nach dem Tod allen Genuss ihres Wohlstands verlieren werden?
Ist das die Botschaft Jesu? Heißt sie: Auf Erden gibt es keine Gerechtigkeit? Der Ausgleich kommt erst in der anderen Welt? Das hat man immer wieder Jesus und seiner Lehre vorgeworfen. Er habe im Grunde aufs Jenseits vertröstet, diese Welt aber so belassen, wie sie nun einmal ist: ungerecht und unbarmherzig! Doch das wäre ein völliges Missverständnis dessen, was Jeus gelehrt und gelebt hat. Denn Jesus nennt die Armen jetzt schon selig, und über die Reichen spricht er ein Wehe, das jetzt schon gilt. Darin besteht ja die Frohbotschaft. Sie ist keine Vertröstung, sondern eine Feststellung, eine ganz reale Erfahrung.
Um das Evangelium Jesu zu verstehen, brauche ich erlebte Beispiele, Menschen, bei denen ich gespürt habe, dass es wirklich so ist, wie Jesus sagt. Beim heutigen Evangelium sehe ich immer einen Mann vor mir, den ich in dem Jahr kennenlernen durfte, das ich 1990-91 in Rom verbracht habe. Ich wohnte am Stadtrand und musste mit dem Vorortezug in die Stadt zur Arbeit fahren. An einer Straßenkreuzung am Weg zum Bahnhof traf ich oft einen älteren Mann, der Papiertaschentücher und Feuerzeuge und einige andere Kleinigkeiten zu verkaufen suchte. Er erzählte mir, dass er aus Marokko stammte, zu Hause fünf Töchter hatte, denen er das wenige Geld, das er verdiente, zum Lebensunterhalt schickte. Leider habe ich seinen Namen vergessen, nicht aber sein strahlendes Lächeln. Ich fragte ihn immer, wie es ihm geht, und immer war die Antwort herzlich und ehrlich: sehr gut! Und er, der gläubige Moslem, zeigte dann zum Himmel.
„Selig ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes.“ Das ist nicht eine Vertröstung, sondern eine Erfahrung. Und ebenso ist es keine Drohung mit Strafe nach dem Tod, wenn Jesus sagt: „Weh euch, ihr Reichen, denn ihr habt euren Trost schon empfangen.“ Jesus will uns vor der Täuschung warnen, dass viel Geld und Spaß und Luxus schon glücklich machen. Der arme Moslem am Straßenrand in Rom hat mir mit seinem Lächeln und seinem Gottvertrauen etwas erschlossen, was ich hoffentlich nie vergessen werde. Er hat mir eine Quelle des Glücks und der Freude gezeigt, die jetzt schon zugänglich ist. Wenn ich an ihn und sein weiß Gott nicht bequemes Leben denke, dann vergeht mir das Jammern über manche Mühsal meines Alltags. Ich bin sicher, dass er ein Liebling Gottes ist, für den im Himmel ein Platz bereitet ist. Jesus will uns für solche Menschen die Augen öffnen.
Jesus stieg mit ihnen den Berg hinab. In der Ebene blieb er mit einer großen Schar seiner Jünger stehen und viele Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem und dem Küstengebiet von Tyrus und Sidon waren gekommen. Er richtete seine Augen auf seine Jünger und sagte: Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet gesättigt werden. / Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und wenn sie euch ausstoßen und schmähen und euren Namen in Verruf bringen um des Menschensohnes willen. Freut euch und jauchzt an jenem Tag; denn siehe, euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den Propheten gemacht. Doch weh euch, ihr Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen. Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Weh, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen. Weh, wenn euch alle Menschen loben. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht.