Ist nicht in jedem von uns beides da, Gutes wie Böses? Findet ein liebendes, wohlwollendes Herz nicht in jedem Menschen etwas Gutes, selbst in den sogenannten Bösen? Oder geht es Jesus in allen diesen Worten nur um das eine: das liebende Herz?
Ist nicht in jedem von uns beides da, Gutes wie Böses? Findet ein liebendes, wohlwollendes Herz nicht in jedem Menschen etwas Gutes, selbst in den sogenannten Bösen? Oder geht es Jesus in allen diesen Worten nur um das eine: das liebende Herz?
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 27. Februar 2022
Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund. Dieses Wort Jesu ist zum Sprichwort geworden, wie so manche andere Worte Jesu. Im heutigen Evangelium sind es gleich vier weitere. Sie gehören längst zu unserem kulturellen Erbe. Offensichtlich haben sich Worte Jesu schon früh in das Gedächtnis der Menschen eingeprägt. Jesus war ein Meister des Wortes, der Sprache. Er hatte die Gabe, seine Botschaft in kräftigen Bildern auszudrücken. Sie blieben über Generationen, bis heute, den Menschen in Erinnerung. Jesus konnte so einprägsame Worte nur finden, weil sie zuerst in seinem Herzen waren und ihm aus dem Herzen auf die Lippen kamen. Er war überzeugt, dass alles gute oder böse Tun aus dem Herzen hervorgeht. Lippenbekenntnisse waren ihm zu wenig: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber sein Herz ist weit weg von mir.“
Die vier anderen Jesusworte des heutigen Evangeliums kreisen alle um diese eine Mitte: die rechte Haltung des Herzens. Da ist zuerst das Wort über den Blinden, der einen anderen Blinden führen will, sodass schließlich beide in eine Grube fallen. Es geht hier nicht um Allerweltweisheit. Jesus spricht uns, mich ganz persönlich an. Glaube ich, anderen gute Ratschläge erteilen zu können? Halte ich andere für blind und mich für sehend? Habe ich wirklich die nötige Einsicht in das Leben der anderen, um geeignet zu sein, sie führen zu können?
Das zweite Wort knüpft an das erste an: „Ein Jünger steht nicht über dem Meister.“ Halte ich mich für erhaben über die, die es zur Meisterschaft gebracht haben? Habe ich die Demut zuzugeben, dass ich noch viel lernen muss, um halbwegs ein Meister zu werden? In den Corona-Diskussionen sieht es oft so aus, dass viele, nur weil sie einige Videos gesehen haben, sich schon für Fachleute halten. Geben wir doch ehrlich zu: in den hochkomplexen Fragen rund um das Virus und seine Bekämpfung sind die wenigsten wirkliche Fachleute. Tun wir nicht so, als wären wir schon wie ein Meister.
Am bekanntesten ist wohl das dritte Wort vom Splitter und vom Balken im Auge. Jesus hat es dick aufgetragen. Wir sind Meister im genauen Beobachten der Fehler der anderen. Wir sind schnell zur Hand mit unserer Kritik. Die eigenen Fehler mit der gleichen Schärfe wahrzunehmen, fällt uns schon sehr viel schwerer. Deshalb gebraucht Jesus das drastische Bild vom Balken im eigenen Auge. Solange ich nicht zuerst selbstkritisch auf meine eigenen Fehler schaue, kann ich gar nicht die der anderen klar sehen. Fang bei dir selber an! Entferne den Balken aus deinem Auge! Dann magst du auch den anderen kritisieren. Du wirst die Fehler des anderen sehen können, wie sie sind: meist kleiner, als du angenommen hast.
Das vierte Bildwort geht aufs Ganze: Nur ein guter Baum bringt gute Früchte. Den Baum erkennt man an seinen Früchten. „Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor.“ Eine Frage drängt sich mir auf: Welcher Mensch ist ganz gut? Und welcher ganz böse? Teilt Jesus hier uns Menschen zu sehr in zwei Gruppen? Ist nicht in jedem von uns beides da, Gutes wie Böses? Findet ein liebendes, wohlwollendes Herz nicht in jedem Menschen etwas Gutes, selbst in den sogenannten Bösen? Oder geht es Jesus in allen diesen Worten nur um das eine: das liebende Herz?
Lukas 6,39-45
Er sprach aber auch in Gleichnissen zu ihnen: Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen? Ein Jünger steht nicht über dem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen. Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte bringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte bringt. Denn jeden Baum erkennt man an seinen Früchten: Von den Disteln pflückt man keine Feigen und vom Dornstrauch erntet man keine Trauben. Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor und der böse Mensch bringt aus dem bösen das Böse hervor. Denn wovon das Herz überfließt, davon spricht sein Mund.