Im Stress des modernen Berufslebens wird viel von „Work-Life-Balance“ gesprochen, vom rechten Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben: Ich weiß, dass Zeit für Besinnung, Nachdenken, Gebet unerlässlich ist, wenn ich nicht ausbrennen will.
Im Stress des modernen Berufslebens wird viel von „Work-Life-Balance“ gesprochen, vom rechten Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben: Ich weiß, dass Zeit für Besinnung, Nachdenken, Gebet unerlässlich ist, wenn ich nicht ausbrennen will.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 17. Juli 2022 (Lukas 10,38-42).
Von zwei Frauen ist heute im Evangelium die Rede. Sie sind berühmt geworden, obwohl wir nicht sehr viel von ihnen wissen. Umso mehr wurde über sie geschrieben, denn sie gelten seit Jahrhunderten als Beispiel für zwei Lebenseinstellungen. Sie waren Schwestern und lebten gemeinsam in einem Dorf nahe Jerusalem. Jesus kannte sie gut und dürfte oft bei ihnen zu Gast gewesen sein. Ihre Gastfreundschaft wird eigens betont. Marta und Maria hatten noch einen Bruder, Lazarus, der offensichtlich auch mit ihnen wohnte. Im heutigen Evangelium wird er nicht genannt.
Jesus wird also gastlich aufgenommen im Haus der beiden Schwestern. Marta kümmert sich eifrig um das leibliche Wohl des Gastes. Gastfreundschaft im Orient, das ist mehr als nur eine kleine Jause. Marta bedient den geschätzten Gast mit viel Mühe und Sorge. Dabei dürfte sie einige Hektik entwickelt haben. Ganz anders ihre Schwester Maria. Sie denkt nicht zuerst an ausgiebige Bewirtung. Sie will dem Gast zuhören, setzt sich ihm zu Füßen und ist ganz aufmerksam auf das, was er zu sagen hat. Marta und Maria zeigen zwei Arten, wie ein Gast aufgenommen werden kann, und da es nicht irgendein Gast war, sondern Jesus selber, wurden die beiden Schwestern Urbilder für zwei Grundhaltungen im Leben.
Marta wird als Vorbild des aktiven, tätigen Lebens gesehen, Maria als Vorbild der beschaulichen, betenden Lebensform. Aktion und Kontemplation – wie ist deren rechtes Verhältnis? Seit Jahrhunderten wird darüber debattiert. Jesus scheint in diesem Streit eindeutig Partei ergriffen zu haben. Auf die Beschwerde der Marta, Maria lasse sie die ganze Arbeit alleine machen, antwortet Jesus mit einem Satz, der große Nachwirkungen gezeitigt hat: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.“
Ist also die beschauliche, betende Lebensform die bessere? So wurde es oft verstanden. Ein Leben im Kloster, ganz für das Gebet und die Betrachtung, hielt man für vollkommener als ein Leben in den vielen Sorgen und Mühen des weltlichen Alltags. Umgekehrt meinten die Aufklärer, das Leben der Mönche und Nonnen bringe der Gesellschaft keinen praktischen Nutzen. Mit diesem Argument ließ Kaiser Joseph II. in seiner Regierungszeit (1780-1790) mehr als 700 Klöster aufheben. Umso mehr förderte er das Leben der Pfarren, die aus seiner Sicht für die Menschen nützlicher waren.
Marta und Maria sind heute aktuell wie eh und je. Im Stress des modernen Berufslebens wird viel von „Work-Life-Balance“ gesprochen, vom rechten Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben: genügend Zeit für die Familie, für Freizeit und Erholung. Die Erfahrung zeigt (auch mir): Wer viel zu tun hat, muss darauf achten, dass die Arbeit nicht zum besinnungslosen Rennen im Hamsterrad der Termine wird. Ich weiß, dass Zeit für Besinnung, Nachdenken, Gebet unerlässlich ist, wenn ich nicht ausbrennen will.
Hat Maria deshalb den „guten Teil“ erwählt, wie Jesus zu Marta sagt? Gerade wer helfen, sich für andere einsetzen will, der darf nicht auf sich selber vergessen. Die Seele braucht Zeit und Raum, um sich nicht in tausend Tätigkeiten zu verlieren. Wer sich aber die Zeit nimmt, sich wie Maria dem Herrn zu Füßen zu setzen und Ihm zuzuhören, der wird die Kraft finden, wie Marta voll und ganz für andere da zu sein. Wir brauchen sie beide: Marta und Maria!
Als sie weiterzogen, kam er in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn gastlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen zu dienen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.