Ist Österreich (noch) ein christliches Land? Zweifellos hat das Christentum jahrhundertelang das Leben und die Kultur unserer Heimat geprägt.
Ist Österreich (noch) ein christliches Land? Zweifellos hat das Christentum jahrhundertelang das Leben und die Kultur unserer Heimat geprägt.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 4. September 2022 (Lukas 14,25-33).
Etwa zwei Drittel aller Menschen, die in Österreich leben, gehören einer christlichen Kirche an. Den größten Anteil haben die Mitglieder der Katholischen Kirche (4,8 Millionen), gefolgt von den orthodoxen (775.000) und den evangelischen Christen (272.000). Die Zahl der katholischen und der evangelischen Christen nimmt ständig ab, die der orthodoxen Kirche wächst durch Zuzug und durch Flüchtlinge. Ebenso wächst die Zahl der Muslime (über 700.000) und vor allem die Gruppe der Personen ohne religiöses Bekenntnis (bereits 17 Prozent).
Ist Österreich (noch) ein christliches Land? Zweifellos hat das Christentum jahrhundertelang das Leben und die Kultur unserer Heimat geprägt. Geht der Einfluss des christlichen Glaubens in Österreich immer mehr zurück? Darüber wird viel diskutiert und geforscht. Ich möchte diese Frage vom heutigen Evangelium her beleuchten. Denn damals „begleiteten viele Menschen Jesus“. Es war eine breite Volksbewegung geworden, die sich um Jesus gesammelt hatte. Warum hat nach der anfänglichen Begeisterung eine rückläufige Bewegung eingesetzt? Die Volksmenge, die Jesus in der ersten Zeit zugeströmt war, blieb allmählich aus, und selbst aus dem engeren Kreis seiner Anhänger setzten sich viele ab und verließen Jesus.
Was war geschehen? Das heutige Evangelium gibt möglicherweise eine Erklärung: Die Ansprüche, die Jesus an seine Jünger stellte, waren sehr hoch. Waren sie für viele einfach zu hoch? Und sind sie es heute immer noch? Ist das Christsein zu steil? Sind seine Forderungen überspannt, nicht lebenstauglich? Was Jesus den vielen Menschen zumutet, die mit ihm auf dem Weg sind, klingt nicht gerade einladend: „Wenn jemand zu mir kommt“ und nicht alles, seine Familienbindungen, „ja sogar sein Leben geringachtet, der kann nicht mein Jünger sein“.
Kundenwerbung sieht anders aus. So gewinnt man keine Anhänger! Als wäre das alles nicht schon schwierig genug, setzt Jesus noch einmal nach: „Ebenso kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.“ Wer diese Worte ehrlich anhört, muss sich fragen: Bin ich ein Christ? Kann ich das überhaupt: Christ sein? Wie viele Christen gibt es in Österreich, wenn das der Maßstab ist? Bin ich in diesem Sinne ein echter Christ? Oder nur ein Taufscheinchrist?
Ich hoffe, mein Vorschlag, Jesu Worte zu deuten, wird mir nicht als ein Ausweichmanöver ausgelegt. Eine einfache, unausweichliche Tatsache ist, dass wir alle sterben müssen. Einmal müssen wir alles loslassen, „Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern“, ja sogar das eigene Leben und allen Besitz.
Das gilt nicht nur für Christen, es trifft auf alle Menschen zu. Jesus erinnert an diese einfache Wahrheit, die wir meistens verdrängen. Er sagt etwas, das für alle Menschen gilt, unabhängig von ihrer Religion: Nichts auf dieser Welt dürfen wir für uns festhalten wollen! Die Eltern müssen ihre Kinder freigeben, die Eheleute sind nicht Eigentum des anderen, und selbst mein Leben gehört mir nicht. Es ist mir anvertraut, wie auch alles, was ich besitze. Einmal muss ich alles loslassen. Jetzt schon soll ich das täglich ein wenig einüben.
Was aber hat das alles mit Jesus zu tun? Warum soll ich mich so ganz auf ihn einlassen, mehr als auf alles andere? Weil das Loslassen oft ein Kreuz ist. Und sein eigenes Lebenskreuz zu tragen ist schwer. Keiner hilft dabei so sehr wie Jesus. Deshalb lädt er ein, mit ihm zu gehen.
Viele Menschen begleiteten Jesus; da wandte er sich an sie und sagte: Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben geringachtet, dann kann er nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht, der kann nicht mein Jünger sein. Denn wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und berechnet die Kosten, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen? Sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertigstellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten und sagen: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen. Oder wenn ein König gegen einen anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht zuerst hin und überlegt, ob er sich mit seinen zehntausend Mann dem entgegenstellen kann, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt? Kann er es nicht, dann schickt er eine Gesandtschaft, solange der andere noch weit weg ist, und bittet um Frieden. Ebenso kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.