Wer sich selber nüchtern prüft, wird ehrlich Gott bitten: Lass nicht zu, dass ich in Versuchung gerate! Alleine kann ich ihr nicht widerstehen!
Wer sich selber nüchtern prüft, wird ehrlich Gott bitten: Lass nicht zu, dass ich in Versuchung gerate! Alleine kann ich ihr nicht widerstehen!
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 26. Februar 2023.
Vom Schriftsteller Oscar Wilde (1854-1900) stammt das Wort: „Ich kann allem widerstehen – außer der Versuchung.“ Es ist wohl als Scherz gedacht, als lockerer Spruch. Denn geht es nicht gerade darum, dass wir den Versuchungen widerstehen? Gesteht Oscar Wilde auf diese ironische Weise, dass es ihm eben nicht gelingt, sich gegen die Versuchungen zu wehren? Wenn ich ehrlich über die Versuchungen nachdenke, dann, so muss ich gestehen, bekommt das bekannte Wort von Oscar Wilde für mich einen tieferen Sinn. Es ist mehr als ein witziges Wort.
Warum hat Jesus gelehrt, wir sollen Gott bitten: „Führe uns nicht in Versuchung“? Lassen wir vorerst die Frage beiseite, ob denn Gott uns Menschen in Versuchung führen kann und will. Ich sehe in dieser Bitte auch den Ausdruck einer häufigen Erfahrung: Wenn ich einmal in eine Versuchung hineingeraten bin, kann ich ihr schwer widerstehen. Daher die dringende Bitte an Gott, dass ich nicht in eine Situation komme, in der ich wehrlos der Versuchung ausgeliefert bin. Sagt die Erfahrung nicht: Gelegenheit macht Diebe? Sagt mir die Klugheit nicht: Bringe dich nicht selber in eine Versuchungssituation? Denn ich weiß, dass ich zu schwach bin, Nein zu sagen. Daher die Bitte: Lass mich erst gar nicht in solche Situationen geraten! Oscar Wilde wusste, dass er manchen Versuchungen einfach nicht widerstehen konnte.
Heute, am 1. Fastensonntag, ist von den Versuchungen Jesu die Rede. Nach seiner Taufe im Jordan „wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt; dort sollte er vom Teufel versucht werden“. Hat Gott Jesus in die Versuchung geführt? Wollte er ihn erproben? Oder hat der Teufel die Gelegenheit benützt, Jesus zur Sünde zu verführen? Woher kommen überhaupt Versuchungen? Steigen sie in uns selber auf? Oder werden sie an uns als Verlockungen herangetragen? Eines ist sicher: Es gibt kein menschliches Leben ohne Versuchungen. Alle müssen wir uns mit ihnen herumraufen. Und nur allzu oft erliegen wir ihnen.
Jesus hat die Versuchungen abgewehrt. Er hat ihnen widerstanden. Kann er uns darin ein Vorbild sein? Wir wären versucht zu sagen: Er hatte es leicht! Er ist ja Gott! Aber er ist auch wirklich Mensch, „in allem uns gleich, außer der Sünde“, also ist er auch wirklich versucht worden. Wie hat er widerstanden? Können wir von ihm lernen, wie wir es schaffen könnten? Von drei Versuchungen ist die Rede. Alle drei sind urmenschlich und daher weit verbreitet.
Jesus hat vierzig Tage gefastet. Deshalb dauert unsere Fastenzeit ebenfalls vierzig Tage. Jesus hat wirklich gefastet. Daher hungert es ihn. Der Versucher sagt: Du brauchst nicht zu hungern! Du bist doch Gottes Sohn und daher mächtig! Mach diese Steine zu Brot! Jesus sagt, was so viele seither erfahren haben: Zum Leben brauchen wir nicht nur Brot. Ohne Gott und sein Wort hungert die Seele nach Sinn. Der Teufel versucht Jesus mit dem Wunsch nach Bewunderung: Alle Menschen werden dir folgen, wenn du ein Schauwunder wirkst. Es ist die Versuchung des Gierens nach Erfolg und Anerkennung um jeden Preis. Und schließlich die größte Versuchung: Statt Gott den Teufel anzubeten. Das mag das Geld sein, die Macht, das eigene Ich, alles, was in meinem Leben zum Götzen werden kann. Wer sich selber nüchtern prüft, wird ehrlich Gott bitten: Lass nicht zu, dass ich in Versuchung gerate! Alleine kann ich ihr nicht widerstehen!
In jener Zeit wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt; dort sollte er vom Teufel versucht werden. Als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird. Er aber antwortete: In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. Darauf nahm ihn der Teufel mit sich in die Heilige Stadt, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich hinab; denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er um deinetwillen, und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. Jesus antwortete ihm: In der Schrift heißt es auch: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen. Wieder nahm ihn der Teufel mit sich und führte ihn auf einen sehr hohen Berg; er zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht und sagte zu ihm:
Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest. Da sagte Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn in der Schrift steht: Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen. Darauf ließ der Teufel von ihm ab und siehe, es kamen Engel und dienten ihm.