Das Urvertrauen, dass ich bei Gott Heimat habe, hat mich nie verlassen. Es löst nicht alle Probleme, aber es trägt durch diese wirre Zeit.
Das Urvertrauen, dass ich bei Gott Heimat habe, hat mich nie verlassen. Es löst nicht alle Probleme, aber es trägt durch diese wirre Zeit.
Gedanken zum Evangelium von Kardinal Christoph Schönborn am 7. 5. 2023
Der Vertrauensverlust prägt unsere Zeit. Alles kommt ins Rutschen. Die bisherigen Sicherheiten wanken. Worauf ist noch Verlass? Der Klimawandel scheint unaufhaltsam voranzuschreiten. Mit ihm sind die Lebensgrundlagen in Gefahr. Ist das alles noch aufzuhalten? Junge Menschen sagen: Besser keine Kinder in diese Welt setzen! Das Vertrauen in die Politik ist auf einem Tiefpunkt. Das Vertrauen in die Kirche ebenso. Geben wenigstens Beziehungen Halt? Die Trennungs- und Scheidungsraten erreichen erschreckende Höhen. Dazu kommen die anderen persönlichen Unsicherheiten: Hält der Arbeitsplatz? Sind Teuerung und Inflation zu verkraften? Drohen weitere Pandemien? Und wie sollen wir in all dem noch das seelische Gleichgewicht finden und bewahren? Ohne ein Grundvertrauen wird das Leben bodenlos. Doch verlorenes Vertrauen lässt sich nur wiedergewinnen, wenn es echte Gründe zum Vertrauen gibt. Falsche Hoffnungen führen zu noch tieferem Vertrauensverlust.
„Euer Herz lasse sich nicht verwirren“. Dieses Wort Jesu steht am Anfang des heutigen Evangeliums. Man kann es auch etwas genauer so übersetzen: „Euer Herz höre auf, sich zu ängstigen“. Es hilft, auf den Zusammenhang zu achten, in dem Jesus das sagt. Wir sind in der Nacht vor seinem Tod. Seine Freunde sind zusammen mit ihm in einem größeren Raum im ersten Stock eines Hauses in Jerusalem. Sie halten das Pessachmahl. Die Stimmung ist ernst. Eben hat Judas das gemeinsame Mahl verlassen. Verrat liegt in der Luft. Jesus spricht immer deutlicher von dem, was ihn erwartet. Petrus macht ein feierliches Versprechen, Jesus nicht zu verlassen: „Mein Leben will ich für dich hingeben!“ Jesus sagt ihm die bittere Wahrheit: „Noch bevor der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“. Und so war es dann auch, wenige Stunden später.
Man ahnt wie groß die Erschütterung war. Alles, was sie erhofft hatten, erweist sich als unhaltbar. Alle Treueversprechen wanken. Der Weg Jesu führt in eine Katastrophe. Er endet am Kreuz. Und sie, seine Anhänger, hatten geglaubt, er werde der große Retter und Befreier sein. In diese Verwirrung hinein sagt ihnen Jesus, sie sollen vertrauen. Gibt er auch Gründe an, warum sie jetzt, da alles zusammenbricht, vertrauen sollen? Jesus nennt nur einen Grund: „Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ Er mutet ihnen zu, einen mutigen Sprung zu wagen: den Sprung ins Vertrauen! Trotzdem will das menschliche Herz eine gewisse Sicherheit haben. Jesus versucht es mit einem Wort, das zu meinen liebsten Worten der Bibel gehört: „Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen“. Er verspricht ein Zuhause. Für jeden und für alle ist ein Platz vorgesehen. Mag noch so viel geschehen, niemandem ist eine Bleibe bei Gott verwehrt. Sein Vaterhaus wartet mit offenen Türen auf uns!
Und dann sagt Jesus ein weiteres Trostwort: „Ich gehe, um euch einen Platz vorzubereiten“. Was jetzt mit ihm geschehen wird, ist nicht eine Katastrophe, sondern ein Weg, den er für uns alle geht. Sein Tod wird nicht das Ende sein: „Ich komme wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin“. Für mich persönlich sind diese Worte untrennbar verbunden mit einer tiefen Erinnerung. Ich war sechs Jahre alt, als unsere Wanderung als Flüchtlingsfamilie zu Ende war und die Mutter uns Kinder holen kam und uns in die erste eigene Wohnung führte: ein Zuhause! Ich weiß, jedes Zuhause müssen wir einmal verlassen. Aber dieses Urvertrauen, dass ich bei Gott Heimat habe, hat mich nie verlassen. Es löst nicht alle Probleme, aber es trägt durch diese wirre Zeit.
Johannes 14, 1-12
Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. Und wohin ich gehe - den Weg dorthin kennt ihr. Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen? Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. Philippus sagte zu ihm: Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns. Jesus sagte zu ihm: Schon so lange bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater? Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch sage, habe ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke. Glaubt mir doch, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist; wenn nicht, dann glaubt aufgrund eben dieser Werke! Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen und er wird noch größere als diese vollbringen, denn ich gehe zum Vater.