Wie kann es gelingen, schwere Enttäuschungen, großes Leid nicht nur gut zu überstehen, sondern dadurch nicht die Freude zu verlieren? Dafür gibt das heutige Evangelium ein beeindruckendes Zeugnis.
Wie kann es gelingen, schwere Enttäuschungen, großes Leid nicht nur gut zu überstehen, sondern dadurch nicht die Freude zu verlieren? Dafür gibt das heutige Evangelium ein beeindruckendes Zeugnis.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 9. Juli 2023.
Können sie beide gleichzeitig im Menschenherzen Platz haben: ein großer Schmerz und eine tiefe Freude? „Die Seele ist ein weites Land“, hat Arthur Schnitzler gesagt. Vieles kann darin zusammenwohnen. Denn das Leben bringt Leid, Schmerz, Enttäuschung, aber hoffentlich immer wieder auch Momente des Glücks und der Freude.
Jesus hat wohl beides erlebt, Schmerz und Freude. Hat er sie auch gleichzeitig erfahren? Wie ist es möglich, beide „unter einen Hut“ zu bringen? Das ist eine Frage, die wohl alle Menschen in der einen oder anderen Form betrifft. Heute wird viel von Resilienz gesprochen. Es ist fast schon ein Modewort geworden. Ich lese folgende Definition von Resilienz: „Psychische Widerstandskraft, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen“. Wie kann es gelingen, schwere Enttäuschungen, großes Leid nicht nur gut zu überstehen, sondern dadurch nicht die Freude zu verlieren? Dafür gibt das heutige Evangelium ein beeindruckendes Zeugnis.
Jesus betet und sein Gebet ist ein Ausdruck tiefer Freude. Man hat den Eindruck, Jesus kann seinen Dank und seine Freude nicht zurückhalten. Er dankt Gott aus ganzem Herzen. Das ist umso überraschender, wenn man sich anhört, was er unmittelbar davor gesagt hat. Er sprach eben von einer bitteren Enttäuschung. Er zieht gewissermaßen eine Zwischenbilanz über sein bisheriges öffentliches Wirken. Nachdem er Nazareth verlassen hatte, begann er in den Städten und Dörfern am See Genesareth zu wirken, anfangs mit großem Erfolg. Die Menschen sind begeistert von seinen Wundern. Es geschehen viele staunenswerte Heilungen. Aber das eigentliche Anliegen kommt nicht durch: dass die Menschen sich bekehren und ihr Leben ändern. Das schmerzt Jesus und in seinem Schmerz spart er nicht mit Vorwürfen: „Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Betsaida!“ Und droht ihnen mit dem Gericht Gottes.
Wie ist Jesus mit dieser Enttäuschung umgegangen? Warum hat sie ihn nicht verbittert gemacht? Darauf antwortet das heutige Evangelium. Statt sich gekränkt zurückzuziehen, lobt und dankt er Gott: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast.“ Jesus bleibt nicht bei sich selber stehen. Nicht an ihm liegt es, ob er Erfolg hat oder nicht. Das liegt ganz in Gottes Händen. Weil Jesus davon überzeugt ist, kann er gelassen sein und sich dem Willen Gottes anvertrauen: „Ja, Vater, so hat es dir gefallen!“ So hat Jesus auch uns zu beten gelehrt: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“
Weil Jesus so tiefes Vertrauen zu Gott hat, den er schlicht „Vater“ nennt, kann er trotz der Enttäuschungen die Freude bewahren. Zwar lehnen ihn die „G‘studierten“ ab, aber die „Unmündigen“, die einfachen, meist unbeachteten Menschen nehmen ihn an. Ihnen öffnet Gott das Herz. Jesus war nicht gegen die Gebildeten, aber die Eingebildeten konnte er nicht ertragen. Die vielen Menschen, die ein mühseliges Leben haben und die mit Sorgen beladen sind, lädt er ein: „Kommt alle zu mir!“ Er kann ohne Anmaßung sagen: „Lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele.“ Viele haben die Erfahrung gemacht, dass das stimmt.
Matthäus 11,25-30
In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will. Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.