Zusammenleben lebt davon, dass so viele Menschen in den vielen kleinen Dingen des Alltags die vielen kleinen Mühen auf sich nehmen, um das Leben der anderen zu erleichtern. Einander ertragen bedeutet oft: einander tragen.
Zusammenleben lebt davon, dass so viele Menschen in den vielen kleinen Dingen des Alltags die vielen kleinen Mühen auf sich nehmen, um das Leben der anderen zu erleichtern. Einander ertragen bedeutet oft: einander tragen.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 2. Juli 2023
Die Zukunft der Menschheit geht über die Familie. So ungewiss die Zukunft ist, eines ist sicher: Auch in den kommenden Generationen wird es Väter und Mütter geben. So war es immer und so ist es heute. Alle Menschen, die auf unserer Erde leben, sind von einer Frau geboren und haben einen Vater, ob sie ihn kennen oder nicht. Mich hat vor Jahren ein Buch des deutschen Journalisten Frank Schirrmacher (1959-2014) sehr beeindruckt. „Minimum“ (2006) war ein Bestseller. Der Autor fragt ganz nüchtern, wird es in unserer Gesellschaft weitergehen wird, wenn immer mehr Menschen nur ein Minimum an Familie, an Verwandten haben. Schirrmacher untersucht, was unsere Gesellschaft am meisten zusammenhält, besonders in Notsituationen. Er kommt zu dem klaren Schluss, dass es kein sichereres Netzwerk des Überlebens gibt als die Familie. Der Sozialstaat kann, Gott sei Dank, vieles abfedern, was an Familienbindungen fehlt, er kann aber nie die Familie ersetzen. Deshalb tut der Staat gut daran, die Familien zu stützen und zu stärken.
Wie stand Jesus selber zur Familie? Die jüdische Umwelt, in der er aufwuchs, hielt die Familie hoch. In Nazareth wuchs Jesus im Verband einer Großfamilie auf. Aus der Bibel wusste er um das vierte der Zehn Gebote: die Pflicht, Vater und Mutter zu ehren. Sie gilt als die erste Pflicht dem Nächsten gegenüber, denn Vater und Mutter stehen uns am nächsten. Ihnen verdanken wir unser Leben. Jesus scheint aber im heutigen Evangelium die Liebe zu den Eltern auf den zweiten Platz zu verschieben. Zudem gibt es manche Hinweise in den Evangelien, dass Jesus gerade seinen Eltern und Verwandten gegenüber recht abweisend sein konnte. Schon als Zwölfjähriger bereitet er den Eltern große Sorgen, weil er ohne sie zu informieren einfach in Jerusalem zurückbleibt und sich auch noch wundert, dass sie sich um ihn geängstigt haben.
Ich habe viel über die Frage nachgedacht, welchen Platz Jesus der Familie zuschreibt. Ich habe persönlich meine Familie als glücklich und als schwierig erlebt. Durch die Trennung meiner Eltern habe ich früh gesehen, dass Familie nicht einfach gelingt. Ich durfte aber auch erfahren, dass trotz Scheidung die Familie viel Halt schenkt. Es gibt nicht die ideale Familie, wie es nicht die perfekten Eltern (und Kinder!) gibt. So kann ich im heutigen Evangelium eine Art „Gebrauchsanweisung“ für das Gelingen von Familie lesen.
Das Erste und Wichtigste: die Eltern sind nicht der liebe Gott! Sie sind Menschen und haben daher Stärken und Schwächen. Wir dürfen und sollen sie lieben. Wir dürfen sie auch bewundern. Aber lassen wir sie an ihrem Platz. Die Eltern sollen ihre Kinder lieben, aber sie auch freilassen. Sie sind ihnen nur anvertraut, sie gehören ihnen nicht. Alle gehören wir zuerst Gott, dem wir alles verdanken.
Die Familie gelingt in dem Maß, in dem alle versuchen, nach den Worten Jesu zu leben: „Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren. Wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ Wer in der Familie nur für sich selber leben will, macht das Leben für die anderen zum Kreuz. Täglich sein Kreuz auf sich zu nehmen, ist die scheinbar harte Lebensregel Jesu. Unser ganzes
Zusammenleben lebt davon, dass so viele Menschen in den vielen kleinen Dingen des Alltags die vielen kleinen Mühen auf sich nehmen, um das Leben der anderen zu erleichtern. Einander ertragen bedeutet oft: einander tragen. „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“, sagt Paulus. Trotz aller Schwierigkeiten ist in aller Welt die Familie der Ort, wo diese Regel am meisten gelebt wird. Und deshalb ist sie nach wie vor das sicherste Netzwerk des Lebens.
Matthäus 10,37-42
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich,
ist meiner nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert. Wer das Leben findet, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es finden.
Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten. Wer einen Gerechten aufnimmt, weil es ein Gerechter ist, wird den Lohn eines Gerechten erhalten. Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist – Amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen.