Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 3. September 2023
Der Petersdom in Rom ist die größte Kirche der Christenheit. Er ist über dem Grab des Apostels Petrus errichtet. Die gewaltige, von Michelangelo entworfene Kuppel wölbt sich genau über dem Ort, an dem Petrus im Jahr 67 nach seinem Martyrium begraben wurde. Am Innenrand der Kuppel stehen die Worte, die Jesus zu Petrus gesprochen hat: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und dir werde ich die Schlüssel des Himmelsreichs geben.“ Rund um den ganzen Innenraum des Domes zieht sich ein Schriftband, das wegen seiner Größe trotz der Höhe gut leserlich ist. Es enthält andere Worte, die Jesus zu Petrus gesprochen hat, zum Beispiel das tröstliche Wort: „Ich habe für dich gebetet, o Petrus, dass dein Glaube nicht erlischt, und wenn du wieder umgekehrt bist, dann stärke deine Brüder.“ Oder: „Dreimal fragte Jesus dich, Petrus: Liebst du mich? Dreimal, o Erwählter, hast du geantwortet: O Herr, du weißt alles, du weißt, dass ich dich liebe.“
Ein Wort Jesu an Petrus ist in diesen riesigen Schriftbändern nicht zu lesen. Es steht aber klar und deutlich im heutigen Evangelium: „Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“ Irgendwie kann ich verstehen, dass man sich gescheut hat, ein solches Wort in der Grabkirche des Petrus zu verewigen. Wie damit umgehen? Es steht ja wohl kaum in einer unserer Kirchen. Zu anstößig ist es, dass Jesus den Petrus, dem er eben die Schlüssel des Himmelreichs übergeben hat, „du Satan“ nennt. Wenn Jesus ihn derart scharf anspricht, dann geht es offensichtlich um etwas ganz Entscheidendes, nicht nur für Petrus, sondern für uns alle. Denn was Jesus dem Petrus sagt, weitet er aus auf alle Menschen. Es geht um eine grundsätzliche Lebensentscheidung. Zu der fordert Jesus den Petrus heraus. Und mit ihm alle Menschen.
Jesus hat eben seinen Jüngern erklärt, dass Schweres auf ihn zukommt, viel Leiden, ja der Tod, doch das werde nicht das Ende sein. Er werde „auferweckt werden“. Die Reaktion des Petrus ist eigentlich rührend menschlich: „Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen!“ Es ist die urmenschliche Reaktion auf das Leid: Das darf doch nicht geschehen! Gott muss das doch von uns fernhalten! Petrus ist so überzeugt von seiner Einstellung, dass er sogar seinen Meister und Lehrer zurechtweist, so als wäre er es, der Jesus Vernunft beizubringen hat.
Jesus nennt Petrus „du Satan! Ein Ärgernis (Skandalon im Griechischen) bist du mir.“ Für Petrus ist das Leiden ein Skandal. Es bleibt für uns das große Ärgernis: Warum so viel Leid auf der Welt? Für Jesus ist Petrus ein Ärgernis, weil er wie wir alle denkt. Doch Gottes Wege sind anders: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben (wörtlich: seine Seele) einbüßt?“ Nüchtern sagt Jesus: Es gibt nur einen Weg, der das Leben gelingen lässt: täglich sein Kreuz auf sich nehmen! Petrus hat sich heftig dagegen gewehrt. Wir können ihn nur zu gut verstehen. Doch dann hat er „Ja“ gesagt und ist Jesus nachgefolgt. Dort, wo heute der Petersdom steht, ist er gekreuzigt worden. Das Wort „du Satan!“ steht zwar nicht im Petersdom. Der Dom selber bezeugt, dass Petrus sich bekehrt hat und Jesus gefolgt ist.
Matthäus 16,21-27
In jener Zeit begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären: Er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten vieles erleiden, getötet und am dritten Tag auferweckt werden. Da nahm ihn Petrus beiseite und begann, ihn zurechtzuweisen, und sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen!
Jesus aber wandte sich um und sagte zu Petrus: Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen. Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden. Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen? Der Menschensohn wird mit seinen Engeln in der Herrlichkeit seines Vaters kommen und dann wird er jedem nach seinen Taten vergelten.