Die Botschaft Jesu ist klar, aber anspruchsvoll. Warum sollen wir einander vergeben? Weil Gott uns unvergleichlich mehr vergeben hat!
Die Botschaft Jesu ist klar, aber anspruchsvoll. Warum sollen wir einander vergeben? Weil Gott uns unvergleichlich mehr vergeben hat!
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 17. September 2023
Wie oft muss ich vergeben? Petrus erwartet von Jesus auf diese Frage eine klare Antwort. Einmal muss Schluss sein mit Verzeihen! Siebenmal muss das Äußerste sein, was man erwarten kann. Jesus lehnt jede Grenze ab: „bis zu siebzigmal siebenmal“, also ohne Ende! Offensichtlich sieht Jesus im Vergeben nicht eine gelegentliche Großzügigkeit, sondern etwas, das ganz wesentlich zum menschlichen Leben gehört. Vom Verzeihen hängt es ab, ob unser Leben gelingt oder scheitert, und doch ist es wahrscheinlich das Schwerste im Leben. Aber ohne Verzeihen wird das Leben unerträglich.
Verzeihen hat mit Schuld zu tun. Was tun, wenn „mein Bruder gegen mich sündigt“? Das Normale ist es, dass er den Schaden wieder gut macht. Er hat ungerecht gehandelt. Die Gerechtigkeit muss wiederhergestellt werden. Warum gehen Geschwister gegeneinander vor Gericht? Weil der eine sich durch den anderen übervorteilt, hintergangen, betrogen fühlt. Aus der Verletztheit durch den anderen können sich im Herzen Zorn, Rachegelüste, Hass aufstauen: Lass dir das nicht gefallen! Wehre dich! Verzeihen würde dir nur als Schwäche ausgelegt werden! Du würdest nur noch mehr hintergangen werden!
Auf alle diese sehr menschlichen Gefühle und Gedanken antwortet Jesus mit einem Gleichnis. Er bringt eine andere Wirklichkeit ins Spiel. Er nennt sie „das Himmelreich“ oder auch „das Reich Gottes“. Wie sieht sie aus? Von zwei Schuldnern ist die Rede. Der eine schuldet dem König die unvorstellbare Summe von zehntausend Talenten Silber, das entspricht sehr vielen Millionen Euro. Ihm selber schuldet ein Kollege hundert Denare, etwa drei Monatslöhne eines Arbeiters. Die Riesenschuld kann er unmöglich zurückzahlen. Auf sein flehentliches Bitten erlässt ihm der König die gesamte Schuld. Seinem Kollegen gegenüber verhält er sich beinhart und zu keinem Aufschub der Rückzahlung bereit. Der Kontrast ist himmelschreiend: hier die unvorstellbare Großherzigkeit des Königs, dort die unfassbare Engherzigkeit des eben von der Riesenschuld Befreiten. Wer dieses Gleichnis hört, spürt die Empörung über das Verhalten dessen, der eben eine so große, rettende Gnade vom König erhalten hat. Der Zorn des Königs ist nur zu verständlich: „Hättest nicht auch du mit deinem Mitknecht Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?“ Ich bin dir mit unfassbarer Güte entgegengekommen. Warum bist du nicht wenigstens im Kleinen zu deinem Kollegen großherzig?
Die Botschaft Jesu ist klar, aber anspruchsvoll. Warum sollen wir einander vergeben? Weil Gott uns unvergleichlich mehr vergeben hat! Hat er das wirklich? Habe ich Gott gegenüber Schuld? Jesus macht auch den Umkehrschluss: Wie kannst du erwarten, dass Gott mit dir barmherzig ist, wenn du deinem Nächsten gegenüber so unbarmherzig bist? Deshalb verknüpft Jesus für immer Gottes Vergebung mit unserer Bereitschaft zum Verzeihen. Er hat uns gelehrt, wie wir im „Vaterunser“ beten sollen: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Wie anders sieht das Leben, ja die ganze Welt aus, wenn wir das im Kleinen täglich tun!
In jener Zeit trat Petrus zu Jesus und fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben,
wenn er gegen mich sündigt? Bis zu siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Ich sage dir nicht: Bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal. Mit dem Himmelreich ist es deshalb wie mit einem König, der beschloss, von seinen Knechten Rechenschaft zu verlangen. Als er nun mit der Abrechnung begann, brachte man einen zu ihm, der ihm zehntausend Talente schuldig war. Weil er aber das Geld nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen. Da fiel der Knecht vor ihm auf die Knie und bat: Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen. Der Herr des Knechtes hatte Mitleid, ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld. Als nun der Knecht hinausging, traf er einen Mitknecht, der ihm hundert Denáre schuldig war. Er packte ihn, würgte ihn und sagte: Bezahl, was du schuldig bist! Da fiel der Mitknecht vor ihm nieder
und flehte: Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen. Er aber wollte nicht, sondern ging weg und ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe. Als die Mitknechte das sahen, waren sie sehr betrübt; sie gingen zu ihrem Herrn und berichteten ihm alles, was geschehen war. Da ließ ihn sein Herr rufen und sagte zu ihm: Du elender Knecht!
Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich angefleht hast. Hättest nicht auch du
mit deinem Mitknecht Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte? Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Peinigern, bis er die ganze Schuld bezahlt habe. Ebenso wird mein himmlischer Vater euch behandeln, wenn nicht jeder seinem Bruder von Herzen vergibt.