Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und die Pharisäer. Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach ihren Taten; denn sie reden nur, tun es aber nicht.
Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und die Pharisäer. Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach ihren Taten; denn sie reden nur, tun es aber nicht.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 5. November 2023.
Dieser Vorwurf Jesu trifft nicht nur die Schriftgelehrten und die Pharisäer, er stellt auch mir eine ernste Frage. Seit über 50 Jahren bin ich Priester und predige daher häufig. Zudem bin ich vor 60 (!) Jahren in den Dominikanerorden eingetreten, der sich auch Predigerorden nennt. Mit 30 Jahren wurde ich Universitätsprofessor und habe Theologie gelehrt. Seit über 20 Jahren darf ich jeden Sonntag in dieser Zeitung über das Evangelium schreiben. Ich bin, so darf ich sagen, ein Mann des Wortes geworden. Habe ich auch genügend das getan, was ich rede oder schreibe?
Diese Frage muss nicht nur ich mir stellen. Das Leben stellt sie uns allen: Wie ist bei dir das Verhältnis von Wort und Tat? Zuerst eine nüchterne Feststellung: Jesus kritisiert bei seinen Gegnern nicht ihre Worte. Im Gegenteil: „Tut und befolgt alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach ihren Taten.“ Die Worte können richtig sein, auch wenn der, der sie sagt, sich selber nicht daran hält. Dürfen die Eltern nur dann ihren Kindern mahnende Worte sagen, wenn sie selber völlig fehlerlos sind? Wir haben als Christen alle den Auftrag, das Evangelium zu verkünden, unseren Glauben mit Worten zu bezeugen, auch wenn wir wissen, dass wir fehlerhafte Menschen sind und unser Glaube schwach ist.
Der Umgang mit dem Wort hat mir mein Leben lang Freude bereitet. Predigen, schreiben, unterrichten – immer geht es um das Wort. Die Sprache ist ein wunderbares Instrument. Worte können trösten, aufrichten, weiterhelfen. Sie können auch verletzen. Immer wieder sind mir Worte herausgerutscht, die ich oft lange bereut habe. Ich konnte sie nicht mehr unausgesprochen machen. Im Großen und Ganzen bleibt das Wort trotzdem der große Schatz unseres Zusammenlebens. Miteinander reden, aufeinander hören, das ist die grundlegende Weise, wie wir einander begegnen.
Jesus kennt aber noch eine andere Sprache. Auch Taten sind Worte. Sie sprechen oft deutlicher als unser Gesprochenes. Die Worte können leichter täuschen als die Taten. Jesus nennt eine Reihe von Verhaltensweisen, die eine schlimme Sprache sprechen: Von anderen Schweres verlangen, selber aber keinen Finger rühren, um die Lasten zu tragen! Anderen Moralpredigten halten und selber nicht danach leben! Was Jesus im Auge hat, ist die Heuchelei, die er unter allen Lastern am meisten kritisiert. „Alles was sie tun, tun sie, um von den Menschen gesehen zu werden.“ Es ist die Haltung, der der Schein wichtiger ist als das Sein; der Eindruck, den ich auf andere mache, wichtiger als das, was ich wirklich bin.
Die Beschreibung, die Jesus von den Pharisäern gibt, kommt mir so vor, als würde er mich im Stephansdom beobachten. Auch ich trage dort schöne lange Gewänder mit Quasten; auch ich sitze am Ehrenplatz. Von den Leuten werde ich zwar nicht Rabbi genannt, dafür aber „Eminenz“ und „Herr Kardinal“. Entspricht das alles dem Evangelium, in dem es heißt, „ihr sollte euch nicht Vater nennen“, während wir den Papst mit „Heiliger Vater“ ansprechen? Jesus erinnert uns energisch an das Wichtigste: „Ihr alle seid Brüder und Schwestern!“ Das Streben nach Titeln und Anerkennung ist nur allzu menschlich. Der Wunsch, gut dazustehen, steckt in uns allen. Jesus hat selber den einzigen Weg vorgelebt, der uns aus der Selbstbezogenheit befreit: „Der Größte von euch soll euer Diener sein.“ Wenn wir das leben, egal welche Titel und Gewänder wir tragen, dann stimmen unsere Worte und Taten zusammen.
Matthäus 23,1-12
In jener Zeit sprach Jesus zum Volk und zu seinen Jüngern und sagte: Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und die Pharisäer. Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach ihren Taten; denn sie reden nur, tun es aber nicht. Sie schnüren schwere und unerträgliche Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, selber aber wollen sie keinen Finger rühren, um die Lasten zu bewegen. Alles, was sie tun, tun sie, um von den Menschen gesehen zu werden: Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern lang, sie lieben den Ehrenplatz bei den Gastmählern und die Ehrensitze in den Synagogen und wenn man sie auf den Marktplätzen grüßt und die Leute sie Rabbi – Meister – nennen. Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus. Der Größte von euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt,
wird erhöht werden.