Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 10. Dezember 2023
In der Nachkriegsgeneration war eines der wichtigsten Worte: „Unseren Kindern soll es besser gehen!“ Dieses Motto hat zahllose Eltern bewogen, nicht zuerst auf sich selber zu schauen, sondern auf den Lebensweg ihrer Kinder. Sie haben so manche Opfer auf sich genommen, um ihren Kindern eine gute Ausbildung und damit den Start in ein erfolgreiches Berufsleben zu ermöglichen. Dafür haben sie auf vieles für sich persönlich verzichtet. Dieser opferbereiten Generation verdankt unser Land einen Großteil seines Wohlstands. Heute noch sollten wir dankbar daran denken, denn die Zeiten haben sich geändert. An allen Ecken und Enden zeigt es sich, dass der Wohlstand nicht mehr viel weiter wachsen wird, ja dass Inflation und Teuerung so manche Engpässe verursachen, die schmerzlich spürbar werden. Viele junge Menschen fragen sich: Wird es uns und unseren Kindern schlechter gehen? Und nicht wenige spüren bereits jetzt deutlich, dass es ohne gelegentliche Hilfe der Großeltern und Eltern gar nicht mehr zu schaffen ist. Wie also der kommenden Generation gute Wege bereiten?
Wir stehen alle vor einer großen Herausforderung, die im Grund jede Generation neu beantworten muss: Was ist das Wichtigste im Leben? Dass ich ein möglichst gutes, sicheres, abgesichertes Leben genießen darf? Oder dass ich es als Lebensaufgabe sehe, den eigenen Kindern und Enkeln, den nächsten Generationen den Weg in eine gute Zukunft zu bereiten? Leben wir so, als wären wir die letzte Generation, oder so, dass kommende Generationen auch noch gut leben können?
Dazu ist eine Grundhaltung notwendig, die die ganze Lebensauffassung und Lebenspraxis bestimmt. Johannes der Täufer verkörpert diese Einstellung. Er steht in der Mitte des heutigen Evangeliums. Sein Geheimnis: Er stellt einen anderen in die Mitte. Er betrachtet sich als Wegbereiter. Er schaut nicht auf sich, sondern weist auf den hin, der nach ihm kommt. Er hat das selber so ins Wort gebracht: „Er muss wachsen, ich muss abnehmen.“ Seine Freude war es, den groß zu machen, dem er den Weg bereiten soll. Wir können die „Johannes-Haltung“ leicht an uns selbst testen: Macht es uns Freude, andere hervorzuheben, oder geht es uns darum, selber im Mittelpunkt zu stehen? Wer nur an die eigene Karriere denkt, wird vielleicht Erfolg haben, aber die wirkliche Freude im Leben verpassen. Gott sei Dank ist es doch in den meisten Fällen so, dass die Eltern eine tiefe Freude empfinden, wenn sie erleben, dass sie ihren Kindern einen guten Weg ins Leben bereitet haben. Die menschliche Natur, so ist es meine Überzeugung, ist darauf angelegt, die nächste Generation zu fördern. Wir empfinden es als schlimm und schäbig, wenn Eltern nur für sich leben und die Zukunft ihrer Kinder vernachlässigen.
Die „Johannes-Haltung“ hat aber noch eine tiefere Dimension. Ihm geht es darum, dem Herrn den Weg zu bereiten. Deshalb ruft er die Menschen zur Umkehr. Seine Freude ist es, Menschen den Weg zu Gott zu bahnen. Das kann er nur, wenn sein eigenes Leben diesen Weg zeigt. Offensichtlich haben seine Lebensweise und sein Worte die Menschen stark berührt. Viel sind zu ihm gekommen, um sich von ihm im Jordan taufen zu lassen. Er hat sie aber nicht an sich gebunden, sondern sie auf den verwiesen, der nach ihm kommt, auf Jesus. Ich glaube, es gibt nichts Wichtigeres und Schöneres im Leben, als wenn Eltern ihren Kindern vorleben, dass sie nicht der Mittelpunkt von allem sind, sondern dass es Den gibt, dem sie selber alles verdanken und dem sie deshalb dankbar sind.
Markus 1,1-8
Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, Gottes Sohn. Wie geschrieben steht beim Propheten Jesája – Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg bahnen wird.
Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen! – so trat Johannes der Täufer in der Wüste auf und verkündete eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden. Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen. Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften und er lebte von Heuschrecken und wildem Honig. Er verkündete: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken und ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Ich habe euch mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.